Peter Weiss: Die Ästhetik des Widerstands

Welch ein Einstieg! Wuchtig und brutal eröffnet Weiss seinen Roman mit der Schilderung einer Schlacht. Und lange bevor der Leser merkt, dass diese Schlacht selbst im Rahmen der Fiktion eines Romans fiktiv ist, es sich nämlich um die Beschreibung von Teilen des Pergamon-Fries handelt, das drei junge Männer in Berlin besichtigen – lange vorher also merkt der Leser, dass die Beschreibung parteiisch ist, nämlich Partei ergreift für die Unterlegenen jener mythologischen Schlacht der Giganten gegen die antiken griechischen Götter.

Vorliegende war meine erste Lektüre von Peter Weiss‘ „Jahrhundertroman“. Kurz nachdem  Die Ästhetik des Widerstands nämlich 1975 bei Suhrkamp zu erscheinen begann, hatte ich bereits genug vom Einheitsbrei, zu dem – wie ich von Autoren selber erfahren hatte, und wie ich auch selber lesend feststellen konnte – das Suhrkamp-Lektorat zusehends die Werke auch seiner bekannteren Autoren in Stil und Inhalt zu verwandeln suchte. Meist mit Erfolg zu verwandeln suchte. Jedenfalls machte ich rasch einen Bogen um Suhrkamps Neuerscheinungen und so auch um Peter Weiss. 2016 nun erschien – wiederum bei einem offenbar geläuterten Suhrkamp-Verlag – so etwas wie eine Ausgabe letzter Hand, indem offenbar nicht nur die spätere DDR-Ausgabe einbezogen wurde, in der Weiss viele der ihm vom westdeutschen Lektorat aufs Auge gedrückten Änderungen rückgängig machen konnte, sondern auch weitere handschriftliche Notizen.

Welch eine Enttäuschung! Der Einstieg, der hungrig auf mehr machte und der süchtig zu machen drohte, ist zugleich der Höhepunkt des Romans. Manchmal, wenn er wieder Kunstwerke beschreibt (Goyas, Picassos und anderer – Maler vor allem), erreicht Weiss zwar wieder eine gewisse Höhe, aber selbst dann nie wieder die Wucht und Brutalität des Anfangs. Dazwischen aber… Die drei jungen Männer des Anfangs entpuppen sich als eingefleischte Kommunisten, die den Widerstand gegen den Nationalsozialismus üben, der gerade die Macht in Deutschland übernommen hat. Doch der Widerstand kommt merkwürdig blutleer daher. Der Ich-Erzähler zieht sogar in den Spanischen Bürgerkrieg, auf der Seite der internationalen Brigaden. Aber es folgen keine weiteren Schlacht-Schilderungen, wie es der Leser erwartet hat. Der Ich-Erzähler wird nämlich zum – Sanitäts-Gehilfen bestimmt und bleibt in der Etappe. Dafür finden wir, egal, ob sich der Erzähler noch in Berlin, später in Spanien, noch später im schwedischen Exil befindet, immer wieder Schilderungen, wie sich die kommunistischen Widerstandskämpfer weniger im Widerstand gegen Faschismus und Nationalsozialismus aufreiben, sondern in internen Richtungskämpfen. Das könnte sogar interessant sein, wenn es ein bisschen lebendiger geschildert würde und wenn nicht der Standpunkt des Ich-Erzählers letzten Endes immer der offizielle Standpunkt der Parteizentrale in Moskau wäre. Selbst das könnte noch interessant sein, wenn der Autor Weiss (zum Zeitpunkt dieses Romans immerhin schon reife 60 Jahre alt!) so etwas wie Distanz zu seinem jugendlichen Erzähler signalisieren würde. Tut er aber nicht. Wenn ich schon auf den ersten paar Seiten das Lob der Russischen Revolution lesen muss, die als erste der Revolutionen den Unterdrückten nicht nur eine Stimme gab, sondern ihnen die Herrschaft übergab – und das in vollem Ernst von Erzähler und Autor – dann kann ich nur noch den Kopf schütteln. Und wenn das Wichtigste an der Begegnung mit Brecht ist, dass der Erzähler sich selber als Schriftsteller entdeckt, dann haben wir trotzdem keinen Künstlerroman vor uns. Denn die Kunst spielt in diesem Roman trotzdem keine andere als die von der Moskauer Zentrale geduldete Rolle. Selbst um einen Entwicklungsroman handelt es sich nur in eingeschränktem Mass; die Entwicklung des jungen Ich-Erzählers wird viel zu schematisch geschildert, löst im Leser keinerlei Interesse am Protagonisten aus.

Und was bleibt mir von diesem Roman? Nun ja: Die Aufzählung der Bücher, die Brecht vom schwedischen weiter ins US-amerikanische Exil mitnehmen will.

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