Anton Kuh: Werke. Band 4: 1926 – 1930

Noch weniger politische Beiträge als in der von Band 3 umfassten Periode: Das mag u.a. daran liegen, dass Kuh seit einiger Zeit vorwiegend in Berlin lebt und arbeitet. Kuh muss den Berlinern, hat man den Eindruck, seine österreichische Herkunft und Eigenart erklären. Das führt zu einigen recht nostalgisch gehaltenen Artikeln. Der Übergang Österreichs von einer Monarchie zu einer Republik wird verschiedene Male geschildert – immer wieder mit denselben Anekdoten, manchmal auch wortwörtlich identisch. Nun, die Zeitungen und Zeitschriften, in denen diese Artikel erschienen, waren weit im deutschen Sprachraum verstreut; es wird wohl damals weder Publikum, noch Redakteuren, noch Verlegern aufgefallen sein.

Ein Artikel sticht heraus, da er sich nicht mit Wien, nicht mit dem nachmaligen Deutsch-Österreich, beschäftigt. Kuh, der sich zu jener Zeit gern als Wiener gerierte, stammte ja in Tat und Wahrheit aus Prag. Und so haben wir einen Artikel, in dem er den Erfolg vieler Deutschprager in Literatur und Kunst mit ebendiesem Herkommen aus dem alten deutschjüdischen „Stedtl“ erklärt – der praktisch nur von Deutschssprachigen, genauer deutschssprachigen Juden, bewohnten Prager Altstadt. Hier kannte jeder jeden. Jeder wusste von jedem ganz genau, was er konnte und was er wollte. Und so standen, gemäss Kuh, auch die Lebensziele eines jeden fest: Er wollte genau so weit wie der oder jender Stedtl-Bewohner kommen – und kam es dann auch meist.

Neben solchen nostalgischen Artikeln beschäftigt sich Kuh auch vermehrt mit der Literatur. Zum ersten Mal finden wir eine Anzahl Literaturkritiken. Die von Kuh (jeweils nur kurz) vorgestellten Autoren und Bücher kennt man heute allerdings nicht mehr. Daneben ist ein Hauptthema seiner Artikel Peter Altenberg, sein genialer Vorgänger als Bohémien, Literat und Kaffeehaussitzer in Wien, dessen Todestag sich 1929 zum zehnten Mal jährte. Auch hier überwiegt das Anekdotische eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen P.A. Last but not least (und hier trifft sich ausnahmsweise wieder einmal Literarisches mit Politischen bei Kuh, wie wir es von ihm aus der Zeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg gewohnt waren) schliesst Kuh seinen Frieden mit dem alten Schnitzler, der noch erleben muss, wie seine Tochter sich in einen italienischen Offizier und fanatischen Mussolini-Anhänger verliebt und ihn heiratet, aber schon nach einem Jahr Ehe merkt, dass das ganze ein riesiger Irrtum war, und – sich in Italien umbringt.

Kuh bleibt auch ein fleissiger Theaterkritiker. Von Pirandello, den er noch in der von Band 3 abgedeckten Periode so hoch in den Himmel lobte1), allerdings kein Wort mehr. Das mag auch den Zufällen der Spielpläne von Berliner und Wiener Theatern geschuldet sein, denen Kuh folgt. Dafür kennt er andere Sterne am theatralischen Himmel: Da ist das österreichische Multitalent Reinhardt, dessen Tätigkeit er schon in Wien aufmerksam verfolgte, und den er nun in Berlin ebenso aufmerksam als (meist lobender) Kritiker begleitet. Selbst nach Innsbruck, an die Festspiele, folgt er ihm – und für einmal hat er über die österreichische Provinz nur Gutes zu sagen… Der andere Stern, den er ebenso unbedingt lobt, und den er ebenfalls in Wien kennen gelernt hatte, ist der Schauspieler und Komiker Hans Moser. In den Jahren, die Band 4 abdeckt, war Moser eine der schauspielerischen Hauptattraktionen Reinhardts.

Längere Werke Kuhs finden sich in Band 4 keine, dafür müssen wir auf Band 5 warten. Alles in allem – auch wenn Kuh schon scharfzüngiger war – stellen die Texte aus den Jahren 1926 bis 1930 aber doch eine angenehme Lektüre dar.


1) Und den ich in meiner Vorstellung von Band 3 völlig vergessen hatte, was hiermit nachgeholt sei: Vor allem Sechs Personen suchen einen Autor machte grossen Eindruck auf ihn, nicht nur als Aufführung in Wien, sondern auch von der Grundidee quasi eines Blicks hinter die Kulissen künstlerischen Gestaltens.

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