Die bei einem solchen Leben fast unvermeidliche Etikettierung von „Genie und Wahnsinn“ wird zum Glück in der Biographie nicht allzu stark strapaziert. Nash, geboren 1928, galt als einer der vielversprechendsten Mathematiker der USA und fand auch alsbald mit Arbeiten zur Spieltheorie („Nash-Gleichgewicht“, dafür erhielt er den Wirtschaftsnobelpreis) oder der partiellen Differentialgleichungen große Anerkennung. Bis zu seinem 30. Lebensjahr war er neben seinem herausragenden mathematischen Talent (das sich vor allem in der kreativen Suche nach alternativen Lösungswegen vorhandener Probleme zeigte) nur durch sein arrogantes, selbstgefälliges Wesen aufgefallen, sein Sozialverhalten war von egoistischen Motiven geprägt (so hatte er in den 50er Jahren eine Beziehung, aus der ein Sohn resultierte, für den zu sorgen er sich trotz guter finanzieller Umstände schlicht weigerte, auch die Mutter erfuhr keine Unterstützung von ihm), Kollegen beurteilte er einzig nach ihrer fachlichen Kompetenz: Auf die guten war er häufig eifersüchtig, die weniger anerkannten mussten mit Spott und Hohn rechnen.
Im Jahr 1958 zeigten sich schließlich erste Symptome einer später als „paranoide Schizophrenie“ bezeichneten Geistesstörung. Schon bald konnte er seinen beruflichen Pflichten als Dozent kaum noch nachkommen, sah sich selbst wechselweise als „Herrscher“ oder aber als „Opfer“, der von Staats wegen (oder auch durch Organisationen wie der katholischen Kirche) verfolgt wurde. Er gab an, mit Außerirdischen über geheime Zifferncodes zu kommunizieren (die natürlich die Weltherrschaft anstrebten), und beschäftigte sich immer stärker mit von ihm selbst erfundenen numerologischen Systemen, die er seiner psychischen Verfassung entsprechend interpretierte. Zu Beginn der 60er wurde er erstmals in eine psychiatrische Klinik zwangseingewiesen (nachdem er durch aggressives Verhalten aufgefallen war): Es folgte eine Odyssee durch die verschiedensten Anstalten (er wurde auch mit der Insulinschocktherapie behandelt, die er später für seine Gedächtnislücken verantwortlich machte), sein Geisteszustand erlaubte trotz Unterstützung von seiten der mathematischen Fakultäten keine geregelte Arbeit mehr. So brachte er seine Zeit (unter der Obhut seiner Frau, die für seine materiellen Bedürfnisse trotz der Scheidung sorgte) mit obskuren Zahlenspielen zu, er wurde am mathematischen Institut geduldet und als das „Phantom“ von Princeton bekannt (barfuß, mit Bart und langer Mähne brachte er zurückgezogen seine Zeit in der Bibliothek oder am Computerinstitut zu).
Umso verwunderlicher dann seine langsame Genesung, die bei seiner Diagnose – aber was bedeuten schon Diagnosen in der Psychiatrie – höchtst unwahrscheinlich war. Zu Beginn der 90er schien er sich selbst „rationalisiert“ zu haben, versuchte – nach eigenen Angaben – politisch-religiös-metaphysische Probleme nicht mehr in Bezug zu seiner eigenen Person zu setzen und war langsam wieder in der Lage, am sozialen Leben teilzunehmen. Die endgültige Wende trat mit der Verleihung des Nobelpreises 1994 ein: Zwar noch unsicher und zurückhaltend (menschlich hatte er nach Angaben vieler seiner Bekannten während der Krankheit außerordentlich gewonnen), aber offenkundig wieder im Besitz seiner geistigen Fähigkeiten konnte er zur Preisverleihung nach Stockholm fahren und sorgte – entgegen der Ängste mancher Vertreter des Preiskomitees – für keinerlei Skandale. Er war schließlich wieder in der Lage, sich komplizierten mathematischen Problemen zu widmen und erfuhr jene Anerkennung, die er in jungen Jahren für sich erträumt hatte.
Das ist tatsächlich ein Stoff für einen Film: Allerdings zeigt dieses Buch auch deutlich, dass Genie und Wahnsinn nicht zusammengehören. Nash war während der 30 Jahre seiner psychischen Erkrankung nicht in der Lage, sich ernsthafter mathematischer Arbeit zu widmen, er war – entgegen manch romantischer Vorstellungen von „Verrücktheit“ – eine tragische Figur, ein Schatten seiner selbst, unglücklich und verzweifelt. Seine Krankheit dürfte genetisch bedingt sein (auch sein Sohn erkrankte an Schizophrenie) und war keineswegs Folge oder Begleiterscheinung seiner außergewöhnlichen Begabung. Diese Kombination von Genie und Wahnsinn wird ohnehin meist von jenen strapaziert, die durch auffälliges Verhalten einen Mangel an Begabung glauben kaschieren zu müssen: Es bleibt die Verhaltensauffälligkeit – ganz ohne Genie.
Das Buch liest sich – wie erwähnt – sehr flüssig, es ist gut recherchiert, wenn auch die Analyse der Krankheit manchmal etwas zweifelhaft anmutet (so glaubt Nasar in Kafkas Schloss einen schizophrenen Zustand beschrieben: Das ist zugegeben nicht dümmer als so manche psychoanalytische Auslegung – aber auch nicht sehr viel klüger). Die Autorin widersteht der Versuchung, aus dem Leben Nashs mehr schicksalhafte Tragik zu destillieren, als der ohnehin schon traurige Lebenslauf bietet. Und sie spart auch nicht mit Kritik am Verhalten von Nash – wiewohl ich glaube, dass – wäre er Installateur oder Dachdecker gewesen – sie weniger Nachsicht für seine Egozentrik, seine zwischenmenschliche Ignoranz aufgebracht hätte. Es ist keine intellektuell anspruchsvolle Biographie: Daraus ein Drehbuch für Hollywood zu machen dürfte nicht allzu großen Aufwand bedeutet haben.
Sylvia Nasar: Auf den fremden Meeren des Denkens. Das Leben des genialen Mathematikers John Nash. München: Piper 1999.