E. Werner, M. Erbstößer: Kleriker, Mönche, Ketzer

Meine anfängliche, hier geäußerte Skepsis, hat sich glücklicherweise nicht bewahrheitet – im Gegenteil: Das Buch hat sich als sehr gut lesbar und auch informativ erwiesen, bietet eine wohltuende Alternative zu den vielen Darstellungen, die aus der religiös-theologischen Ecke kommen, ohne aber in irgendeiner Weise gegen Religion zu polemisieren.

Dabei wird der Fokus auf die Zeit des Hochmittelalters gelegt, auf die beginnenden Auseinandersetzungen von Kirche und Staat und die Entstehung größerer Städte, die in diesem Machtgefüge eine zunehmend einflussreichere Rolle spielten. In diesen Städten sind auch die ersten Formen häretischer Bewegungen entstanden: Ein korrupter, machtgieriger Klerus wurde für einen großen Teil der Menschen immer mehr zum Inbegriff dessen, was Kirche nicht sein soll. Und so haben alle diese Strömungen das Armutsideal für sich entdeckt, boten aufgrund ihrer vorgelebten Ideale eine sehr viel größere Glaubwürdigkeit und erzielten so beträchtliche Erfolge in der Bevölkerung. Die Kirche selbst stand diesen Bewegungen anfangs hilflos gegenüber: An eine Reform der Machtstrukturen dachte man nicht, die Verfolgung wurde erst mit der Inquisition im 13. Jahrhundert auf eine effektive Grundlage gestellt (wobei die tatsächlichen Probleme nur unterdrückt wurden: Der Erfolg der Reformatoren zu Beginn der Neuzeit fußte auf den noch immer gleichen – und berechtigten – Vorwürfen) und die Entstehung der Bettelorden konnte nur für kurze Zeit den Druck auf die Kirche verringern.

So waren die Zisterzienser, die anfangs eine ebenfalls der Armut verhaftete Kirche im Auge hatten, schon bald von der ursprünglichen Idee, neues Land urbar zu machen, abgekommen. Die Klöster entwickelten sich zu bedeutenden Wirtschaftsfaktoren, die Rodung unbesiedelter Länder wurde durch die Unterdrückung und Vertreibung der Bauern von ihren fruchtbaren Ländern ersetzt. Daneben engagierte sich der Orden auch im Bergbau und wurde so zu einem wichtigen ökonomischen Konkurrenten der aufstrebenden Städte. Noch heute zählen die Zisterzienser zu den größten Grundbesitzern und verfügen über einen beachtlichen, wirtschaftlichen Einfluss (der zum Großteil eben auf Enteignung und Unterdrückung der in ihrem Gebiet damals ansässigen Bauern beruht).

Auch die Bettelorden der Dominikaner bzw. der Franziskaner verloren durch die Integration in die kirchliche Organisation sehr schnell an Ansehen in der Bevölkerung: Sie dienten der Kirche vor allem im Bereich der Inquisition, die als die eigentlich erste Geheimpolizei der Geschichte (ausgestattet mit besonderen Vollmachten, nur gegenüber dem Papst rechtfertigungspflichtig) jenen Armutsbewegungen, die sich in die offizielle Kirche nicht integrieren ließen, sehr viel effektiver zu verfolgen in der Lage waren als etwa die bis dahin für Ketzerei zuständigen Bischöfe (die aufgrund ihrer Verbindung mit dem Landadel und der Bevölkerung sehr viel rücksichtsvoller agieren musste und auch wollte).

Die Darstellung der Verfolgung beschränkt sich in diesem Buch hauptsächlich auf die Waldenser und die Katharer (Joachimiten oder die „freie Geist Bewegung“ werden nur gestreift), wobei die Katharer (deren Ideen aus dem Umfeld der Gnosis, der Neuplatoniker stammten) ihre Erfolge durch eine Zweiteilung in „perfecti“ und „credentes“ erzielten: Diese führten ihr bisheriges Leben fort, unterwarfen sich kaum Einschränkungen (halfen aber selbstverständlich bei Verfolgungen ihrer Glaubensbrüder), während jene den harten Kern der Bewegung bildeten: Sie waren absolut leibfeindlich eingestellt (eigentlich „materiefeindlich“: Die Materie und also die Welt war ein Werk des Satans, der göttliche Geist – in die Materie gesperrt – sollte danach streben, diese Welt so schnell als möglich wieder zu verlassen, weshalb manche perfecti durch fortgesetztes Fasten ihr Leben bewusst aufs Spiel setzten), verwarfen alle Äußerlichkeiten (wie etwa Kirchen, Kruzifixe, sie tauften durch Handauflegung, nicht durch Wasser (= Materie)) und konnten den credentes das sogenannte consolamentum vor ihrem Tod erteilen, wodurch deren Seele Rettung zuteil wurde. Die extremen, weltfremden Forderungen des Katharertums verhinderten eine größere Ausbreitung: Jede Fortpflanzung war im Grunde Sünde (da sie die materielle Welt weiterbestehen ließ), man durfte keinerlei „Zeugungsprodukte“ zu sich nehmen (der Veganer lässt grüßen) – außer Fischen, die man nicht durch Zeugung entstanden glaubte, keinen Wein trinken etc. Dass ihr Erfolg trotzdem beträchtlich war lag vor allem an der Unzufriedenheit mit der reichen, mächtigen Kirche, die man als des Teufels ansah und von der Heil nicht mehr zu erwarten war. Ähnlich wie bei den Waldensern (deren Bestimmungen sehr viel praktikabler waren, die allerdings auf keine entsprechende Organisation verweisen konnten und von denen Teile der Kirche wieder angegliedert wurden) war es schließlich die Inquisition (durchgeführt von den Dominikanern), die diesen Häresien ein Ende bereitete (allerdings muss man hier betonen, dass ohne die machtpolitische Einbeziehung etwa des französischen Königs oder Friedrich II. eine solche Ausrottung nicht möglich gewesen wäre).*

So demonstriert dieses Buch das Scheitern der Kirche trotz aller Verfolgungen der Armutsbewegungen: Weil sie es nicht verstand, das eigene System zu reformieren. Die Renaissancepäpste (die Luthers Zorn hervorriefen) waren ähnlich machtbesessen wie Gregor VII. oder Gregor IX., die Einbindung der Minderbrüder (Dominikaner und Franziskaner) als kirchliche Orden konnten nur für kurze Zeit als Ventil dienen: Die Integration in die Hierarchie korrumpierte schon nach sehr kurzer Zeit die Grundgedanken (etwa eines Franz von Asissi, der gegen Ende seines Lebens eine solche Entwicklung wohl schon voraussah, sie aber nicht mehr steuern konnte). Die Diskrepanz zwischen einer mächtigen Organisation und armutsbasierter, evangelikaler Nachfolge Christi konnte nicht aufgelöst werden – und ist auch nicht lösbar: Macht und Armut sind nicht kompatibel.


*) Für die Katharer wurde sogar die Kreuzzugsidee instrumentalisiert: Das Gemetzel des Albigenserkreuzzuges kann aber selbst aus kirchlich-rechtgläubiger Sicht kaum als Erfolg gewertet werden: Die bestialische Vorgangsweise der Kreuzritter im Süden Frankreichs hat zu einer gewissen Solidarität mit den Katharern geführt.

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