Arthur Machen: Die leuchtende Pyramide

In der ausgedehnen und fast unübersehbaren englischen Literatur ist Machen ein «kleiner» Dichter. Ich erkläre sofort, daß diese zwei Worte ihn nicht abwerten wollen. Ich habe ihn einen Dichter genannt, weil sein in sehr geschliffener Prosa abgefaßtes Werk jene Intensität, jenes Einsam-Sein besitzt, wie sie der Poesie eigen. Ich habe ihn «klein» genannt, weil ich «kleine» Dichtung als eine der Literaturgattungen verstehe, keineswegs als eine untergeordnete Gattung. Ihr Bereich ist nicht so umfassend, aber der Tonfall stets intimer. Von «kleiner» Poesie zu sprechen ist das Gleiche wie von dramatischer oder epischer Poesie. Von Paul Verlaine könnte man durchaus sagen, er sei der erste Dichter Frankreichs, und ebenso, er sei ein «kleiner» Dichter, da er uns nicht die Vielfalt von Ronsard oder Hugo bietet. (Jorge Luis Borges im Vorwort zu meiner Ausgabe1), S. 7)

Dem ist wenig hinzuzufügen. Man könnte vielleicht noch sagen, Machen (ausgesprochen: /ˈmækən/) sei von den berühmten Grossmeistern der Horror-Literatur der unbekannteste. Die drei Kurzgeschichten der kleinen Sammlung Die leuchtende Pyramide zeugen von Machens grosser Meisterschaft: Die Geschichte vom schwarzen Siegel (The Novel of the Black Seal) / Die Geschichte vom weißen Pulver (The Novel of the White Powder) / Die leuchtende Pyramide (The Shining Pyramid).

In der Geschichte vom schwarzen Siegel entdeckt ein Altertumswissenschafter ein mysteriöses schwarzes Siegel, bedeckt mit Zeichen in einer unbekannten Schrift. Um die Herkunft dieses Siegels zu entschlüsseln, zieht der Witwer mit Kind und Kindermädchen (das die Geschichte einem Dritten weitergibt) aufs Land. In einem abgelegenen Dorf glaubt er, Spuren einer fremden Zivilisation entdeckt zu haben – ja, sogar einen Jungen, der Mischling ist von Menschenmutter und jenen fremden Wesen. Der Professor verschwindet bei seinem Versuch, jene Fremden zu beobachten, für immer.

Die Geschichte vom weißen Pulver erzählt von einem jungen Mann, der aus Versehen in seiner Apotheke ein weisses Pulver erhält, das ihn zuerst psychisch stimuliert (er steckt gerade in Examensvorbereitungen), dann aber erst psychisch, schliesslich auch phyisch verändert, bis er sich in ein form- und charakterloses Monster verwandelt hat. Das Pulver ist das Resultat einer uralten und jetzt verschollenen Weisheit.

Die leuchtende Pyramide ist eigentlich eine brennende Pyramide – eine Pyramide, auf der merkwürdige, atavistisch anmutende und in versteckten Höhlen weit weg von jeder menschlichen Zivilisation unterirdisch lebende Wesen, die nur entfernt an Menschen erinnern, eine junge Menschenfrau in einem bizarren und unerklärlichen Ritual im Feuer opfern.

Vor allem die letzte Geschichte, die von einem fremden, Horror und Abscheu einflössenden Volk erzählt, gehört zu jenen, mit denen Machen zum Vorbild und Anreger von Lovecraft wurde, mit der der Waliser Machen beim US-Amerikaner Lovecraft den Iren Lord Dunsany in dieser Rolle ablöste. Merkwürdige Wesen mit unverständlichen Zeichen und Ritualen – Lovecraft sollte daraus seinen Cthulhu-Mythus formen.

Allerdings ist Machens Horror einen Tick subtiler. Das mag daran liegen, wie Borges in seinem Vorwort suggeriert, dass der Waliser Machen immer darauf bestand, noch Kelte zu sein, also aus einem Volk zu stammen, das bereits vor mehr als 1’000 Jahren von germanischen Stämmen unterdrückt wurde, dessen Wesen und Rituale dem heutigen (germanischen) Briten unverständlich, ja Angst einflössend sind. Auch gilt, dass Gut und Böse bei Machen klar verteilt sind; anders als andere findet er nicht immer – in seinen Geschichten sogar eher selten – das Gute siegreich. (Borges nennt ihn deshalb einen Manichäer.)

Last but not least macht einen grossen Teil von Machens Horror wohl auch der vielleicht aus seinem Manichäismus herleitbare Umstand aus , dass Machen mit Hamlet in einem einig ist:

Es gibt mehr Ding im Himmel und auf Erden, als eure Schulweisheit sich träumt, Horatio.

