Rand ist eine Anhängerin des Libertarismus, einer verschärften Form des Neoliberalismus, der jegliche Intervention von seiten des Staates ablehnt. (Diese Haltung mag durch ihre Biographie erklärbar sein: Ihre Familie wurde von den Kommunisten nach der Revolution enteignet, sie selbst ging in die USA und fand dort eine neue Heimat. Allerdings wurde sie und ihre Ideologie (was bei radikalen Anschauungen häufig der Fall zu sein pflegt) gegen Ende ihres Lebens von der Realität eingeholt: Nachdem sie als starke Raucherin an Lungenkrebs erkrankt war, war sie auf Leistungen aus der staatlichen Sozialversicherung angewiesen.) Nun liegt die Ursache, warum ich dieses Buch nach einigen hundert Seiten als unzumutbar weglegte, nicht in dieser kruden Philosophie (die sie mit der Handlung zum Ausdruck zu bringen sucht), sondern in der Unfähigkeit, differenzierte Charaktere zu zeichnen – oder einfacher gesagt: Dass sie ein sehr endliches Talent zur Schriftstellerei ihr eigen nennt.
Das Personal ihres Buches besteht aus Inkarnationen von Eigenschaften: Es gibt die schaffenden Genies, die Hochbegabten, die bloß um der Sache (und nicht des Geldes oder der Macht) willen ihre Geschäfte betreiben und dabei gnädigerweise sowohl die Arbeiterschaft als auch ihre gesamte Entourage durchfüttern, auf der anderen Seite eine Gruppe von Geschäftsleuten, die den freien Wettbewerb verhindern und ihre eigenen Interessen verteidigen wollen und dazu noch einige wenige Intellektuelle, die sie eine staatlich gelenkte Kulturpolitik wünschen, um nicht Bücher wie andere Konsumartikel verkaufen zu müssen. Diese einfältige Schwarz-Weiß-Malerei zieht sich durch das ganze Buch, findet sich in jeder Beschreibung menschlicher Regungen, in allen Beziehungen.
Beispielhaft für diese Simplifizierung die Gedanken eines jungen Mädchens bezüglich ihrer Beziehung (natürlich zu einem Genie): „In den vielen Momenten seiner Abwesenheit fragte sie sich nie, ob er ihr treu sei oder nicht; sie wußte, er war es. Sie wußte es, obwohl sie zu jung war, um zu wissen, warum blindes Begehren und wahllose Befriedigung nur denen möglich waren, die das Sexuelle als etwas Böses und sich selbst als Sünder betrachteten.“ So einfach kann die Welt sein, so leicht die Unterscheidung zwischen gut und böse fallen, richtig und falsch. Denn das obige Zitat ist alles, was zu dieser Thematik gesagt wird, ein apodiktischer Satz reicht aus, um die Befindlichkeiten zu beschreiben, die jemand in seiner ersten sexuellen Beziehung erlebt. (Und das jemandem, der parallel zu Rand gerade wieder mal den ersten Teil der Recherche liest …)
Wobei – vielleicht ist der Zusammenhang zwischen simplem Weltbild und der Gestaltung der Figuren im Roman dann doch kein Zufall: Denn wie man in den Werken des real existierenden Sozialismus mit dem altruistischen Stachanow-Typus konfrontiert wird (oder im Faschismus mit dem uneigennützigen Kämpfer für Volk und Blut), so bedarf auch die Ideologie Rands eines Menschen, den man in realiter vergebens suchen würde. Je einfacher das Weltbild, desto einfacher die Personen, die ein solches bevölkern. – Da ich ein im Grunde geduldiger Mensch (vielleicht besser: Leser) bin, hätte ich das Buch wahrscheinlich denn doch zu Ende gelesen, wenn es nicht über 1300 Seiten gehabt hätte. So aber waren Aufwand und Ertrag (in schönster libertaristischer Sichtweise) unverhältnismäßig: Diese Zeitinvestition lohnt sich nicht. Selbst Vertreter des Neoliberalismus dürften von der Lektüre enttäuscht sein, so einfältig pflegen sie nach meiner Erfahrung nicht zu argumentieren. Ein mehr als entbehrliches Machwerk.
Ayn Rand: Atlas wirft die Welt ab (aka Wer ist John Galt?) München: Blanvalet 1989.