1884 auf Deutsch erschienen. Vor mir liegt eine zweisprachige Ausgabe (deutsch-englisch). Der Übersetzer war John L. Austin. Zum ersten Mal ist die Übersetzung 1950 erschienen. Zusammen geführt wurden Original und Übersetzung m.W. 1980 in meiner Ausgabe von der Northwestern University Press, Evanston Illinois.
Die Grundlagen der Arithmetik gelten als das zugänglichere der beiden Werke, in denen Frege die logische Grundlage der Mathematik, v.a. der Zahl, zu liefern suchte bzw. geliefert zu haben glaubte. Er verwendet hier, im Gegensatz zu den späteren Grundgesetzen der Arithmetik, kaum Begriffsschrift, sondern formuliert in der Standardsprache. Da die Standardsprache der Philosophie, was den deutschen Sprachraum betrifft, zu Freges Zeit von Kant und dem deutschen Idealismus ‚verseucht‘ war, erleichtert dies dem Laien das Verständnis allerdings nicht in jedem Fall. (Und der Übersetzer Austin klagt immer wieder darüber, wie Frege den einen oder andern Begriff oft wenig differenziert verwendet, so z.B. Zahl und Anzahl meist – aber nicht immer – synonym verwendet.)
Dabei ist eben der Begriff Zahl zentral für Freges Analyse der Mathematik. Wie kann der für die Arithmetik grundlegende Begriff logisch begründet werden? Frege beginnt seinen Definitionsversuch mit einem Ausflug in die Philosophiegeschichte über die Natur der arithmetischen Sätze, beginnend bei Kant, der solche Sätze für unbeweisbar, weil synthetische Urteile a priori, hielt; Leibniz, dessen Beweis, dass 2 + 2 = 4 lückenhaft ist; und dann vor allem John Stuart Mill, der arithmetische Sätze in seiner Logik für durch Erfahrung bestätigte Naturgesetze erklärte. Wie gross, fragt Frege den gesunden Menschenverstand, kann eine Zahl sein, damit wir sie noch ‚erfahren‘ können? Können wir eine Addition von 1’314’899 und 560’227 noch ‚erfahren‘? Wohl kaum. Wie aber wissen wir, dass 1’875’126 das korrekte Resultat der Addition ist? Letzten Endes, zu diesem Schluss kommt Frege, müssen arithmetische Gesetze analytische Urteile sein.
Auch die Zahl (oder Anzahl) kann keine Eigenschaft äusserer Dinge sein. Frege formuliert das so:
Wenn die Zahl etwas Sinnliches wäre, könnte sie nicht Unsinnlichem beigelegt werden.
Das Ganze wird nun kondensiert in der Frage, woher die 0 kommt und die 1 – und der Schritt von der 0 zur 1. Anzahl, so weit ist Frege mittlerweile gekommen, hängt zusammen mit Menge; hierin stützt sich Frege explizit auf Cantors Arbeiten. Wie aber unterscheidet sich 1 von 0? Wie ergibt sich die 1, wie der Schritt von der 1 zur 2? Raum und Zeit – die klassischen Auskunftsmittel des englischen Sensualismus – fallen für Frege als Mittel des Unterscheidens weg – mit obigem Argument, das ihn dazu führte, eine Zahl nicht als etwas ‚Erfahrbares‘ zu betrachten, dem Argument einer Menge mit grossem Inhalt also.
Die Definition von 0 ergibt sich für Frege relativ leicht aus der Mengenlehre:
Null ist die Anzahl, welche dem Begriffe „sich selbst ungleich“ zukommt. Null ist die Anzahl, welche einem Begriffe zukommt, unter den nichts fällt. Kein Gegenstand fällt unter einen Begriff, wenn Null die diesem zukommende Anzahl ist.
(Dass Frege hier den Ausdruck „Begriff“ nicht in einem linguistischen Sinn verwendet, sei nur angemerkt.)
Nach der 0 kommt die 1. Aber wie soll die 1 denn nun kommen? Hier nun folgt der famose § 77, aus dem ich in extenso zitiere:
Um nun auf die Zahl 1 zu kommen, müssen wir zunächst zeigen, dass es etwas giebt, was in der natürlichen Zahlenreihe unmittelbar auf 0 folgt.
Betrachten wir den Begriff – oder, wenn man lieber will, das Prädikat – „gleich 0“! Unter diesen fällt die 0. Unter den Begriff „gleich 0 aber nicht gleich 0“ fällt dagegen kein Gegenstand, sodass 0 die Anzahl ist, welchem diese Anzahl zukommt. Wir haben demnach einen Begriff „gleich 0“ und einen unter ihn fallenden Gegenstand 0, von denen gilt:
die Anzahl, welche dem Begriffe „gleich 0“ zukommt, ist gleich der Anzahl, welche dem Begriffe „gleich 0“ zukommt;
die Anzahl, welche dem Begriffe „gleich 0 aber nicht gleich 0“ zukommt, ist die 0.
Also folgt nach unserer Erklärung die Anzahl, welche dem Begriffe „gleich 0“ zukommt, in der natürlichen Zahlenreihe unmittelbar auf 0.
Und so weiter ad infinitum.
Dem heutigen Logiker oder Mathematiker wird Freges Fehler sofort klar. Damals brauchte es einen Bertrand Russell, der Frege 1902, kurz vor der Veröffentlichung des zweiten Bandes der Grundgesetze der Arithmetik, in einem Brief darauf hinwies (bevor er es dann 1903 in den Principles of Mathematics veröffentlichte). Kurz gesagt geht es darum, dass es zu einem logischen Widerspruch führt, wenn eine Menge (bzw. Klasse) sich selber als Menge (bzw. Klasse) enthalten soll – die Russel’sche Antinomie. Frege war am Boden zerstört und hielt sein Lebenswerk für gescheitert. Was es in gewissem Sinne auch war…
Ein wunderschönes Beispiel dafür, dass grandioses Scheitern die Wissenschaft auch befruchten kann.