Byron’s Letters and Journals

A New Selection. From Leslie A. Marchand’s twelve-volume edition. Edited by Richard Lansdown. Oxford: Oxford University Press, 2015.

Eine Auswahl also aus Lord Byrons Briefen und Tagebüchern. Ich habe es schon ein paar Mal gesagt und geschrieben: Eine gut gemachte Brief-Edition ersetzt ohne weiteres eine Biografie. Das gilt auch für diese Auswahl-Ausgabe. Hervorragend editiert und hervorragend kommentiert kann sie an die Stelle einer jeden Biografie treten. Dabei war das primäre Ziel dieser Ausgabe ein anderes, jedenfalls laut Lansdowns Introduction. Er beabsichtigte, Byron in die Riege der grossen monuments of Romantic prose aufnehmen zu lassen. Diese Riege besteht laut Lansdown aus Austens Romanen, William Hazlitts Essays, den Briefen von Keats, den Notizbüchern von Coleridge und de Quinceys Confessions of an English Opium Eater. Sekundäres Ziel war es, Byrons Briefe und Tagebücher neben die grossen, wie es der Herausgeber nennt: informal autobiographies in English, zu setzen, als da sind Pepys und Boswell. Drittes Ziel dann – eine Zusammenfassung der beiden ersten – die hohe Qualität von Byrons Werken dem englischen Publikum bekannt(er) zu machen. Vielleicht nämlich, spekuliert der Herausgeber, ist die Tatsache, dass Byron den grössten Teil seines literarischen Lebens ausserhalb Englands verbracht hat, Schuld an der Tatsache, dass Byrons Werk mehr europäische denn englische Einflüsse aufweist, deshalb eher einer europäischen denn einer englischen Literatur zugerechnet werden könnte, und so dem insular-abgeschlossenen Charakter des englischen Lesers fremd vorkommt.

Das Byron in England weniger hoch eingestuft wird als hierzulande, hat mich als Menschen mit deutschsprachiger Lesesozialisation erstaunt. Wir sind uns gewohnt, Byron als einen der ganz Grossen zu betrachten – weil Goethe ihn so in den Himmel gehoben hat. (Ein sehr devotes diesbezügliches Dankschreiben von Byron an Goethe ist in der Auswahl vorhanden. Es enthält auch das Versprechen eines Besuchs in Weimar; ein Versprechen an dessen Einhaltung Byron durch seinen frühen Tod vor Messolongi verhindert wurde.) Im englischen Sprachraum ist Byron offenbar eher als Verfasser von (zweitrangiger) Lyrik bekannt.

Meiner Meinung hat der Herausgeber weder das sekundäre noch das primäre Ziel erreicht. Byrons Briefprosa ist – vor allem, wenn er etwas aufgeregt ist, also z.B. in der Zeit des Ausbrechens seiner Ehekrise oder in der Zeit seiner grossen Liebe zur italienischen Gräfin Teresa Guiccioli – geprägt durch exzessive Verwendung des Gedankenstrichs an Stelle von Punkt oder Komma. Oder auch nicht an Stelle, sondern einfach mal so. Das gibt Byrons Stil etwas Hektisch-Abgehacktes, auch wenn seine Sätze meist vollständig und korrekt gebildet sind. Bei seinen Tagebüchern stellt man fest, dass  Byron kein konsequenter Verfasser von Tagebuch-Einträgen war. Er nahm zwar immer mal wieder einen Anlauf, um systematisch Tagebuch zu führen, liess es aber wieder sein, um erst Jahre später ein neues Tagebuch anzufangen. Hierin also kein Vergleich zu Pepys oder Boswell.

Das Buch gliedert sich in 12 Kapitel, die chronologisch von Byron Kindheit und Jugend bis zu seinem Einsatz als Philhellene für die griechische Unabhängigkeitsbewegung gehen. Die Tagebuch-Einträge sind chronologisch in die Briefe eingeordnet. Ob es sinnvoll und informativ ist, schon mit Briefen eines 10-Jährigen zu beginnen, habe ich ähnlich schon bei der Vorstellung der Auswahl aus Prousts Briefen bezweifelt: Ob 7 Jahre alt, wie bei Proust, oder 10, wie hier – solche Briefe sind allenfalls Zeugnisse eines frühreifen Charakters, wie ihn so viele einzelgängerische Knaben und Mädchen in diesem Alter aufweisen dürften. Die Briefe des Studenten in Cambridge sind zumindest kulturgeschichtlich interessanter, zeigen sie doch, dass noch zu Byrons Zeit Studieren gleich zu setzen war mit Fressen, Saufen, Huren und Spielen. (Und nur letzterem ist Byron Zeit seines Lebens nicht unterworfen gewesen.) In seiner Studienzeit legte Byron den Grundstein zu seiner lebenslangen hohen Verschuldung. Und vielleicht auch zu seinen Figur-Problemen: Zeit seines Lebens unterwarf er sich rigorosen Diäten, lebte vegetarisch und ähnliches, um seinen Leibesumfang in Massen zu halten.

Es folgt Byrons erste Grand Tour. Sie führt den jungen Edelmann, ungewöhnlich für jene Zeit bis ins Osmanische Reich. (Dafür muss er – wir sind in der Zeit der Napoleonischen Kriege – Frankreich auslassen.) Auch hier lebt Byron seine Sexualität recht ungehemmt aus – übrigens mit Menschen beiderlei Geschlechts. Er sprach später gegenüber seinen weiblichen Geliebten oft über seine männlichen Eroberungen, was spätestens bei einer nicht-einvernehmlichen Trennung problematisch wurde. Während er als Mitglied des Oberhauses für seine Schulden nicht in den Schuldturm geführt werden konnte, drohte ihm nach damaligem englischen Recht für Homosexualität die Todesstrafe – mit ein Grund, warum er sein Exil immer wieder verlängerte.

Nachdem Byrons Experiment mit der Institution Ehe gründlich daneben gegangen war (er trennte sich nicht gerade in Freundschaft von seiner Gattin), bereiste er erneut Festland-Europa. Was zuerst als zeitweises Exil gedacht war, wurde immer wieder verlängert, bis Byron eines Tages tatsächlich keine Lust mehr hatte, in die Heimat  zurück zu kehren.

Es ist interessant, dass – zumindest in dieser Auswahl-Ausgabe – die beiden Shelleys zur Zeit des gemeinsamen Aufenthalts am Genfer See kaum erwähnt werden. Selbst sein Arzt Polidori, den Byron im Grunde genommen so wenig mochte, wie dieser ihn, wird mehr erwähnt. Erst nach Shelleys Tod, als sich Byron bei Mary Shelleys Schwiegervater dafür einsetzt, dass er seine ungeliebte Schwiegertochter nicht geradezu verhungern lässt, erlangt das Paar in Byrons Briefen Kontur.

Für jeden, der mehr über Byron wissen will, ohne gerade eine 12-bändige Gesamtausgabe seiner Briefe lesen zu wollen, eine sehr empfehlenswerte Edition.

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