Thomas Rid: Maschinendämmerung

Die „kurze“ Geschichte der Kybernetik entpuppt sich als ein doch recht umfängliches Werk von 450 Seiten, wobei meine Erwartung einer eher „technischen“ Darstellung nicht erfüllt wurde. Zugegeben – da steht auch „Geschichte“ und insofern darf ich mich nicht darüber beklagen, dass ein Buch genau das enthält, was es ankündigt.

Ich habe mit vergleichbaren Büchern (die sich mit der Technisierung der Welt und deren Auswirkung beschäftigen) schlechte Erfahrungen gemacht: Hier und hier habe ich diese dokumentiert und meinem Erstaunen über Trivialität und Inkompetenz der Autoren Ausdruck verliehen. Beim vorliegenden Buch weiß man schon nach wenigen Seiten, dass der Autor weiß, wovon er spricht und dass sein Wissen über das hier Dargestellte und Dokumentierte hinausgeht. Rid lehrt am Kings College und macht – Kybernetik und Informatik betreffend – einen sehr kompetenten Eindruck (wenngleich das Buch auch für Laien wunderbar zu lesen sein dürfte).

Und es ist – wie erwähnt – eine Geschichte der Kybernetik: Technische Details sucht man vergebens. Rid schildert die ersten Gehversuche dieser neuen Wissenschaft während des Zweiten Weltkrieges, als die Engländer vor der Aufgabe standen, ihr Luftabwehrsystem zu modernisieren und intelligente, flexibel reagierende Waffensysteme zu entwickeln. Dieses Projekt wurde auch in den USA verfolgt, wobei u. a. Norbert Wiener damit betraut wurde. Doch seine Versuche, die Mensch-Maschine-Interaktion durch Rückkoppelungsschleifen zu verbessern, waren zum Scheitern verurteilt. Die Berechnungen für den Abschuss von Geschoßen oder Flugzeugen konnten zwar verbessert bzw. automatisiert werden, die Verschmelzung von Mensch und Maschine aber sollte – und nicht zum letzten Mal – scheitern.

Trotzdem waren die Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg die Blütezeit der Kybernetik: Man glaubte eine neue, alles revolutionierende Wissenschaft entdeckt zu haben, man träumte nicht nur von Cyborgs, sondern auch von sich selbst replizierenden Maschinen, die ihren Erschaffern weit überlegen sein sollten. Eine Umgestaltung in beide Richtungen: So wurden einerseits Maschinen vermenschlicht und ihnen „Geist“ zugesprochen, andererseits aber versucht, den Menschen zu einem technisch verbesserten und leistungsfähigeren Cyborg zu machen mit aller nur irgend möglichen artifiziellen Unterstützung. Die Vorstellungen wurden dabei nicht unwesentlich aus der SF-Literatur bezogen: Clarke, Vinge, später Gibson wurden zu Ideenlieferanten für Ingenieure und Computerfreaks.

In den 70ern entdeckte die Gegenkultur die Kybernetik für sich: Man versprach sich die Erleuchtung nicht mehr durch diverse Halluzinogene, sondern durch eine Verschmelzung mit der Maschine bzw. mit dem Hyperraum (der hinwiederum ursprünglich von der US-Army als Versuchsraum für Piloten konzipiert wurde). Psychoanalytiker verbündeten sich mit landwirtschaftlichen Selbstversorgern und Technikfreaks und die ursprüngliche Computerfeindlichkeit (weil alle Technik denn immer nur ein Instrument der herrschenden Klasse zur Unterdrückung der Bürger darstellt) verwandelte sich in eine Option zur Selbstfindung. Obwohl die kybernetische Grundlagen hier nur noch Namensgeber waren (wie schon bei Ron L. Hubbard, dem Norbert Wiener untersagte, seinen esoterischen Unsinn mit seinem Namen in Verbindung zu bringen), waren es gerade die anarchischen Züge, die bis hinein in die Anfänge des Internets (und ein wenig länger) überlebten.

Während die 80er noch von Visionen geprägt waren (Lanier entwickelte einen Ganzkörperanzug, der dem Benutzer die Erfahrung der virtuellen Realität ermöglichen sollte, manch einer behauptete, dass die gemachten Erfahrungen jene von LSD-Trips bei weitem übersteigen würden), begann mit den 90ern das Zeitalter der digitalten Kommunikation. Von Beginn an hatte dabei die Frage nach Überwachung, Anonymität und in der Folge nach Verschlüsselung größte Bedeutung. Die kryptographischen Möglichkeiten wurden von der rasch anwachsenden Netzgemeinde in einer jeder Regulierung sich verweigernden Weise interpretiert: Endlich glaubte man die Freiheit gekommen, die Freiheit des Handelns, der Kommunikation, zur Steuervermeidung – endlich schien der Zugriff staatlicher Stellen sein natürliches Ende gefunden zu haben. Wer in den 90ern schon online war, kann sich an dieses Pathos in diversen Newsgroups mit Sicherheit erinnern: Dass derlei aber nicht immer bloße Spinnerei und postpubertäres Liebäugeln mit anarchischen Versatzstücken war (häufig hatte man den Eindruck, dass die diversen Äußerungen eigentlich an den Papa der Betreffenden gerichtet seien, der einen Stock tiefer die Miete für den Computerfreak bezahlte), zeigte der Fall des Theodore Kaczynski (des Una-Bombers). Dessen Manifest* spiegelt die Haltung der Tastaturcowboys jener Zeit glänzend wider, das Staat als Ungeheuer, ihm gegenüber der Revolutionär vor dem Bildschirm, der endlich seine Freiheit entdeckt zu haben glaubt. Eine Aufbruchstimmung, die mit dem Platzen der Dot-Com-Blase ein Ende fand, deren Schilderung mich aber schon deshalb berührte, weil ich selbst bereits in Ansätzen Teil dieser Geschichte war (ohne allerdings dem Anarchismus zu huldigen, vielmehr begeistert von den technischen Möglichkeiten).

Thomas Rids Buch ist wunderbar zu lesen, vermittelt gekonnt Zusammenhänge (die entscheidenden Anstöße waren zumeist militärischer Natur) und ist ein Vergnügen für all jene, denen an einer ein wenig anderen Technikgeschichte gelegen ist. Ich habe es jedenfalls mit größtem Vergnügen gelesen, bin mir aber auch schmerzlich (?!) meiner Jahre bewusst geworden: Für meinen Sohn sind diese Anfänge so weit entfernt wie für mich der Zweite Weltkrieg.


*) Thomas Rid erwähnt den Una-Bomber in seinem Buch allerdings nicht.


Thomas Rid: Maschinendämmerung. Eine kurze Geschichte der Kybernetik. Berlin: Propyläen 2016.

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