Gemälde in Proust – nämlich in seinem Roman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (À la recherche du temps perdu).
Das Bild, das man üblicherweise so von Proust mit sich herumträgt, ist entweder das dessen, der seine Wohnung, ja sein Bett, nicht mehr verlässt und einzig fieberhaft an seinem Grossroman arbeitet. Oder dann dessen, der die Nacht zum Tag macht, tagsüber schläft, um in der Nacht mit seinen Freunden durch teure und schicke Restaurants und Bars zu ziehen. Das also eines Kranken oder das eines Dandys. Beide Bilder zeigen aber nicht den ganzen Proust. Ja, vor allem gegen Ende seines Lebens ging er kaum mehr aus seiner Wohnung und kannte nur noch das Ziel, unter abwechselnder Einnahme von Schlaf- und von Aufputschmitteln seinen Roman noch fertig stellen zu können. Ja, es gab eine Phase in seinem Leben, wo er nachts unterwegs war und selbst dann in teuren Restaurants ass, als er es sich gar nicht mehr leisten konnte. Er war allerdings vor allem deshalb nachts unterwegs, weil seine Asthmakrämpfe tagsüber draussen unterträglich waren.
Doch diese Bilder ignorieren den jüngeren Proust. Den, der noch auf Reisen ging. Den eben auch, der fleissig Kunstgalerien und -museen besuchte, in Konzerte ging. Proust war zeit seines Lebens ein grosser Liebhaber von Malerei und Musik. Um den Liebhaber und Kenner der bildenden Kunst geht es auch in vorliegendem Buch. Proust hatte eine Unmenge von Bildern in natura gesehen oder zumindest in (meist farbigen) Reproduktionen. Auch wenn seine eigenen Zeichnungen eher ungelenk waren, verstand er doch etwas von Kunst. Dass sein in jungen Jahren unternommener Versuch, John Ruskin ins Französische zu übersetzen, scheiterte, lag keineswegs an Prousts mangelndem Kunstsinn oder -verständnis, sondern schlicht und einfach an seinen mangelnden Englisch-Kenntnissen.
Eric Karpeles nun geht auf etwas über 350 Seiten den Spuren der Gemälde nach, die Proust in der Suche nach der verlorenen Zeit aufführt. Denn Prousts Sinn und Liebe für die Malerei zeigt sich auch in diesem Roman. Es gehört zu Prousts impressionistischer Technik, Personen, Landschaften oder Situationen nicht direkt und realistisch zu schildern, sondern den Eindruck, den sie machen, mit dem eines Gemäldes zu vergleichen. Meistens ist es der Ich-Erzähler, der so verfährt, manchmal sind es aber auch andere Personen; sogar der in späteren Teilen des Romans keineswegs als Sympathie-Träger geschilderte Charlus tut es – schliesslich schilderte Proust ja die Verfassung einer ganzen Gesellschaft und nicht das Schicksal eines einzelnen.
Die so angezogenen Gemälde stammen meist von anerkannten, grossen Meistern. Dies nicht, weil Proust unbekanntere Werke nicht gekannt hätte (er erwähnt einmal auch den gerade erst entstehenden Kubismus), sondern vor allem, weil er die Impressionen, die er damit in seinen Protagonisten aufruft, auch in seinem Publikum aufrufen will. Das Schwergewicht liegt dabei auf den alten Meistern der italienischen Renaissance und auf den ‚modernen‘ französischen und englischen Impressionisten.
Nach einer Einleitung, in der Karpeles Prousts Auseinandersetzung mit der bildenden Kunst im Allgemeinen skizziert, und die sehr interessant ist, geht er dann jeden Teil der Suche Seite um Seite durch, führt jede Erwähnung eines Kunstwerks an und fügt eine Reproduktion eben dieses Kunstwerks bei. Karpeles enthält sich hierbei jedes weiteren Kommentars. Der wäre auch überflüssig gewesen. Als Leser oder Leserin kann man sich so seinen eigenen Gedanken überlassen, was wohl auch im Sinne von Marcel Proust gewesen wäre. Anmerkungen und ein Index der angeführten Maler ergänzen das Werk.
Eric Karpeles: Paintings in Proust. A Visual Companion to In Search of Lost Time. With 209 illustrations, 199 in colour. London: Thames & Hudson, First Paperback Edition 2017.
Das Buch von Karpeles gibt es übrigens auch in Deutsch.