Bisher ist eigentlich meine Taktik, theoretische Schriften (Essays, Aufsätze oder Ähnliches) von einem Autor zu lesen, wenn ich mehr über ihn und sein Werk zu erfahren wünschte, immer aufgegangen. Selbst bei Heimito von Doderer, dessen in Die Wiederkehr der Drachen gesammelten Aufsätze zum Teil doch recht skurril sind, habe ich von der Lektüre profitiert. Markus Werner ist nun der erste, bei dem das nicht funktioniert.
Zwar enthält das Fischer-Taschenbuch mit obigem Titel, 2006 herausgegeben von Martin Ebel, zu Beginn auch Texte von Werner. Aber der Schweizer Autor hielt offenbar nicht nur sein Leben, sondern auch die Art und Weise seines Schreibens, ja des Schreibens an und für sich, für so privat, dass er sich nicht darüber äussern wollte. So hat er auch nur wenige ‚theoretische‘ Texte geschrieben – was wir in diesem Büchlein finden, sind allesamt Dankesreden, die Werner halten musste, für die verschiedenen Literaturpreise, die er gewonnen hat. Und diese Reden enthalten wenig über den Autor selber, nicht einmal über den Prozess seines Schreibens oder des Schreibens an sich.
Noch eklatanter ist die Situation bei den wenigen Interviews, die Markus Werner gegeben hat. Schon fast komisch ist das mit Res Strehle, wo der Journalist verzweifelt versucht, dem Autor einige Bemerkungen zu privaten Gründen und Quellen seiner Werke zu entlocken – vergebens. Markus Werner entkommt ihm jedesmal wie der sprichwörtlich gewordene Aal.
Selbst unter seinen Kollegen war Werner offenbar ein grosser Unbekannter. Auch die V. Abteilung (das Büchlein ist in Abteilungen gegliedert) – HOMMAGES – mit Texten von Autorenkollegen bringt wenig Neues. Und unter den Kollegen sind doch Grössen wie Urs Widmer und Klaus Merz zu finden.
Bleiben die Texte von Literaturwissenschaftern und -kritikern, darunter Roger Willemsen (Si tacuisses) und Gunhild Kübler. Letztere macht sich Gedanken darüber, ob Werners Bücher »Männerbücher« seien. Immerhin ist auch ihr aufgefallen, wie wenig weibliche Protagonisten Werner kennt. (Sie verneint die Frage übrigens.) Es fällt auf, wie viele Kritiker und Wissenschafter bei Werner dessen Komik hervorheben. Vor allem in Zündels Abgang fallen ja all die Missgeschicke auf, die dem Protagonisten zustossen. Zündel ist hierin der legitime Enkel von A. E., der schon rund 100 Jahre vor ihm mit der Tücke des Objekts zu kämpfen hatte. (Und der ähnlich wie Zündel eines Tages – komplett verrückt geworden? – aus dem Blickfeld des Erzählers verschwindet – eine Koinzidenz, auf die keiner der Kritiker hinweist. Wahrscheinlich kennen sie Vischers Auch Einer nicht…) Es konnte ja nur – weil wir ihn schon erwähnt haben – einem Querdenker wie Doderer in den Sinn kommen, die Vischer’sche Tücke des Objekts in die Tätigkeit eines Geheimbundes umzuwandeln.
Beim Titel – Allein das Zögern ist human – handelt es sich übrigens um ein Zitat aus Am Hang, einen Satz, den der Altphilologe und Lehrer Loos dort einmal ausspricht. Ich bin über diese Titelwahl nicht sehr glücklich, suggeriert sie doch, was der Inhalt des Bändchens immer wieder negiert: dass nämlich der Mensch oder auch nur der Autor Werner über sein Werk entschlüsselt werden könnte. Natürlich steckt in jedem Roman, in jedem Protagonisten, ein Stück seines Autors. Aber gerade bei Werner muss man mit solchen Zuordnungen zurückhaltend sein – auch und gerade, wenn sie (wie beim Lehrerberuf inkl. Burn-Out Zündels) eklatant erscheinen. Werner hat wenig veröffentlicht, und das Wenige über Jahre hinweg verteilt – dass er deswegen ein Zögerer war, würde ich nicht zu behaupten wagen.
Alles in allem ein nicht uninteressantes Büchlein, dessen Lektüre ich nicht bedaure, auch wenn ich wenig aus den hier versammelten Artikeln gezogen habe.