Malcolm Lambert: Ketzerei im Mittelalter

Im Vorwort sagt Lambert, dass dieses Buch eine „Arbeitssynthese“ über den derzeitigen (Erscheinungsdatum der englischen Originalausgabe 1981) Forschungsstand – für Studenten oder Wissenschaftler – sei, die mit einer einbändigen Einführung ihr Auskommen finden wollen. Und genau diesen Anspruch hat der Autor mit diesem Buch eingelöst, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ersteres, nämlich der Versuch einer geschichtsphilosophischen Aufarbeitung neben der Darstellung des Quellenmaterials, pflegt ohnehin häufig schief zu gehen: So etwa bei dem kürzlich besprochenen Buch über Wunder oder auch bei so berühmten Autoren wie P. Veyne, der in einer Fußnote seines Buches „Glaubten die Griechen an ihre Mythen?“ peinlicherweise (und völlig ernsthaft) darauf rekurriert, dass die Nichtexistenz Jupiters noch niemals bewiesen worden wäre. Vor derartigen intellektuellen Peinlichkeiten bleibt man hier auf wohltuende Weise verschont.

Eine kurze Einführung zum Problem und der Definition der Ketzerei folgt ein ebenso kurzes Resumee über erste frühmittelalterliche Häresien, insbesondere jene manichäischer Natur. Denn genau diese kommen in der ersten genuin mittelalterlichen Ketzerei, dem Bogomilismus, zum Ausdruck, eine Ketzerei, die (wie viele andere) von einzelnen charismatischen Personen abhängig und in ihrer Orientierung an der Bibel für viele weitere Bewegungen paradigmatisch war. So etwa bei den Katharern, aber auch den Waldensern, die – neben der in allen diesen Häresien steckenden Kritik an der mächtigen, römischen Kirche nebst deren recht unchristlichen Begleiterscheinungen – sich immer auf ein in den heiligen Büchern zu findendes, „reines“ Christentum bezogen, das sein Ideal in den urchristlichen Gemeinden sah.

Mit Innozenz III. änderte sich die anfangs wenig strukturierte Haltung der offiziellen Kirche gegenüber den Häretikern: Es kam zur Einrichtung der Inquisition, die vor allem unter Gregor IX. jene entscheidende Machtfülle erhielt, die sie zu einer weitgehend autonomen Geheimpolizei werden ließ, sie musste ihre Maßnahmen weder begründen noch verantworten. Während die Katharer diesem Angriff nichts entgegenzusetzen hatten, hielt sich das Waldensertum in abgelegenen Alpentälern bis in die frühe Neuzeit, um dann in den noch existierenden kleinen Gruppen von Taboriten bzw. der Unitas Fratrum (den späteren Herrnhutern) aufzugehen.

Eine sehr ausführliche Darstellung widmet Lambert dem Lollardentum, einer von Wycliff inspirierten, englischen Ketzerei. Neben den üblichen Vorwürfen an den unmoralischen Lebenswandel der Geistlichkeit wurde hier das Problem der Trans- bzw. Konsubstantiation thematisiert: Da sich Wycliff als strenger, philosophischer Realist präsentierte, hatte er Schwierigkeiten, die zauberhaften Verwandlungen zu akzeptieren. Die Hussiten in Böhmen, die stark von Wycliff beeinflusst waren (ohne aber seine philosophischen Positionen zu integrieren) waren schließlich die erste Gruppe, die der Kirche erfolgreich militärischen Widerstand entgegensetzte. Peinliche Niederlagen großer Heere zwangen die Kirche zu Verhandlungen, diese allerdings wurden mit viel Geschick und Diplomatie geführt, sodass nur wenig von den hussitischen Forderungen umgesetzt wurde (und so gar nichts in Bezug auf die Unmoral und Weltlichkeit des Klerus, der zu Anfang einen den Hauptkritikpunkte bildete). Die verschiedenen hussitischen Strömungen (Utraquisten, Taboriten etc.) gingen schließlich in den reformatorischen Bewegungen des 16. Jahrhunderts auf, einzig die erwähnten Herrnhuter konnten sich ein gewisse Eigenständigkeit erhalten.

Das einzige, was an diesem Buch kritisiert werden könnte, ist seine – an ältere Geschichtsbücher – angelehnte Sprache. Hier wird häufig (unbeabsichtigt?!) die Position der Mächtigen eingenommen, sodass man „zur Verfolgung schreiten muss“ oder aber Urteile der Inquisition als „gerecht“, Standpunkte der offiziellen Kirche als „richtig“ bezeichnet werden. Dadurch entsteht der Eindruck, als ob der Empfang der Kommunion in beiderlei Gestalt oder die Berechtigung von Fürbitten durch rationale Argumente entschieden werden könnten: Während es einzig eine Frage der Macht ist, welche Ansicht sich als die „richtige“ entpuppt. Eine solche „machtaffine“ Sprache findet sich – wie erwähnt – in Büchern aus dieser Zeit häufig: Mittlerweile ist man in Bezug auf solche Formulierungen vorsichtiger geworden. Dem überaus positiven Gesamteindruck tut dies aber keinen Abbruch.

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