R. Neck (Hrsg.): Was bleibt vom Positivismusstreit?

Ein Sammelband, der an den Positivismusstreit zwischen Kritischen Rationalisten und Kritischer Theorie erinnert, dessen Beginn bei Erscheinen des Buches (2008) bereits 47 Jahre zurücklag. Aber diese Auseinandersetzung hat etwas Beispielhaftes, das bis in unsere Tage seine Relevanz bewahrt hat: Hier die wissenschaftlich-rationale Analyse – dort umfassende, oft visionäre Gesellschaftsprogrammatik verbunden mit einer Technikfeindlichkeit, die bis in unsere Tage von den verschiedensten Seiten goutiert wird.

Wenn auch die ursprüngliche Kontroverse auf Popper und Adorno zurückging, so wurden im Laufe der Auseinandersetzung Jürgen Habermas und Hans Albert zu den Hauptprotagonisten. Wobei die Bezeichnung dieser Kontroverse (es gab derer – je nach Auslegung zwei oder drei) als Positivismusstreit eine irreführende war und sich von Habermas‘ Aufsatz „Gegen einen positivistisch halbierten Rationalismus“ herleitet. Denn Positivisten waren an diesem Streit nicht beteiligt, Popper, dem diese Bezeichnung zuteil wurde, hat sich selbst als Totengräber einer positivistisch-induktiven Philosophie gesehen.

Im Band ist die Zahl der Vertreter von Kritischem Rationalismus und Kritischer Theorie sehr ungleich verteilt: Trotz Einladung fand sich nur ein dezidierten Anhänger (Roger Behrens) der Kritischen Theorie bereit zu einer Stellungnahme – und auch diese fällt sehr moderat aus: Er vergleicht Marcuses „eindimensionale Gesellschaft“ mit dem Konzept der offenen Gesellschaft Poppers, wobei Marcuses Entwurf auch in dieser Darstellung ihren utopisch-unrealistischen Charakter nicht verleugnen kann und somit als reale gesellschaftliche Alternative auch bei gutwilliger Interpretation märchenhaft-phantastisch wirkt. (Wenn er etwa prognostiziert, dass der Mensch als solcher nach der „Revolution“ ein völlig anderer sei, wobei es rätselhaft bleibt, warum und wie diese so grundlegende Änderung stattfinden sollte.)

Dahms, dessen brilliante historische Aufarbeitung des Positivismusstreites als das Werk zu diesem Themenkomplex gelten kann, verarbeitet in seinem Text neu zugängliche Quellen und bietet eine hervorragende geschichtliche Darstellung des Vorgefallen, während H. Keuth eine konzise Kritik der Habermasschen Positionen liefert (ausführlicher präsentiert in „Erkenntnis oder Entscheidung“) und Habermas‘ Wandlung zu pseudoreligiösen Positionen rekonstruiert. Ähnliche Nachzeichnungen der Habermasschen Positionsverschiebungen seit den 60iger Jahren bieten auch Evelyn Gröbl-Steinbach oder Armin Engländer.

Ein etwas seltsamer Beitrag stammt von Michael Wohlgemuth, der sich der Habermasschen These der idealen Kommunikationsgemeinschaft annimmt und diese mit den Strukturen des freien, kapitalistischen Marktes vergleicht. Nun besteht ein Hauptproblem dieser idealen kommunikativen Voraussetzungen zur Konsensfindung (die Habermas als Vorbild zu einer deliberativen demokratischen Ordnung dienen) darin, das sie von ihm selbst weder definiert werden noch ein Weg dorthin gewiesen wird, sodass diese Grundsätze zwar annehmbar und erstrebenswert erscheinen, ihre Verwirklichung in dieser unserer Welt aber völlig unrealistisch sind; eine Tatsache, der sich auch Habermas nicht verschließen kann und deshalb auf eine reduzierte Variante von Mehrheitsenscheidungen rekurriert, von denen dann schlicht nur gesagt werden kann, dass sie eben nicht ideal sind. Wohlgemuth meint nun in den marktwirtschaftlichen Strukturen sehr viel eher die Eckpunkte des Habermasschen Ansatzes verwirklicht zu sehen (Zugang und Beteiligung ohne alle externen Zwänge bei der Meinungsbildung für Jedemann, Abzielen auf rationales Einverständnis und Wertekonsens, Möglichkeit für private Bereiche etc.) Allerdings krankt Wohlgemuths Darstellung des freien Marktes nicht minder an Idealisierungen wie die ideale Kommunikationsgesellschaft und gegen die vorgebliche Entscheidungsfreiheit in ökonomischen Belangen ließen sich ebenso viele Argumente formulieren (die vor allem auf eine mangelnde Berücksichtigung realer Gegebenheiten abzielen, etwa die Darstellung von „egalitären“ Märkten oder einer – nur theoretischen – Macht der Konsumenten) wie bei Habermas.

Selbstverständlich sind dem Markt diskursive Elemente zueigen und sie mögen dem utopischen deliberativen Zugang Habermas‘ überlegen sein. Ob aber marktorientierte Entscheidungsfindungen auf politischer Ebene einsetzbar bzw. anderen Ansätzen überlegen sind, wird stark von den in Frage stehenden Problemen abhängig sein – wie dies auch für die Problembereiche von Rechtsstaatlichkeit, Freiheit des Einzelnen und den Ge- und Verbotsstrukturen der Fall ist. Angebot und Nachfrage vermag vieles zu regeln: Eine große Vielfalt an Angeboten als auch Anreize für privates Engagement zu schaffen. Aber es lassen sich unschwer Bereiche finden, in denen ein diese Form der „Konsensbildung“ wenig erstrebenswert erscheint.

Insgesamt ein sehr lesbares Buch, das sich allerdings nach meinem Dafürhalten zu stark mit der philosophischen Entwicklung von Jürgen Habermas beschäftigt. Ihm wird hier zu viel der Ehre angetan; denn wenn er auch einer der Hauptdarsteller des in Frage stehenden Positivismusstreites war, so sind seine späteren, zahlreichen philosophischen Positionen von beachtlicher Belanglosigkeit, die nur noch durch eine (bewusst?) nebulöse Diktion übertroffen werden. Das eingangs erwähnte Paradigmatische dieser Auseinandersetzung ist aber genau jener Bereich, das eine Beschäftigung mit dem Thema auch heute noch aktuell erscheinen lässt.

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