Jean Ziegler: Der Hass auf den Westen

Ziegler ist ein erklärter Globalisierungsgegner und scharfer Kritiker des Kapitalismus, dem er immer wieder eine rücksichtslose Ausbeutung zur Last gelegt hat, eine Ausbeutung, die mit Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen Hand in Hand geht. In diesem Buch nun versucht er den Hass zu erklären, der „dem Westen“ (womit v. a. Europa und die USA, im Grunde aber die weltweit dominierenden Wirtschaftsmächte gemeint sind) in vielen Ländern der südlichen Hemisphäre entgegenschlägt. Während er im ersten Teil des Buches die generelle Doppelzüngigkeit und die noch immer vorhandene koloniale Mentalität vieler westlicher Staaten beschreibt, behandelt er im zweiten Teil Nigeria und Bolivien (das des Evo Morales) als Beispiele für die Möglichkeiten (und Unmöglichkeiten), dieser globalen Wirtschaftsmacht zu entkommen.

Dass die Wurzeln für den Hass im kolonialen Zeitalter liegen ist offenkundig: Über Jahrhunderte haben die Völker Afrikas, Asiens und Amerikas nur Unterdrückung und Verachtung erfahren, exemplarisch dafür ist die von Karl V. angeregte Disputation zwischen Las Casas und Sepúlveda im Jahre 1550, in der über den Status der Ureinwohner als Menschen entschieden werden sollte (man ahnt den Ausgang: Hätte man sie als menschliche Wesen betrachtet, wären sowohl Versklavung und Ausrottung als auch die Aneignung der Länder eine moralisch problematische Sache geworden, derlei galt es zu verhindern)*. Angesichts dieser historischen Erfahrung ist die Skepsis vieler Entwicklungsländer gegenüber den westlichen Staaten mehr als verständlich: Und die Vermutung, dass es diesen sich humanistisch gerierenden Nationen mehr um ökonomische Vorteile geht denn um Menschenrecht oder Demokratie, mehr um ihre Handelsbilanz denn um Armutsbekämpfung und Bildung für alle, hat sich für sie immer wieder bestätigt.

Am Beispiel Nigerias lassen sich die Folgen dieser Einflussnahmen zeigen: Dieses Land ist der achtgrößte Erdölexporteur der Welt (mit entsprechenden Erlösen), rangiert aber in der Armutsstatistik auf Rang 162 von 180. Nigeria wird von verschiedenen einflussreichen Militärs regiert, die die Einnahmen der Ölexporte unter sich aufteilen, die vorgebliche Demokratie wird zu Recht als vollkommen korrupt bezeichnet, die Wahlen verdienen eine solche Bezeichnung nicht (über diese Einschätzung sind sich die EU als auch die USA einig). Dennoch werden mit der Regierung Geschäfte gemacht – und zwar höchst profitable: Denn da den Militärs an einer nachhaltigen Wirtschaft ebensowenig gelegen ist wie an Umweltschutz (oder Menschenrechten), ist die Erdölförderung in Nigeria von ökologischen Vorschriften weitgehend befreit. Das Ergebnis ist ein völlig verseuchtes Nigerdelta sowie die Unmöglichkeit, in diesem Bereich weiterhin Landwirtschaft oder Fischfang zu betreiben, was zu einer weitgehenden Verelendung der Bevölkerung geführt hat. Von den Unsummen, die durch diese Politik erwirtschaftet werden, sieht die Bevölkerung nichts – im Gegenteil: Der Lebensstandard in diesen Gebieten ist in den letzten Jahrzehnten sogar noch gesunken. Und wiewohl überall die Farce der nigerianischen Wahlen angeprangert wurde, hat man den „gewählten“ Präsidenten nur drei Monate nach seiner Wahl bei einem G8-Treffen (dem in Heiligendamm) bereits wieder hofiert (und wohl wirtschaftlich günstige Verträge abgeschlossen).

