Der Grund für das Wiederlesen war die eigene Familie: So zeigt Orzifar jr. großes Interesse an diesem Thema (was er mit den meisten anderen Kindern teilt: Die Neugier ist ein konstituierendes Merkmal der Kleinen, sofern man sie ihnen nicht vermiest mit zweifelhaften Bemerkungen über ihre vermeintlich eingeschränkten Denkfähigkeiten) und ich habe erwogen, dieses Buch als Gute-Nacht-Lektüre einzusetzen (das geht durchaus: Ich habe zu seiner Freude häufig aus geographischen oder technischen Büchern vorgelesen). Allerdings dürfte Hawking für einen 9jährigen denn doch noch etwas zu viel sein, obschon Teile (etwa die ersten 30 Seiten) durchaus geeignet wären. Aber zuvor wäre noch ein Grundkurs in Chemie und/oder Teilchenphysik zu absolvieren.
Über das Buch selbst gibt es nicht viel zu sagen: Es ist – wie erwähnt – weitgehend verständlich und ansprechend geschrieben, hebt sich aber von anderen vergleichbaren Werken (etwa von Brian Greene oder Michio Kaku) nicht ab. Die Vorwürfe, die Ernst Mayr gegen Hawking erhoben hat (siehe hier) und die sich auf sein Suchen nach einer Weltformel bzw. auf das häufige Erwähnen eines Schöpfergottes bezogen haben, scheinen mir hingegen unberechtigt. Zum einen weist Hawking (in diesem Buch, seine späteren kenne ich nicht) dezidiert darauf hin, dass eine solche Weltformel keineswegs eine Erklärung für alles sei (und schon gar nicht, wie von Mayr unterstellt, für den Bereich des Lebenden), sondern wahrscheinlich immer nur einen vorläufigen Entwurf darstellen würde. Und er ist auch nicht davon überzeugt, dass diese große, vereinheitlichende Theorie überhaupt gefunden werden kann (obschon er darauf hofft und wohl auch zu optimistisch ist). Was sein Hantieren mit dem Schöpfergott angeht (und in dieser Hinsicht bin ich ohnehin recht empfindlich), so hatte ich den Eindruck, dass er ihn ähnlich wie Einstein verwendet: Als ein abstraktes Prinzip, das durch flapsige Verwendung den Text auflockern soll.
Inwieweit Hawkings Ansichten heute noch relevant sind, kann ich nicht beurteilen: Seine Darstellung eines unendlichen, aber begrenzten Kosmos, der durch Unschärferelation und Ausschließungsprinzip Singularitäten vermeidet, klingt für den Nichtphysiker so plausibel oder weit hergeholt wie diverse andere Theorien. Ihre Bedeutung müssen Physiker anhand der vorhandenen Daten beurteilen, problematisch finde ich hingegen Philosophen, die auf solchen Theorien ihre eigenen Weltmodelle aufbauen (wie etwa Michael Esfeld). Das scheint mir ein doppeltes Unding und eine teilweise Fortsetzung der Systemtheorie des Deutschen Idealismus: Auf einem mehr wie unsicheren Fundament kann man kein System errichten, das mehr ist als eine intellektuelle Spielerei. Insofern muss man Ernst Mayr dann doch wieder Recht geben: Die heutige Physik hat nur eingeschränkt philosophische Bedeutung (was man vom Darwinismus nicht behaupten kann).
Stephen Hawking: Die illustrierte kurze Geschichte der Zeit. Frankfurt a. M.: Rowohlt 1997.
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