Theodor Storm / Theodor Fontane: Der Briefwechsel

104 Briefe in nicht ganz 35 Jahren: Schon die nackten Zahlen zeigen, dass es sich bei der Beziehung zwischen Storm und Fontane nicht um eine ganz grosse Freundschaft gehandelt haben kann. Immerhin wohnten die beiden nie so nahe beieinander, dass sich bei Kommunikationsbedarf ein mündlicher Austausch angeboten hätte. Auch blieben sie ihr Leben lang beim „Sie“, was ebenfalls keine sehr intime Beziehung andeutet. Dabei schätzten sie einander als Autoren sehr, wie sie es sich gegenseitig, aber auch Freunden und Bekannten, ja sogar dem grossen Publikum immer wieder versicherten. (Selbst nach Storms Tod betonte Fontane in seinen Erinnerungen, ein lebenslanger ‚Stormianer‘ gewesen zu sein.) Storms Schuld war diese Distanz nicht; er versuchte des öfteren, sich enger an Fontane anzuschliessen, mehr sozialen Verkehr zwischen den beiden Familien zu erreichen; aber der Berliner liess ihn regelmässig ins Leere laufen – beantwortete Briefe nicht, wich Einladungen aus oder sagte im letzten Moment (meist aus Gesundheitsgründen) wieder ab. Dabei hätten die beiden, vor allem in den frühen 1850er Jahren, einige Gemeinsamkeiten gehabt: Sie waren damals beide junge, aber noch wenig bekannte Autoren, die einem Brotberuf nachgehen mussten, weil sie beide für eine junge, aber stetig wachsende Familie Brot und Obdach zu besorgen hatten.

Vereinfacht gesagt, gibt es zwei Gründe dafür, dass die beiden nicht zusammen kommen konnten. Da war der Unterschied zwischen dem (Gross-)Stadtmenschen Fontane, der sich zu jener Zeit in Städten wie Berlin oder auch London pudelwohl fühlte, und der Provinzpflanze Storm, der, von den Dänen aus Husum vertrieben, zwangsläufig in Potsdam ansiedeln musste, das ihm zu gross war und dessen Gärten ihm zu gepflegt erschienen. (Ihm fehlten, wie er es einmal formulierte, die staubigen Kartoffeläcker um Husum. Ein, wie Fontane in seinen Erinnerungen festhält, seltsames Argument, wenn man es wörtlich nimmt: Ein kurzer Spaziergang aus Potsdams Toren heraus hätte genügt, um jede Menge staubiger märkischer Kartoffeläcker zu sehen…) Auch war der Umgangston Fontanes wohl nicht immer der gepflegteste. Das geht so weit, dass Storm Fontane einmal vorwirft, sich bei seinem letzten Besuch Frau Storm gegenüber ungebührlich verhalten zu haben, indem er der Schwangeren recht zweideutige Bemerkungen gemacht habe. Fontane sah selbst dann keine – oder keine grosse – Schuld darin, als andere Berliner Freunde bestätigten, er habe hier die Grenze des guten Anstands überschritten. Er sah seinerseits den Erotiker in Storm, da vor allem in dessen Gedichten. (Was wiederum schlecht passt zu einer andern Bemerkung Fontanes über Storm, dass dieser, ähnlich wie Mörike, ein Dichter der gepflegten und nett umzäunten kleinstädtischen Vorgärten sei – Fontane führte auch in der Öffentlichkeit eine bedeutend spitzere Zunge gegenüber Storm, als es umgekehrt der Fall war.)

Auf der andern Seite stand wohl die jeweilige politische Weltanschauung einem tieferen Verhältnis im Weg. Fontane stand in der äusseren rechten Ecke, war Redaktions-Mitglied der konservativ-reaktionären, unter pietistischem Einfluss stehenden Kreuz-Zeitung; Storm, als Deutscher, hatte sich der Schleswig-Holsteinischen Bewegung von 1848 angeschlossen, also dem Aufstand gegen die dänische Herrschaft, die auch Teil der bürgerlichen Revolution von 1848 war. Dänemark obsiegte 1848, und Storm musste, wie sein Freund Theodor Mommsen, Husum verlassen. Er blieb aber in gewissem Sinn ein Freiheitskämpfer und sah wohl die tatsächlichen Interessen Preussens, das im Deutsch-Dänischen Krieg von 1867 dann tatsächlich erreichte, dass Schleswig-Holstein preussisch wurde, in allzu rosigem Licht. Immerhin durfte er danach in die geliebte Heimat zurück kehren – was das Band zu Fontane definitiv lockerte.

Last but not least war Storm von den beiden literarisch der Bodenständigere, mehr auf Heimat und Tradition Wert Legende, was sich in seiner Verehrung der letzten noch lebenden Dichter der romantischen Generation zeigte, Mörikes und Eichendorffs. Fontanes Haltung gegenüber den beiden bleibt, bei aller Verehrung, die auch er zum Ausdruck bringt, doch kritischer. Die Querelen zwischen Gutzkow und Freytag, dessen Roman Soll und Haben betreffend (Gutzkow warf Freytag antisemitische Passagen und verzerrend-bösartige Darstellung der Juden im Roman vor), hingegen wurden zwar von Storm wie von Fontane wahrgenommen, beeinflussten aber ihr Verhältnis weder im Positiven noch im Negativen.

Zu meiner Ausgabe: Es handelt sich hier um eine leicht bearbeitete ‚Paperback‘-Edition der bereits 2011 erschienenen kritischen Ausgabe. Die Herausgeberin, Gabriele Radecke, leistet ausgezeichnete Arbeit. Die historisch-kritischen Fussnoten, ebenso wie die Sach- und Personenanmerkungen sind kompetent. Dem eigentlichen Briefwechsel sind noch öffentlich erschienene Rezensionen bzw. Biografien des jeweils anderen beigefügt, die Storm und Fontane geschrieben haben, ebenfalls ein erläuternder Essay der Herausgeberin zu den seltsamen Gepflogenheiten, die in den beiden seltsamen literarischen Gesellschaften Tunnel bzw. Rütli herrschten – Gesellschaften, in die hineinzukommen, sich Storm auch bemühte, wo er aber ebenfalls nicht so rechten Anschluss fand, und sei es nur aus Gründen der für damalige Verhältnisse nicht unbeträchtlichen Distanz zwischen Berlin und Potsdam.

Fazit: Wer mehr über die beiden Autoren Storm und Fontane wissen will, sollte zu diesem Buch greifen. Wer einen wirklich interessanten literarischen Briefwechsel sucht, wird enttäuscht sein. Das wiederum liegt dann nicht am Buch als solchem, sondern an Storm und Fontane selber.


Theodor Storm – Theodor Fontane: Der Briefwechsel. Historisch-kritische und kommentierte Ausgabe. Herausgegeben von Gabriele Radecke. Berlin: Erich Schmidt, 2018

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