Die österreichische Provinz

Anton Kuh mochte sie nicht, die österreichische Provinz. Anton Kuh aber war ein Grossstadt-Mensch: Prag, Wien, Berlin, Paris, London, New York – das war seine Welt. Die österreichische Provinz hielt er für den Humus, in dem die faschistoiden, völkischen Elemente Wurzeln geschlagen hatten, die von da in das weltoffene Wien eindrangen und nicht nur Wien, sondern ganz Österreich zerstörten. Dabei richtete sich sein Zorn vor allem gegen die südlichen Provinzen, die Steiermark und Kärnten, die als Grenzprovinzen eben diese Abgrenzung zum Extremismus führten. Aber auch Deutschböhmen verfolgte er mit ähnlichem Hass, eigentlich keine österreichische Provinz (mehr), aber viele Deutschböhmen lebten in Wien, statt in ihrer eigentlichen (jetzt tschechoslowakischen) Heimat, und mischten munter und rechtsradikal in der österreichischen Politik der Zwischenkriegszeit mit.

Heute, wird ja vielerorts behauptet, gibt es so etwas wie eine Provinz nicht mehr, im Zeitalter des Internet, wo jedes Ereignis an jedem Ort zu jeder Zeit sofort auf der ganzen Welt einsehbar ist – zumindest in der Theorie. Tatsächlich ist die Provinz von einem geografischen zu einem psychologischen Begriff geworden und wird meist „Filterblase“ genannt. Aber provinziell bleibt der Mensch eben doch.

Aber nun zum eigentlichen Grund, warum ich über die österreichische Provinz schreibe. Als ich Freunden sagte, dass wir uns für ein paar Tage dahin zurückziehen, kam volles Verständnis: „Aha, gutes Essen und freundlicher Service!“ Ersteres stimmt ganz sicher. Das Essen ist gut und reichlich. Bei letzterem muss ich Deutschland oder der Schweiz, die als ‚Servicewüsten‘ gelten, zu Gute halten, dass hier sehr viel und sehr rasch aufgeholt wurde. Ich will jetzt nicht behaupten, dass Österreich zurückgefallen sei…

In Bezug auf Kultur ist die österreichische Provinz ewbenfalls nicht ganz vernachlässigt worden. Zum Beispiel gibt es in der Gegend ein Angelika-Kauffmann-Museum (schliesslich stammt die Malerin ja von hier!), in dem aktuell eine Sonderschau mit Frauenportraits der Künstlerin läuft. Die Ausstellung war zugegebenermassen nur klein, kaum zwei Dutzend Bilder. Kurze Biografien der jeweils Portraitierten. Das war es. Zum Glück kommt die Ausstellung ohne emanzipatorisch-pädagogischen Zeigefinger daher; jeder Besucher darf sich seine eigenen Gedanken machen über die Rolle von Frauenportraits, die von einer Frau gemalt wurden. Und dies zur Goethezeit, wo in der Literatur die Autorinnen eben erst langsam aufzutauchen begannen. (Während die Leserin den Leser bereits an Relevanz – zumindest für den Buchhändler – überflügelt hatte.)

Angelika Kauffmann - Self Portrait - 1784

Da das Angelika-Kauffmann-Museum gleichzeitig das Dorfmuseum ist, besuchten wir auch gleich noch die dortige Ausstellung zum Thema ‚Heimarbeit‘. Darin wurde – ganz lokal an der Gegend des Bregenzerwaldes – die wichtige Rolle der Heimarbeit bis weit in die 1980er Jahre vorgestellt; etwas, das man heute gern vergisst. Vor- und Nachteile der Heimarbeit, auch aus Sicht der betroffenen Gatten und Väter, denn oft verdienten die Frauen in Heimarbeit mehr als die Männer und trugen mehr als nur ein bisschen zum Unterhalt der Familie bei, was so manchen Patriarchen in seiner Ehre verletzen konnte. Auch hier aber die ganze Thematik unaufdringlich, ohne erhobenen emanzipatorisch-pädagogischen Zeigefinger vor Augen geführt. Beide Ausstellungen im Übrigen ganz klassisch arrangiert; was an und für sich kein Übel ist.

Danach verlagerten wir uns ins nächste Dorf, wo wir eine permanente Ausstellung zum lokalen Gewerbe besichtigten. Sehr gut wurde dort unter dem übergreifenden Thema ‚Farbe‘ illustriert, welchen Spagat innovative lokale Handwerker unternehmen, um sowohl aktuellen Entwicklungen zu folgen, wie aber auch nicht den Kontakt mit der Tradition zu verlieren. Moderner aufgezogen als die beiden Ausstellungen im Nachbardorf: eine gute Visitenkarte der ‚modernen Provinz‘.

Somit also der Ausflug in die österreichische Provinz ein Erfolg. Wenn nur … ja, wenn es nur der österreichischen Provinz möglich wäre, Hotelbetriebe und Bauernbetriebe örtlich ein bisschen auseinander zu dividieren. Es ist nicht jedermanns Sache, auf der Veranda sitzend einen Apéritif zu sich zu nehmen, wenn auf der andern Strassenseite der Bauer soeben gemütlich den Misthaufen umschichtet…

2 Replies to “Die österreichische Provinz”

  1. Es mag sich zwar um Vorurteile handeln, aber in diesem Fall sind sie leider nicht unberechtigt. Ich wohne ja gerade in diesem von Kuh abfällig beurteilten Bereich und anhand der Ergebnisse zur Bundespräsidentenwahl konnte man genau das feststellen, was Kuh monierte: Hier am Land (Zweitwohnsitz) hat der nationalistische Kandidat über 70 % erhalten, während in Graz über 60 % für den linksliberalen Kandidaten waren. Eine Verteilung, die in ganz Österreich ungefähr dieselbe war: Alle größeren Städte haben gegen den Rechtspopulisten gestimmt (und das trotz der dort viel virulenteren Probleme bezüglich der allgegenwärtigen Flüchtlinge, die ein Hauptwahlkampfthema waren).

    Meine sehr spärlichen Kontakte mit der Landbevölkerung hier bestätigen all diese Vorurteile: Hier wird noch offen von einem Hitler gesprochen, unter dem doch nicht alles schlecht gewesen sei, von Negern, die man so plötzlich nicht mehr nennen dürfe (dies von einem politischen Vertreter der ÖVP, also noch nicht einmal der rechtspopulistischen FPÖ), von der Notwendigkeit, es „denen da oben“ zeigen zu müssen – und zwar dadurch, dass man für einen starken Mann stimmt, der mit diesem Klüngel aufräumt. (Bei der Lektüre der Hitler-Biographie von Longerich bin ich immer wieder auf Passagen gestoßen, die von den verschiedensten Politikern in Österreich, Deutschland, Frankreich oder den USA – usf. – übernommen werden könnten. Und diese ignorante Dummheit ist auf dem Land einfach größer, man ist anfälliger für einfältige Parolen, „einfache“ Lösungen. Daran hat sich seit der Zwischenkriegszeit und Kuhs Feststellungen offenbar nichts geändert.) Und es ist gerade diese Dummheit, die hilflos macht: Gegen sie streiten nach Schiller auch die Götter vergebens.

    1. Dieses Stadt-Land-Gefälle gibt es auch in der Schweiz. Hier kommt zusätzlich noch ein Unterschied zwischen der rechts-konservativen deutschen Schweiz und der linkeren, liberaleren Romandie hinzu. Auch wenn dieser Unterschied kleiner wird. Auch hier der Umstand, dass die am schlimmsten sind, die am wenigsten betroffen sind.

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