Alexander von Humboldt: Kosmos

Werke. Darmstädter Ausgabe. Band VII (in 2 Teilbänden). Herausgegeben und kommentiert von Hanno Beck. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 22008.

Kosmos ist Alexander von Humboldts grosses Alterswerk. Noch einmal – um ein abgedroschenes Bild zu verwenden – steigt der alte Mann in den Ring, um die Ergebnisse seiner Reisen, seiner Forschungen festzuhalten. Nicht nur seiner Reisen und Forschungen allerdings: Der Titel des Buchs ist Programm. So, wie Alexander von Humboldt den ganzen Kosmos, Himmel und Erde, beschreiben will, so übernimmt er auch die Forschungsresultate eines ganzen Kosmos an Wissenschaftern, um sie zu präsentieren. Mit Kosmos bescherte Alexander von Humboldt sich und seinem Verleger (Cotta jr.) einen Bestseller. 1845-1862 zum ersten Mal erschienen, erlebte Kosmos noch zu Lebzeiten Humboldts drei Auflagen. Das Lesepublikum habe seinen Buchhändlern das Werk im wahrsten Sinn des Wortes aus den Händen gerissen, berichtete Cotta jr. an seinen Star-Autor.

Kosmos ist, wie die Ansichten zur Natur, ein populärwissenschaftliches Buch. Humboldt zeigt, dass es (mindestens noch zu seiner Zeit) durchaus möglich war, als Naturwissenschafter eine führende Rolle einzunehmen und die Resultate der Wissenschaft dem Laien verständlich und interessant machen zu können. Dabei blieb Kosmos unvollendet – Alexander von Humboldt ergänzte und las bis zu seinem Tod.

Zum Inhalt: Einleitenden Betrachtungen folgt ein Kapitel über die Motive, die einen Menschen zur Naturwissenschaft führe können. Es ist bezeichnend für Alexander von Humboldt, dass da die schönen Künste keine kleine Rolle bilden. Und so erhält der Leser ganz nebenbei einen Abriss der Kunst- und der Literaturgeschichte, bevor Humboldt dann ganz in der Beschreibung der Welt eintaucht. Immer geht es Alexander von Humboldt um die Natur, und so stellt er eine Anzahl der schönsten Stellen mit Naturbeschreibung vor, angefangen mit dem Buch Hiob über die Göttliche Komödie, Caldéron, den Don Quijote bis hin zu Schiller und Goethe. Dasselbe für die Malerei, die Landschaftsmalerei genauer gesagt, wo Alexander von Humboldt dann über die Geschichte hinausgeht: Er gilt als einer der ersten, der die Landschaftsmaler auf die grossartige und so völlig andere Natur der Tropen hinwies.

Die Naturbeschreibung setzt ganz ‘vorne’ an, beim Universum. Galaxien zuerst, dann die Milchstrasse, die Sonne, die Planeten, der Mond, die Erde – bei allen Himmelskörpern versucht er, Entstehung und aktuelle Form zu beschreiben. Immer geht es Humboldt darum, den neuesten Stand der Forschung zu referieren, selbst in der Astronomie, die sein Gebiet ja nicht war. In der Naturwissenschaft verzichtet er allerdings auf eine geschichtliche Darstellung. Beide Plinius werden zwar ein paar Mal erwähnt, aber schon fast eher als wissenschaftliche Kuriosität. Die Zeit, als die Naturwissenschaft auch die alten Römer oder Aristoteles ernst nahm, wurde von ihm abgeschlossen. Newton, Kepler, Galileo und Herschel sind die neuen Leitsterne, die er propagiert.

Auf der Erde geht Humboldt dann genaus so systematisch vor, wie im grossen Kosmos. Er beginnt mit einer Beschreibung der Erde als physischem Körper. Die Erdrinde, deren Material, das Innere der Erde (soweit er darüber gesicherte Kenntnisse vorweisen kann!), die Kontinente und die Ozeane, die Atmosphäre. Danach Pflanzen, Tiere, der Mensch. Er scheint sowohl die Theorie der Kontinentalverschiebung wie die der Entstehung der Arten zumindest zu ahnen.

Humboldt wendet sich vehement gegen Thesen, wonach die menschlichen Rassen grundverschieden sind – Thesen, mit denen damals wie heute eine Ungleichbehandlung untermauert wird; Thesen, die zu Humboldts Zeit einer Kolonialisierung und Versklavung Schwarzafrikas als Begründung dienten. Neben der Tatsache, dass Alexander von Humboldt überall Misch- und Übergangsformen sieht, untermauern für ihn die Gleichheit vor allem sprachwissenschaftliche Befunde. Auch in die Sprachwissenschaft nimmt er also Einblick; er kennt und zitiert alle grossen Namen seiner Zeit: seinen Bruder Wilhelm, die beiden Brüder Schlegel und die beiden Brüder Grimm. Die jüngeren Linguisten, die sich von der weltumspannenden Betrachtung auf eine historische und aufs Deutsch-Germanische konzentrierte Auffassung von Sprachwissenschaft zurückgezogen hatten, zitiert er sie nicht. Ein rein historisches Interesse an Dingen lag ausserhalb seines Weltbilds.

Leider umfasst die Darmstädter Ausgabe nur die ersten beiden der vier Textbände von Kosmos. Wer eine vollständige Ausgae zu haben wünscht, ist auf Antiquariate angewiesen. Neben der Originalausgabe (die schon in vier Bänden sehr teuer ist, mit dem fünften Band – dem Registerband – praktisch unerschwinglich wird) gibt es dort vielleicht auch die einbändige, aber komplette Ausgabe, die 2004 in der Anderen Bibliothek (noch unter Enzensberger und bei Eichborn) erschienen ist. Dieser Ausgabe sind auch Karten beigefügt. Deren Schicksal ist ja nochmals speziell: Von Heinrich Berghaus, einem Mitarbeiter Humboldts, von Anfang an als Beilage zu Kosmos gedacht, erschienen sie wegen Querelen der Verlagshäuser, die ihre jeweiligen Stars nicht freigeben wollten, anstatt bei Cotta bei Perthes und wurden nie zusammen ausgeliefert – bis eben 2004.

Eine auf Grund ihrer Länge und Ausführlichkeit nicht einfache Lektüre, die aber dadurch belohnt, dass der Leser der Faszination der Wissenschaft etwas näher kommt – eine lohnende Lektüre auch, weil Alexander von Humboldt wahrscheinlich der letzte war, den man noch mit einigem Recht einen ‘Universalgelehrten’ nennen konnte. (Natürlich stimmt, was der Herausgeber der Darmstädter Ausgabe festhält, wenn er darauf hinweist, dass Alexander von Humboldt kein ‘echter’ Universalgelehrter mehr war: Die Chemie z.B. kannte A. von Humboldt kaum noch.) Es braucht Geduld für die Lektüre des Kosmos, aber diese Geduld wird m.M.n. belohnt.

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