Tilmann Lahme: Die Manns

Untertitel: Geschichte einer Familie. Tatsächlich gelingt Tilmann Lahme hier so etwas wie die Kubatur der Kugel. Indem er fast nur die Mitglieder der Familie Mann in eigenen Briefen oder Tagebuchauszügen zu Wort kommen lässt, haben wir so etwas wie eine Autobiografie von uns – eine Autobiografie von 8 Personen gleichzeitig. Indem er seine Auszüge klug und gewitzt montiert, gelingt es ihm, die Widersprüche und Querelen, die unter den Mitgliedern der Familie Mann ständig stattfanden, eben so ständig wie anschliessende halbherzige Versöhnungen, ohne viel eigene Worte aufzudecken – Widersprüche und Querelen, die die Manns gegenüber aussen gern unter dem Deckel behielten. Und schliesslich gelingt es ihm, das Ganze so anzurichten, dass eine Art spannender und abgerundeter Familienroman entsteht, den der Leser von A bis Z verschlingt.

Zum Erstaunen meines Kollegen scheichsbeutel schätze ich  den Romancier Thomas Mann bedeutend weniger als seinen Bruder Heinrich. Heinrich ist meiner Meinung nach der Bodenständigere der beiden, der geradlinigere Erzähler, der auch bedeutend offenere Augen hatte für die gesellschaftlichen Probleme und Entwicklungen seiner Zeit. Thomas Manns Romane drehen im Grunde genommen immer um dasselbe Thema: den empfindlichen Künstler auf dem Weg zu seiner Bestimmung oder auch am Ende derselben von seiner künstlerischen Höhe herunterfallend – also um Thomas Mann selber. Dazu kommt die meist preziöse, gekünstelte und geschraubte Sprache, derer sich Thomas Mann bedient. Am wenigsten ist das vielleicht in den Buddenbrooks der Fall, der Roman, der als sein autobiografischster gilt (aber auch da: Hanno).

(Thomas Mann schreibt sehr oft autobiografisch – wie sein Sohn Klaus übrigens auch. Wenn Thomas in Lotte in Weimar ein Bild des Goethe-Sohns August entwirft, das diesen als halt- und willenlosen Alkoholiker zeichnet, unfähig sich selber zu ernähren und vom Vater in allen Belangen abhängig, waren vor allem Klaus und Michael alles andere als amüsiert – zu gut wussten sie, was Thomas meinte, und erkannten ihren Vater in Goethe, sich selber in August.)

Von den übrigen Familienmitgliedern haben alle, alle geschrieben und veröffentlicht – mit Ausnahme der Mutter Katja. Klaus Mann mag, wie Tilmann Lahme festhält, eine wichtige und eine gute Stimme gewesen sein im Konzert der Exilautoren zur Nazi-Zeit. Er schreibt sicher auch weniger preziös als sein Vater, ist hierin näher an seinem Onkel. Sein Roman Mephisto (der in der Schweiz schon immer erhältlich war) machte auf mich einen zerrissenen und fahrigen Eindruck. Mag sein, das war von Klaus Mann so gewollt. Von Klaus und Erika Mann zusammen erschien z.B. ein Reisebericht Rundherum, in der sie von einer gemeinsamen Weltreise erzählen. Es ist der Bericht zweier verwöhnter Kinder aus reichem Haus, die vorwiegend in Luxushotels absteigen – nicht sehr interessant also, auch sprachlich nur hingerotzt. Erika Manns Erinnerungen an ihren Vater – Mein Vater, der Zauberer – stellen dann praktisch reine Heldenverehrung dar. Von Golo Mann habe ich seine Autobiografie und seine Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts gelesen – erstere langweilig, letztere solide und auch sprachlich überzeugend: ein Stil irgendwo in der Mitte von dem seines Vaters und dem seines Onkels. Dass die andern Kinder ebenfalls publiziert haben wusste ich nicht. Im Falle von Monika, wo Tilmann Lahme einige Beispiele in diesem Buch hier aufführt, ist es wohl auch keine grosse Lücke in meinem literarischen Wissen. Ihre Gedichte erinnern mich an jene, die bis heute in dicken Lyrik-Bänden gesammelt werden – auf Kosten des jeweiligen Amateur-Autors, der stolz und glücklich ist, sich veröffentlich zu sehen und gerne dafür bezahlt.

Die Manns waren nach heutigen Massstäben ein Fall für Verhaltenstherapeuten und die Kinder- und Erwachsenen-Schutz-Behörde. Thomas Mann kümmerte sich kaum um seine Kinder; sie belasteten ihn und störten ihn bei der Konzentration auf seine Arbeit. Anlaufstelle für die Kinder war und blieb ihr Leben lang die Mutter Katja, die die meisten Probleme der Kinder von Thomas fern hielt. Dabei war sie keineswegs eine ideale Mutter. Sie büschelte ihre Kinder nach Alter in Pärchen und zog das jüngste Pärchen (Elisabeth und Michael) dem ältesten (Erika und Klaus) bei weitem vor, dieses wiederum dem mittleren (Golo und Monika). Der Vater Thomas tat es ihr hierin nach. Golo und Monika litten ihr Leben lang daran, dass ihre Eltern sie praktisch nie beachtet hatten. Dass es nach Katjas Tod genau diese beiden waren, die das elterliche Haus in Kilchberg (ZH) weiter bewohnen wollten, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. (Golo allerdings war immer verreist, wenn Monika eintraf – er hätte gerne auch sie wie die übrigen verbliebenen Geschwister [Klaus war bereits tot] ausbezahlt und das Haus für sich alleine gehabt.)

