Fritz Mauthner: Wörterbuch der Philosophie. Neue Beiträge zu einer Kritik der Sprache. Zweite, vermehrte Auflage. Zweiter Band: Gott bis Quietiv

Ironie einer Sortierung nach Alphabet: Wenn auf Goethe Gott folgt…

Das Stichwort Gott gibt Mauther die Gelegenheit, sich als Atheist zu positionieren. Dass er dabei die Verwendung der Worthülse ‚Gott‘ vergleicht mit der von ‚Phlogiston‘, die auch noch verwendet worden sei, nachdem Lavoisier nachgewiesen hatte, dass es für eine Erklärung des Verbrennungsprozesses so eine Substanz nicht benötigte, ja sie den beobachteten Phänomenen widersprach. Das folgende Stichwort, Gotteswort, ist dann weniger eine eigentliche Bibelkritik, sondern mehr eine Übersetzungs- und Editionskritik, indem Mauthner einmal mehr geschichtlich vorgeht und nachweist, dass die als unantastbar geltende offizielle lateinische Übersetzung der katholischen Kirche über Jahrhunderte hinweg so offiziell und unantastbar nicht gewesen ist. Noch Augustinus hätte den biblischen Text (bzw. die lateinische Übersetzung) sehr frei verwendet; erst zur Zeit des Humanismus wurde die Vulgata offizialisiert und durch den Buchdruck nun auch unveränderbar, während vorher die Abschreiber immer eigene Kommentare hinzugefügt oder auch nur Abschreibfehler begangen hätten. (Nebenbei gibt dieses Stichwort Mauthner auch die Gelegenheit, seiner Verehrung für den Übersetzer und Theologen Martin Luther so richtig Ausdruck zu geben.)

Es ist unmöglich, jedes Stichwort hier einzeln zu besprechen. Nicht jedes ist auch wirklich interessant. Mauthners Tendenz ist klar: Er fasst sich wie im ersten Band des Wörterbuchs als Nominalisten auf. Nominalismus ist sogar ein eigenes Stichwort. Auch hier geht Mauthner historisch vor, indem er die scholastischen Nominalisten in den Vordergrund stellt: Abaelard als den ersten Nominalisten, dann Ockham, dann die englische nominalistische Tradition, die letztlich alle gegen die offizielle Kirchenmeinung verloren. Vom Nominalismus aus zweigt Mauthner u.a. in den Darwinismus ab. So nennt er die Evolutionstheorie praktisch durchgehend. (Für mein Sprachgefühl ist ‚Darwinismus‘ ein eher pejorativer Begriff, und Mauthner scheint das ebenso zu empfinden.) Denn der Darwinismus plagt ihn echt. Wenn Charles Darwin Recht hat, dann muss der Art etwas ‚Reales‘ entsprechen, das kann dann nicht nur ein Wort sein – was dem Nominalisten Mauthner sauer aufstösst. Trotz gegenteiliger Beteuerungen Mauthners hege ich allerdings den Verdacht, dass Mauthner den Darwinismus eher im Lamarck’schen Sinne auffasst, denn die Änderungen einer Art kann sich Mauthner nicht anders als zweckgebunden vorstellen – und ‚Zweck‘ ist für Mauthner immer etwas, das der Mensch (via Sprache) in die Dinge legt. Vielleicht funkt bei Mauthners Interpretation der Evolutionslehre Ernst Haeckel dazwischen, mit dem Mauthner ebenfalls so seine Sträusse ausficht. Da ich (noch) nichts von Haeckel gelesen habe, kann ich das nicht beurteilen.

‚Zweck‘ ist im Übrigen für Mauthner auch ein aus der antiken griechischen Philosophie eingeschleppter und von der Scholastik zurecht gebogener Terminus: Telos. Aristoteles, der den Begriff als erster im grossen Massstab verwendet hat, gilt Mauthner auch sonst wenig. Er sei ein schlechter Beobachter gewesen, der oft auch einfach nur Dinge vom Hören-Sagen weitergeleitet habe. Hingegen stehen auch im zweiten Band die englischen Sensualisten bzw. Empiristen bei Mauthner in hohem Kurs: Hobbes (der einen eigenen Artikel erhalten hat und gemäss Mauthner von Ockham und Bacon her kommt, zu Spencer weiterführt), Locke und Hume. Allerdings ist Mauthner in Sachen Naturwissenschaft sehr inkonsequent: Wie sein Vorbild Goethe schätzt er die Mathematik gering ein, und unter dem Stichwort klassisch finden wir einen Rant gegen Einsteins neue Physik, die die klassische Newtons nun als veraltet hinzustellen bestrebt sei. Jedenfalls, wenn es nach dem (Wissenschafts-)Journalismus gehe.