Bolivien (als das zweitärmste Land Südamerikas) ist einen anderen Weg gegangen: Seit 2006 gibt es dort den ersten indigenen Präsidenten Südamerikas, der zum Leidwesen des Westens die ebenfalls reichen Erdölvorkommen nur unter strengen Auflagen westlichen Firmen zur Förderung überlässt: Wobei das Eigentumsrecht an diesen Vorkommen gänzlich wieder auf den Staat übertragen wurde (viele ausländische Firmen wurden dadurch enteignet, was vor allem in den USA zu großen Protesten geführt hat). Der häufig autoritäre Führungsstil Morales‘ (der von Ziegler im übrigen nicht erwähnt wird) wie auch die wenig durchdachte Landwirtschaftspolitik können über den Erfolg der Regierung für die Bevölkerung des Landes nicht hinwegtäuschen: Die Staatseinnahmen sind seit der Machtübernahme um fast 500 % gestiegen, bedeutende Summen wurden in die Bildungspolitik investiert. Insofern scheint die westliche und us-amerikanische Kritik an Morales wenig berechtigt: Waren doch gerade die von den US-Amerikanern unterstützten Regierungen noch sehr viel weniger an Fortschritt und Menschenrechten für die Bevölkerung interessiert, sondern (wie eben in Nigeria) sehr viel mehr an wirtschaftlichem Nutzen.

Dass Ziegler mit seiner Kritik am Westen zumeist (oder fast immer) Recht hat kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass er auch häufig (wie etwa bei Morales, auch in Kuba oder früher in Lybien) diese selbsternannten Führer des Volkes ein wenig zu blauäugig betrachtet. Selbstverständlich haben diese Führer das Recht, die selbstgerechte und selbstgefällige Kritik des Westens zurückzuweisen: Und zwar mit dem Hinweis, dass zu solcher Kritik nur derjenige berechtigt ist, der sich an der Ausbeutung der zahlreichen Entwicklungsstaaten nicht beteiligt. Nun aber ist offenkundig, dass die EU sehr viel weniger eine Wertegemeinschaft denn eine Wirtschaftsgemeinschaft ist: Und niemand in dieser EU befindet die ungeheuren Landwirtschaftsförderungen als irgendwie unanständig, auch wenn sie die einheimischen Landwirtschaften in Afrika völlig ruinieren. Im Gegenteil: Diesen Ländern werden (bei Drohung der Kürzung von Entwicklungshilfe) häufig die entsprechenden Verträge aufoktroyiert, Verträge, die genau das unmöglich machen, wovon manche politische Sonntagsrede berichtet: Dass die einheimische Wirtschaft dieser Länder gestärkt werden müsse, um sie von sich aus überlebensfähig zu machen. Und es ist genau diese unerträgliche Doppelmoral, die das Ansehen des „humanistischen“ Westens in diesen Ländern beschädigt und die auch entsprechend radikale Gruppierungen entstehen lässt**. Aus Widerstandsbewegungen entstehen häufig neue (linke?) Diktaturen, die an der Macht ebenso Gefallen finden wie rechte oder religiöse Führer. Eine solche Entwicklung kommt jedoch nur in Gang, wenn Völker (häufig im Namen des Freihandels) unterdrückt und ausgebeutet werden, wenn sie von den wirtschaftlich mächtigen, allüberall die Menschrechte im Munde führenden Demokratien übervorteilt werden.

Die Darstellungen in diesem Buch sind mir teilweise zu plakativ und zu einseitig: Man kann auch mit der Wahrheit lügen. Aber irgendwie kann ich diese Art des Schreibens auch nachvollziehen: Die unerträgliche Heuchelei westlicher Staaten, deren Wohlstand zu einem Gutteil durch rücksichtslose Ausbeutung der Entwicklungsländer finanziert wird, macht eine solche Schreibweise nachvollziehbar und verständlich. Und so ist das Buch durchaus zu empfehlen, wenn auch mit einigen Einschränkungen.


*) Trotzdem entblödete sich 2007 Benedikt XVI. in Rio de Janeiro nicht, von der „500jährigen Beseelung des Lebens und der Kultur der indianischen Völker durch den christlichen Glauben zu sprechen“.

**) Teilweise ist auch der IS so entstanden: Man marschiert mit viel moralischer Heuchelei in ein Land (Irak) ein, um die Bevölkerung von einem Diktator zu befreien, unterstützt eine neue Elite (die Schiiten, die bis dahin weitgehend unterdrückt wurden), ohne sich darum zu kümmern, dass nun plötzlich die Sunniten von der Regierung zu Untermenschen erklärt werden. Und wundert sich dann, wenn der IS Unterstützung erfährt, der im Grunde diese Behandlung der Sunniten erst offenbar gemacht hat. (Ich erinnere mich an ein Interview (im ZDF *glaub*), in dem sunnitische Dorfbewohner ihre Dankbarkeit gegenüber dem IS ausgedrückt haben: Sie wären die einzigen gewesen, die sie vor der Willkür und Barbarei der Regierungstruppen geschützt hätten.)

Jean Ziegler: Der Hass auf den Westen. München: Bertelsmann 2009.

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