Herbert Rosendorfer: Die Nacht der Amazonen

Herbert Rosendorfer war ein Vielschreiber: Von Romanen über autobiographische und politische Werke bis zu einer deutschen Geschichte reicht sein Schaffen. Dass bei einer solchen Unzahl an Büchern auch schwächere dabei sind liegt in der Natur der Sache: Das vorliegende gehört definitiv nicht dazu – es ist brilliant.

Rosendorfers „Nacht der Amazonen“ figuriert zwar unter Roman (die „romanhaften“ Erfindungen macht der Autor gegen Ende des Werkes explizit), es ist aber auch eine zeitgeschichtliche, soziologische Studie. Hauptperson ist ein Herr Christian Weber, ehemaliger Pferde- und Hausknecht, der unter den Nationalsozialisten abenteuerliche Karriere macht und es bis zum Ratspräsidenten der „Hauptstadt der Bewegung“ (München) bringt. Weber ist korrupt, ehrgeizig, geldgierig, ordinär, sein Auftreten sorgt sogar bei Parteikollegen für Unmut. Aber er wird als ein alter, treuer Kämpfer der Bewegung von ganz oben geschützt, kann sich durch Betrügereien, Arisierungen und Gewaltandrohungen ein großes Vermögen erwerben und seinen sinnlichen Genüssen ungestraft frönen: Die in der „Nacht der Amazonen“ ihren Höhepunkt erreichen. Nackte Mädchen des BDM stellen Amazonenkämpfe nach und präsentieren sich einer lüsternen Schar wohlverdienter Nationalsozialisten.

Mit bissiger Ironie präsentiert Rosendorfer den Werdegang Webers, der als Paradebeispiel des Bonzentums gelten kann. Der Duzfreund des Führers wusste sich diesen durch intrigante Dienste zu verpflichten: So lieferte er – u. a. – Ernst Röhm ans Messer (und sorgte so ganz nebenbei dafür, dass andere, ihm unliebige Personen bei der Niederschlagung des „Putsches“ ebenfalls liquidiert wurden). Diese großartige Darstellung des Aufstieges eines ordinären und ungebildeteten Widerlings kann aber das eigentliche Phänomen auch nicht erklären: Warum solche Figuren ganz bewusst gewählt wurden, wissend um ihre moralische Defizienz, ihre Skrupellosigkeit. Eine Frage, die sich mir schon bei Longerichs Hitlerbiographie stellte und die vielleicht durch Qualtingers Herrn Karl erklärt werden kann, der von den Politikern nichts, aber schon gar nichts hielt und dies damit begründete, dass diese auch nicht anders seien als er selbst. „Und i kenn mi!“ Und das Phänomen, dass primitive, ungebildete und selbstgefällige Politiker in höchste Positionen gewählt werden, ist – mit Blick auf die USA – längst kein überkommenes historisches Ereignis. Egal, wie lächerlich sich Führer oder Präsidenten gerieren (Rosendorfer gelingen ein paar ganz großartige Charakteristiken des GRÖFAZ, etwa wenn er dessen etwas schludrigen deutschen Gruß als in der Art eines Kellners beschreibt, der über dem Kopf ein Tablett balanciert – nur ohne Tablett), sie finden trotz allem große Unterstützung.

Die Beschreibung des Ridikülen solcher Gestalten macht sie transparent, lässt sie in ihrem lächerlichen Gebaren nackt erscheinen. Und ist eine überaus sinnvolle Art, mit ihnen umzugehen. Wenn es da nicht den machtpolitischen Aspekt gäbe. Denn wer über Weber oder Hitler gelacht hat, mag zwar damit demonstriert haben, die Dummheit dieser Personen durchschaut zu haben, sollte allerdings dabei achtgeben, dies nicht offen zu tun: Der Weg von München nach Dachau war nicht weit. Denn gerade eitle und narzisstische Menschen reagieren besonders sensibel auf jedwede Ironie: Sehen sie damit doch die zur Schau gestellte Ernsthaftigkeit ihres ganzen Wesens unterminiert und dem allgemeinen Lachen preisgegeben. Nicht zufällig kann man sich Hitler unmöglich selbstironisch vorstellen – und nicht weniger zufällig ist Trumps Ablehnung des Journalisten-Dinners in Washington gewesen, an dem genau diese Kunst der Selbstironie gepflogen wird. Wer lächerlich ist, fürchtet das Lachen umso mehr. – Rosendorfers Buch ist eine ausgezeichnete, witzige, aber auch nachdenklich stimmende Demonstration all dessen.


Herbert Rosendorfer: Die Nacht der Amazonen. München: dtv 2004.

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