Dass Mauthner dies widerstrebt, hat wohl weniger wissenschaftliche Gründe, sondern ist in seiner Abneigung gegen Modebegriffe begründet. Ob es nun den Begriff modern betrifft (den Mauther genau dahin verbannen will, wo er am meisten gebraucht wird: in die Mode!), Haeckels Monismus oder den Spiritismus (den er unter dem Stichwort Okkultismus abhandelt – heute würde er wohl von ‚Esoterik‘ sprechen): Er mag Modebegriffe nicht. Wogegen er gegen eine echte Mystik nichts einzuwenden hat. Denn diese – jedenfalls, wenn man sich auf Augustinus, Dionysius Aeropagita und Meister Eckhart stützt – entspricht in vielem Mauthner dreistufiger Erkenntistheorie:

Für die Anschauung Gottes haben wir ein anderes Organ als die Vernunft [meinen die Mystiker]: das dritte Auge. (Das Bild von den drei Augen habe ich schon irgendwo bei Augustinus gefunden.) Das erste Auge ist das des Fleisches; es sieht die sinnlichen Dinge. Das zweite Auge ist das der Vernunft; es erkennt die Seele und die Inhalte der Seele. Das dritte Auge allein vermag Gott anzuschauen. […] Ich wäre fast versucht, meine drei Welten, die adjektivische, die verbale und die substantivische, an diese drei Augen und so an Augustinus anzuknüpfen. Und an die drei Stufen der Erkenntnis, von denen Spinoza redet.

Interessant fand ich noch den Artikel Nichts, wo Mauthner zuerst den Nihilismus als eine Erfindung Turgenjews schildert, um im Folgenden darauf hinzuweisen, dass schon Mercier das Wort kannte. Eher bizarr hingegen ist wohl Mauthners Versuch (unter Poesie), den Knittelvers (den er konsequent Knüttelvers nennt) vom Knüppel abstammen zu lassen. Das Stichwort Poesie ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie Mauthner oft vom Hundertsten ins Tausendste gerät und den eigentlichen Inhalt eines Artikels völlig vergisst.

Im Übrigen: Lessing, Leibniz und auch Wolff werden regelmässig erwähnt. Vom deutschen Idealismus nur der Ahnherr Kant (und die Neukantianer, die Mauthners Verdikt gegen Modewörter unterliegen) sowie Schopenhauer – in Band 2 allerdings bedeutend weniger positiv als noch in Band 1 (so unter dem den Band abschliessenden Stichwort Quietiv). Dafür weist Mauthner in Band 2 den Pragmatismus korrekt William James zu – auch wenn er ihn als eine Art Philosophie des Common Sense zu betrachten scheint. Manche Stichwörter führen in die Literaturgeschichte und -theorie; bei manchen wird Mauthner einfach nur unverständlich. Das Wörterbuch der Philosophie bleibt aber bei allen Schwächen eine interessante Lektüre – auch wenn man dem Nominalisten und Sprachgeschichtler Mauthner nicht alles als bare Münze abnehmen darf.

1 Reply to “Fritz Mauthner: Wörterbuch der Philosophie. Neue Beiträge zu einer Kritik der Sprache. Zweite, vermehrte Auflage. Zweiter Band: Gott bis Quietiv”

  1. Für das Wörterbuch vermag ich es nicht zu sagen: Im ersten Teil seiner Atheismusgeschichte hingegen ist Mauthner von einer Verehrung (vor allem für den Theologen Luther) nicht viel anzumerken: Er schätzt offenbar den Tatmenschen, seine an Augustinus angelehnte Gnadenlehre findet aber wenig Gnade vor Mauthners Auge. Weshalb er auch unumwunden Erasmus in diesem Streit die besseren Argumente zugesteht, Reuchlin oder Hutten als Charaktere dem polternden Augustinermönch vorzieht. Nur der Mut, dem römischen Papismus gegenüberzutreten, hat es Mauthner angetan.

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