Bürger Brunneisel tritt noch zweimal auf; die Salzburger Festspiele werden noche einmal besprochen; auch sein ‚ewiger Widersacher‘ Karl Kraus wird noch zwei oder drei Mal hart kritisiert. Aber dann verlagern sich die Themen von Kuhs Essays radikal.
Dass er unter den Schriftstellern einen neuen Liebling gefunden hat, nämlich Stendhal (und zwar Stendhal den politischen Autor, der gegen Napoléon schrieb) ist bezeichnend für die Neuorientierung Kuhs in den letzten Jahren seines Lebens: Die Zuwendung zu einem politischen Franzosen ist sowohl eine Zuwendung zur französischen Kultur, wie eine (erneute) Zuwendung zur politschen Schriftstellerei. Beides wurde Kuh von aussen aufgedrungen. Nach der Machtübernahme durch Adolf Hitler musste er Berlin verlassen. Eine Zeitlang pendelte er zwischen Wien, Prag, Paris und London. Er veröffentlichte politische Essays auf Französisch und auf Englisch. Er persiflierte in andern, deutschen Aufsätzen die Sprache der Nationalsozialisten, vor allem die Hitlers. In Österreichs Politik war seine Haltung etwas schwankend. Während er 1933 bereits den Zusammenschluss von Deutschland und Österreich vorher sah, setzte er manchmal doch auch zumindest vage Hoffnungen darein, dass Dollfuß‘ Austrofaschismus (sozusagen unter den Schutz Mussolinis gestellt) Österreich vor den deutschen Nationalsozialisten schützen könnte. Allerdings ging er in seinen Hoffnungen nie so weit wie der Rivale Kraus. (Dass beiden als Juden der Faschismus, der in Spanien nie und in Italien erst, nachdem Mussolini der eindeutig schwächere Partner im deutsch-italienischen Bündnis geworden war, eine systematische Judenverfolgung betrieb, als das geringere Übel erscheinen konnte, ist irgendwie verständlich.) Die Ermordung Dollfuß‘ durch Nationalsozialisten zeigte Kuh allerdings, dass der Austrofaschismus Österreich keinen Schutz bieten würde. Er betrachtete zwar den Zusammenschluss zeitlebens als gewaltsame Annektion Österreichs, letzten Endes betrieben durch Deutschböhmen, die den liberalen und internationalen Geist Altösterreichs, wie er nur in Wien überlebt hatte, untergraben hatten. Der Verhaftung nach den Zusammenschluss entkam er nach eigener Schilderung mit knapper Not: Nachdem ihn die Neugier an jenem 11. März 1938 von Prag nach Wien getrieben hatte, erwischte er zur Heimfahrt gerade noch den letzten Zug, der noch nicht vom neuen Regime kontrolliert wurde. Auch sonst will er zwei oder drei Mal einer Verhaftung bzw. Verschleppung nach Deutschland entkommen sein.
Als Flüchtling in den USA blieb Kuh keineswegs stumm. Auch dort prangerte er faschistische Tendenzen in seiner neuen Heimat an – selbst dann, wenn andere Flüchtlinge mahnten, dass sie alle zusammen sich ihren Asylgebern gegenüber einfach ruhig und dankbar zu verhalten hätten.
Der Band schliesst mit ein paar in ihrer Zuschreibung an Anton Kuh unsicheren Essays.
Wenn die Ereignisse,die ihn dazu trieben, nicht so traurig wären, könnte man sich darüber freuen, dass Kuh sich in den letzten Jahren seines Lebens auf dem Höhepunkt seines Schaffens befand. Zumindest seines Schaffens als politischer Essayist.