Mit andern Worten: Wo der Rationalist Lovecraft letzten Endes immer noch davon ausgeht, dass all der Horror, den er schildert, zumindest innertextlich wissenschaftlich aufgeklärt und expliziert werden könnte (nicht umsonst sind viele seiner Erzähler Forscher an der fiktiven Miskatonic University), behaupten Machens Protagonisten praktisch durch die Bank, bei dem, was sie entdeckt hätten, sei die Wissenschaft an ihre Grenzen gestossen – und dies selbst dann, wenn sie, wie der Professor der ersten Geschichte dieser Sammlung, eigentlich von Berufs wegen ebenso wie Lovecrafts Protagonisten einer rationalen Wissenschaft verpflichtet wären. Wenn bei Lovecraft die Horror-Erscheinungen auch im Moment nicht aufgeklärt werden können, so entziehen sie sich doch nicht prinzipiell einer rationalen Auf- und Erklärung. So werden im Laufe der Entwicklung seines Erzähl-Kosmos die Horror-Wesen Cthulhu & Co. als Ausserirdische ‚enttarnt‘, die zum Teil auf der Erde Zuflucht gesucht haben vor intergalaktischen Kriegen. Machens Wesen kennen nichts derartiges. Sie sind fremd, feindlich, unverständlich und Begegnungen mit ihnen enden meist im Tod oder/und im Wahnsinn.


1) Augsburg: Weltbild, 2000. Im Neuantiquariat erworben. Es handelt sich dabei wohl um einen Band aus Borges‘ Phantastischer Bibliothek, wenn auch nicht als solcher ausgezeichnet. Eventuell ein Auszug daraus?

5 Replies to “Arthur Machen: Die leuchtende Pyramide”

  1. Machen äußert sich in diesen drei Geschichten ähnlich wie so manch esoterischer Wunderheiler: Er bemüht die Rationalität, die Wissenschaft (im „Schwarzen Siegel“ als auch im „Weißen Pulver“ sind die Protagonisten gebildete Forscher (Ethnologe im einen Fall, Arzt im anderen) – und sie lehnen explizit das supernaturalistische Getue ab, distanzieren sich vom Mesmerismus oder dem Beschwören von Geistwesen). Und er versucht damit, die Ereignisse doppelt wundersam erscheinen zu lassen. Wenn einer überspannten Lady des Abends ihre Großtante bei einer Seance erscheint, so wird ein Klischee bedient, Machen versucht dem zu entkommen, indem er kluge, besonnene Forscherpersönlichkeiten verwendet. Wie eben auch der Wunderheiler, der sich von den Scharlatanen dadurch unterscheidet, dass er für sich selbst auf Wissenschaftlichkeit rekurriert (die Bioresonanztherapie benutzt diese Methode: Indem man auf einem Computerbildschirm Kurven darstellt, wird Empirie suggeriert – auch wenn die Graphik bloß eine irrelevante Oberflächenspannung der Haut darstellt. Allein die Elektroden und die Computerausstattung vermitteln schon Seriosität.) Deshalb hatte ich hier nicht den Eindruck, dass er sich von Lovecraft unterscheidet – im Gegenteil: Beide konstatieren die Tatsache des Wunderbaren – ob dies nun Gnome oder Außerirdische sind. Und sie treffen diese Feststellung „wissenschaftlich“, versuchen Einwänden zuvorzukommen (und wollen damit wohl den Unterschied zu Seance-Geschichten betonen): Für mich ist das ein Grund mehr, diese Erzählungen (sowohl von Machen als auch von Lovecraft) zu mögen. Denn es verweist in ironischer Weise auf eine Meta-Ebene, auf ein Spiel mit dem Wunderbaren.

    1. Ich weiss, was Du meinst. Dennoch: Bei Machen resignieren die Wissenschaftler irgendwann und geben jenen Recht, die es immer schon wussten – es lässt sich nicht alles erklären. Bei Lovecraft können die Wissenschafter auch nicht alles wissenschaftlich erklären. Das Fremde versetzt sie eventuell in Horror, aber sie verzweifeln nicht prinzipiell an der Möglichkeit einer wissenschaftlich-rationen Erklärung.

  2. Ah, du hast dein Beinahe-Versprechen, Machen zu rezensieren, wahr gemacht! Schöne und respektvolle Besprechung, obwohl ich persönlich Machens spätere, weniger konventionelle, spirituelle Phase, so ab DER BERG DER TRÄUME und „Die weißen Gestalten“ seiner bekannteren Horror-Phase bei weitem vorziehe.

    1. „Die weißen Gestalten“ fand ich um vieles schwächer als die drei anderen Erzählungen: Einzig die Einleitung mit ihrer Analyse von Gut und Böse, die theoretische Absolutsetzung dieser Werte fand ich lesenswert. Das Manuskript (und damit der Hauptteil) ist eine langweilige und billige Aneinanderreihung von diversen Märchen- und Sagensujets (Voodoo und König Drosselbart lassen grüßen), ein fortgesetztes Wandern in einem phantastischen Wald, versetzt mit wunderbaren Einsprengseln, die man so (und zumeist besser) in jeder supernaturalistischen Geschichte schon gelesen hat. Zudem wird nichts von all den wunderlichen Erlebnissen des Mädchens im Anschluss aufgelöst, selbst der Bezug zur Gut-Böse-Problematik bleibt rätselhaft. Ich kann deine positive Beurteilung überhaupt nicht nachvollziehen, die Geschichte reicht bei weitem nicht an die drei oben besprochenen heran (insofern ist es für mich absolut verständlich, dass sie in die Borges-Bibliothek nicht aufgenommen wurde).

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