Psychologie eines Lesers, oder: Was hat mich dazu verführt, mir diesen Reisebericht aus dem Jahre 1884 (Jahr der deutschen Übersetzung, die von Reinhold Teuscher stammt, einem Dr. med. gemäss Titelblatt) zuzulegen? Ganz einfach: Es sind zwei Schlüsselwörter und ein optischer Schlüsselreiz. Als ich nämlich das Buch im Katalog sah, fiel mir als erstes auf dem vorderen Deckel das Bild eines Raddampfers auf, der auf einem Fluss durch eine Dschungel-Landschaft kurvt. Mangroven, Krokodile, Männer mit Flinten auf dem Deck des Schiffes … Dazu eben die beiden Schlüsselwörter Humoristisch und Reise im Titel – fertig war die Assoziation mit Mark Twain.
(Nun halte ich Mark Twain keineswegs für den harmlosen Humoristen, als der er uns bis heute verkauft wird. Er hat sich ja bekanntlich auch selber immer gegen dieses Etikett gewehrt. Nichtsdestotrotz gibt es Bücher von ihm, und darunter auch und gerade Reiseberichte, auch und gerade jener Reisebericht, der ihn berühmt machte – ich meine natürlich The Innocents Abroad (dt.: Die Arglosen im Ausland) von 1869 – Bücher also, in denen ein einfacher Humor gegenüber satirisch-moralischen Anliegen obwiegt.)
Etwas im Stil dieser Reiseberichte von Mark Twain erwartete ich, vielleicht nicht ganz so gut wie vom Meister persönlich. Meine Erwartungen wurden zugleich bestätigt und widerlegt. Tatsächlich ist der Stil ein ganz ähnlicher; die Art und Weise, wie in diesem Buch aus einer Situation Witz gezogen wird, entspricht genau der Mark Twains: Die Autoren Sweet und Knox beginnen einen Satz, bauen im Leser eine Erwartungshaltung auf darüber, wie so ein Satz weiterzugehen hat – und stülpen dann den ganzen Satz im zweiten Teil um. Auch die Figuren sind ähnlich: Der ungeschickt-naive Reisende und Ich-Erzähler und sein womöglich noch ungeschickterer Begleiter. Tatsächlich muss ich gestehen: Mark Twain selber hätte es nicht besser gekonnt. Ja, eine Zeitlang schienen mir Sweet und Knox ihrem Landsmann und Zeitgenossen sogar überlegen zu sein; die beiden Texaner konnten den Level ihres Humors besser und länger durchhalten als der Missouri-Man. (Alle sind aber, soweit ich das überblicken kann, ganz eindeutig durch dieselbe Schule gegangen, die der US-amerikanischen humoristischen Presse.) Zum Schluss des Buchs ergeht es Sweet und Knox, wie es auch Mark Twain praktisch jedesmal in seinen Büchern ergeht: Sie verlassen die humoristische Ebene und werden ernst – politisch ernst. Dabei werden sie auch inkonsequent: Einerseits verurteilen sie die Indianer und die Mexikaner pauschal und stecken sie beide in die Kategorie der Pferde- und Strauchdiebe. Vor allem die Indianer scheinen ihnen von der zuständigen US-amerikanischen Indianerbehörde unnötig gehätschelt zu werden – Aussagen, wie man sie auch heute und hierzulande immer wieder über Sozialbehörden und die von ihnen Betreuten lesen kann. Andererseits aber müssen sie auch zugeben, dass die US-amerikanischen Behörden mit wenig Feingefühl vorgehen: Hier werden zwei Stämme zusammen in ein Reservat gepfercht, die einander spinnefeind sind; dort zwingt man einen Stamm, der bis anhin vom Fischfang lebte, in eine halbtrockene Wüste, wo selbst erfahrene Ackerbauern Mühe hätten, ihren Lebensunterhalt von der Scholle zu ernten.
Der Originaltitel des Buchs, das aus diversen Zeitungskolumnen zusammen gesetzt wurde (was man manchmal auch ein bisschen merkt), lautet: Through Texas on a Mexican Mustang. Sein Inhalt erschien 1882/83 zuerst in einer Humoristischen Wochenzeitschrift, Texas Siftings, die die beiden zusammen herausgaben. Ausgaben des Buchs sind in den USA noch bis 1905 nachweisbar; danach hat wohl Mark Twains Stern alle andern Reise-Humoristen des Landes überstrahlt.
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