Was klingt, als ob Robert Louis Stevenson und seine Frau Fanny einen gemeinsamen Bericht geschrieben hätten über ihre Zeit auf Opolu, einer der Samoa-Inseln, besteht in Tat und Wahrheit aus unabhängig voneinander entstandenen Texten. Das Grundgerüst stellt Fanny Stevensons Tagebuch dar; wo darin Lücken sind (und es sind grosse Lücken darin – dazu s. gleich weiter unten), werden diese mit Briefen gefüllt, die Robert Louis von dort an Freunde in Grossbritannien schickte.
Fanny Stevensons Tagebuch
Im September 1890 kamen die Stevensons in Vailima an; da setzt auch das Tagebuch ein. Es handelte sich um eine, wie der Herausgeber und Übersetzer es nennt, Vertreibung ins Paradies: Der schwer lungenkranke Stevenson hatte sich dazu entschlossen, den Rest seines Lebens – und die Ärzte gaben ihm nur noch wenige Jahre – auf den Samoa-Inseln zu verbringen, nachdem er herausgefunden hatte, dass er dort noch einigermassen beschwerdefrei leben konnte. Stevenson war zu diesem Zeitpunkt 40 Jahre alt. Seine Frau war 10 Jahre älter.
Dabei war das Leben auf Opolu – gerade für Fanny – zu Beginn kein Zuckerschlecken. Man quetschte sich, zusammen mit den eingeborenen Dienstboten, in ein kleines Haus (zumindest bis das geplante, grössere, erstellt war) und man begann, den Urwalt zu roden, um Platz für einen Gemüse- und Früchtegarten zu erhalten, sowie Weide- und Unterkunftsmöglichkeiten für Pferde, Schweine und Hühner. Ich schrieb ‚man‘, aber die Hauptlast dieser Arbeit trug Fanny, und so ist zu Beginn das Tagebuch voller Einträge über die Fortschritte und Rückschläge der Garten- und Feldarbeit.
Dies besserte mit der Zeit und schliesslich konnte Robert Louis seinen ganzen Clan, seine Mutter ebenso wie Fannys Sohn und ihre Tochter (inkl. Schwiegersohn) nach Vailima locken, wie der Ort hiess, an dem man sich niedergelassen hatte.
Später dann wurden die Stevensons in die lokale Politik verwickelt – was, da die Insel von drei ‚weissen‘ Grossmächten gleichzeitig verwaltet wurde (Grossbritannien, Deutschland und die USA) – auch bedeutete, dass sie in die Weltpolitik verwickelt wurden. Lokale Reibereien zwischen verschiedenen Häuptlingen darum, welcher nun als Oberhaupt und ‚König‘ die ganze Insel ‚regieren‘ durfte, arteten schliesslich, auch weil die Grossmächte jeweils andere Häuptlinge favorisierten, in einen kurzen Bürgerkrieg aus. Da auch die Stevensons Partei ergriffen hatten – und zwar die Partei des unterlegenen Häuptlings – mussten sie eine Zeitlang um Leben, Hab und Gut bangen.
Kontakte mit anderen Weissen sind rar und oft spannungsvoll. Am interessantesten für den literarischen Lesern vielleicht jener Kontakt zu Bazett Haggard, einem britischen Landkommissar auf Samoa: Es handelte sich hier um jenen Bruder von Henry Rider Haggard, mit dem dieser gewettet haben soll, dass er ein genau so spannendes Jugendbuch schreiben könne, wie es Stevensons Schatzinsel sei. Das Resultat der Wette war King Solomon’s Mines, und der – zumindest im englischen Sprachraum – zur Ikone gewordene Allan Quatermain.
Robert Louis Stevensons Briefe
Zu Beginn – wo Fanny noch regelmässig Tagebuch führt – finden wir kaum Briefe von Robert Louis. Die folgen erst später, als es Fanny schlecht geht. Doch Stevenson berichtet im Grunde genommen recht summarisch über das Wohlergehen seiner Frau. Im Zentrum seiner Briefe stehen seine Werke – er schrieb in der Südsee fleissig.
Fanny und Robert Louis Stevensons Ehe
Der Untertitel des Buchs verspricht Einblick in Eine ungewöhnliche Ehe in Tagebüchern und Briefen, und es ist verblüffend, wie wenig dieser Einblick wirklich gewährt wird. Jedenfalls nicht in Fannys Tagebuch, nicht in den Briefen Robert Louis‘. Allenfalls in den erklärenden Zusätzen des Herausgebers. Wenn sich den Einwanderern grössere Probleme stellten, kann man das im Tagebuch vor allem daran festmachen, dass wir darin eine grössere zeitliche Lücke finden.
Als sich herausstellt, dass der Schwiegersohn faul ist und gar eine Nebenehe mit einer einheimischen Frau unterhält, finden wir das im Tagebuch nach monatelangem Schweigen mit der lapidaren Bemerkung, er sei nun abgereist. Andere grosse Lücken entstehen, weil Fanny selber ernsthaft erkrankt – nicht körperlich, sondern geistig. Die Anspannung muss zu viel gewesen sein für sie. Sie war immerhin schon 50 Jahre alt, was zu jener Zeit bedeutete, dass sie an der Schwelle zum Greisenalter stand. Sie fühlte sich offenbar unattraktiv und beäugte mit versteckter Eifersucht jedes Verhältnis von Robert Louis zu anderen Frauen, ob es nun Eingeborene waren oder ihre eigene Tochter. (Während sie, Fanny, 10 Jahre älter war als Robert Louis, war ihre Tochter ja nur 8 Jahre jünger als der Schriftsteller, der, als er nicht mehr selber schreiben konnte, die junge Frau als Amanuensis beanspruchte – ihr seine Texte diktierte. Es bildete sich eine Form von Intimität, die Fanny argwöhnisch machte – aber ihre Energie wurde benötigt, den Haushalt in Schuss zu halten, sie konnte ihrem Mann keine Gehilfin (mehr) sein.) Fanny war wohl auch ein wenig verbittert. Es gibt in ihrem Tagebuch eine Bemerkung – von ihren Kindern später geschwärzt, 1955 mit modernen technischen Methoden wieder lesbar gemacht –, in der sie sich darüber beklagt, dass sie von Robert Louis als geborene Bäuerin bezeichnet wurde. Sie wollte nicht nur Bäuerin sein, hatte ja, bevor sie Robert Louis kennengelernt hatte, selber Ambitionen als Künstlerin, als Malerin und Zeichnerin, gehabt.
Doch solche Einblicke in Risse in der Beziehung zwischen Fanny und Robert Louis Stevenson sind rar. Ihre psychische Erkrankung, die sie 1½ Jahre ausser Gefecht setzte, wird von Robert Louis in seinen Briefen erst erwähnt, als es ihr langsam wieder besser geht – besser, nicht gut, wie er präzisiert.
1894 stirbt Robert Louis Stevenson während des Abendessens in Vailima – nicht an der Tuberkulose, an der er sein Leben lang litt und die seinen Aufenthalt auf Samoa nötig gemacht hatte, sondern an einer Hirnblutung.
Herausgegeben und aus dem Englischen übersetzt von Lucien Deprijck. Hamburg: mareverlag, 22016.