Das Buch setzt 1922 ein – ab da wird der Briefwechsel zwischen Eltern und Kinder und der Kinder untereinander wirklich bedeutend. Es endet 2002 mit dem Tod der letzten Mann-Tochter, Elisabeth Mann Borgese. Es ist verblüffend, wie viele Briefe aneinander in dieser Familie geschrieben wurden – und wie oft die wirklich wichtigen und belastenden Themen in den Briefen umgangen oder umschrieben wurden.

Da sind die Drogen: Klaus war hochgradig süchtig, verschiedene Entziehungskuren halfen jeweils nur kurzfristig. Erika hatte ihre Sucht besser unter Kontrolle, war aber ebenfalls drogenabhängig. Und der Vater Thomas empfahl seinen Kindern, wenn es ihnen körperlich oder geistig schlecht erging, stärkste Medikamente zu nehmen – wie er es selber auch tat. Michael war Alkoholiker und jähzornig – er vermasselte sich deswegen eine gerade erst begonnene Karriere als Solobratschist, weil er in Suff und Zorn auf seine Klavier-Begleiterin einschlug (immerhin eine Schwester von Yehudi Menuhin, der dafür sorgte, dass die grossen Konzertveranstalter nichts mehr von Michael wissen wollten).

Da ist die Homosexualität: Mindestens die Hälfte der Familie war homosexuell – angefangen beim Vater Thomas. Katja muss es irgendwann mitbekommen haben, dass er sie vor allem einmal als gesellschaftliches Schutzschild heiratete, denn Thomas Mann notiert in seinem Tagebuch einmal, wie dankbar er dafür sei, dass sie Verständnis dafür habe, wenn er einmal auf einen Frauenkörper keine Lust aufzubringen vermöge. Klaus wie Golo standen ebenfalls auf Männer, was (zusammen mit seiner Drogensucht) bei Klaus beinahe dazu geführt hätte, dass ihm die US-amerikanische Staatbürgerschaft nicht erteilt worden wäre. Golo war vorsichtiger und zurückhaltender. Erika war zumindest bisexuell, zog aber wohl Frauen vor.

Da war das Geld: Lange Zeit hing die ganze Familie Mann im Grunde genommen am Tropf von Katjas Eltern. Später, in den USA, war es Thomas Mann, der immer wieder für seine Kinder aufkommen musste – vor allem Michael, bereits über 3o, verheiratet und Bratschist am San Francisco Symphony Orchestra, stellte immer wieder Forderungen an seine Mutter. Die diese anstandslos bezahlte, auch wenn es eine völlig unvernünftige Anschaffung war wie ein Occasions-Sportauto, das offenbar bei weitem nicht in dem guten Zustand war, den man Michael anfangs glauben machte.

Kein Wunder, dass diese Familie in der McCarthy-Ära in den USA immer misstrauischer beäugt wurde. Inklusive ihrer politischen Einstellung stellte sie so ungefähr alles dar, was dem erzkonservativen McCarthy ein Dorn im Auge war. Der ursprünglich gute Draht, den die Familie Mann bzw. ihre US-amerikanischen Freunde ins Weisse Haus hatten, ging verloren, als einerseits Roosevelt starb und andererseits Thomas Mann in seiner Undankbarkeit verkannte, dass er in den USA praktisch von einer einzigen Person finanziell grosszügig unterstützt wurde, und dieser Frau rein sexuelle Motive vorwarf. Leider war diese Dame auch die, die – politisch und journalistisch gut vernetzt – für Goodwill gegenüber den Manns gesorgt hatte. Ein Goodwill, der praktisch allen andern exilierten Autoren in den USA fehlte. Selbst der Bruder und Onkel Heinrich lebte in ziemlich grosser Armut. Ohne dass sich Thomas Mann und die Seinen irgendwie verpflichtet hielten, ihm anders zu helfen als mit gelegentlichen Einladungen zu um Essen – wonach man(n) dann jeweils über die ‘unmögliche’ Ehefrau Heinrichs ablästerte…

Man kommt um die Familie Mann in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts nicht herum. Tilmann Lahmes Buch ist eine wichtige und lesenswerte Hilfe zum Verständis dieser 8 Personen. Da es sich noch dazu sehr süffig liest, also eine absolute Leseempfehlung. Erschienen ist es 2015 im Verlag S. Fischer – jenem Verlag also, dem Thomas Mann trotz aller Probleme in der Nazi-Zeit immer die Treue hielt.

2 Replies to “Tilmann Lahme: Die Manns”

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert