Mit Jean Paul hat sich zum ersten Mal in der Geschichte der deutschen Literatur ein Vertreter der schreibenden Zunft selber in grossem Ausmass zu den Grundlagen seines Schreibens geäussert.
Jean Pauls Vorschule ist, wie wir es uns von Jean Paul gewohnt sind, ein Mischmasch aus verschiedenen, oft disparat wirkenden Teilen. Da ist einerseits – und auch hier ist Jean Paul wiederum der erste, der das in grossem Stil ausführte – eine Untersuchung des Komischen, der Satire, der Ironie und des Humors. Diese wird für Jean Paul’sche Verhältnisse nachgerade streng und konzise durchgeführt. Jean Paul spricht gern von Witz, meint damit aber nicht die kurze Geschichte mit einer mehr oder weniger lustigen Pointe, die wir heute unter diesem Wort verstehen, sondern eine Form von Auffassungsgabe, die wir heute noch ein bisschen aus dem Ausdruck ‚ein gewitzter Mensch‘ kennen – leider oft mit pejorativer Konnotation. Seine Auffassung von ‚Witz‘ verbindet Jean Paul noch immer wie ein – wenn auch unterdessen recht gelockertes – Band mit seinen aufklärerischen Vorgängern, die die Ästhetik als Subsparte der Erkenntnistheorie begriffen, als Erkenntis der niederen Sinne. Gleichzeitig greift Jean Paul ins Metaphyische:
Humor ist das umgekehrt Erhabene. Er erniedrigt das Große, um ihm das Kleine, und erhöht das Kleine, um ihm das Große an die Seite zu setzen und so beide zu vernichten, weil vor der Unendlichkeit alles gleich und nichts ist.
Auch Jean Pauls Beitrag zur Romantheorie ist bekannt. Einmal mehr spielt Jean Paul eine Vorreiterrolle – der Roman ist eben erst als eigenständige Literaturform entdeckt, aber als solche kaum schon beschrieben worden. Jean Pauls berühmte Unterscheidung der drei Schulen der Romanmaterie, der italienischen, der deutschen und der niederländischen, findet sich in § 72:
Die erste Klasse bilden die Romane der italienischen Schule. (Man verzeihe dem Mangel an eigentlichen Kunstwörtern den Gebrauch von anspielenden.) In ihnen fallen die Gestalten und ihre Verhältnisse mit dem Tone und dem Erheben des Dichters in eins. Was er schildert und sprechen läßt, ist nicht von seinem Innern verschieden; denn kann er sich über sein Erhabnes erheben, über sein Größtes vergrößern?
Als Beispiele führt Jean Paul u.a. den Werther an, Ardinghello, Agnes von Lilien, Agathon und seinen eigenen Titan.
Die zweite Klasse, die Romane der deutschen Schule, erschwert das Ausgießen des romantischen heiligen Geistes noch mehr als sogar die niedrigere dritte. Dahin gehören z. B. – damit ich durch Beispiele meinen Erläuterungen vorbahne – Hippel, Fielding, Musäus, Hermes, Sterne, Goethens Meister zum Teil, Wakefield, Engels Stark, Lafontaines Gewalt der Liebe, Siebenkäs und besonders die Flegeljahre etc. Nichts ist schwerer mit dünnem romantischen Äther zu heben und zu halten als die schweren Honoratiores – –
Ich will aber lieber sogleich die dritte Klasse, die Romane der niederländischen Schule, dazunehmen, um beide wechselseitig aneinander zu erhellen; dahinein gehören Smolletts Romane teilweise – Siegfried von Lindenberg – Sterne im Korporal Trim – Wutz, Fixlein, Fibel – etc.
Anlehnungen an Begrifflichkeiten aus der Theorie der Malerei sind unmissverständlich. Das Derbe, auch Komische, das diese Romane zum Inhalt haben, zieht sie gewissermassen ebenso in die Tiefe, wie das Erhabene per definitionem die italienischen Romane in die Höhe zieht.
Jean Paul wäre aber nicht Jean Paul, wenn er nicht auch in seiner theoretischen Schrift sich in Digressionen verlieren würde. Da sind eigene satirische Auslassungen über Buchhandel und Verlagswesen, die sich hinter dem Schlussteil der Vorlesungen in Leipzig (nämlich zur Zeit der Buchmesse) verbergen. Da ist Jean Pauls Würdigung der schon zu seiner Zeit langsam in Vergessenheit geratenden deutschen Satiriker Rabener und Liscov – wobei er Liscovs aggressive Personalsatire weit über Rabeners weichgespülte Ständesatire stellt. Und – last but not least: Ein gewichtiger Teil der 1805 erschienenen Vorschule stellt einen Nachruf dar auf Jean Pauls Weimarer Freund Herder, der soeben (1803) gestorben war. Ein berührendes Zeugnis seiner Freundschaft.
Als Beitrag zur Theorie des Komischen bis heute unverzichtbar, aber aufgrund des selbst hier mäandrischen Stils Jean Pauls ein Text, dem zu folgen nicht einfach ist. Die Ästethische Nachschule hingegen kann vernachlässigt werden.
Was fehlt denn bei Gottsched? Er war Dramatiker, und sein „Versuch einer critischen Dichtkunst“ war vergleichsweise bedeutend einflussreicher als der Text Jean Pauls. Gilt Gottsched nicht, weil Lessing schlecht über ihn gesprochen hat? Und was ist mit Lessing? Ist seine Poetik nicht umfangreich genug? Ich habe große Zweifel, dass sich die zitierte Aussage gut verteidigen lässt.