Antoine Arnauld / Pierre Nicole: Die Logik oder Die Kunst des Denkens (d.i. die „Logik von Port-Royal“)

1662 zum ersten Mal anonym erschienen, in den folgenden Ausgaben (1664, 1668, 1672, 1683) jeweils erweitert, ist dieser Text bekannt geworden als die „Logik von Port-Royal“, nach seinem Entstehungsort. Bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, übersetzt von Christos Axelos (nach der 5. Auflage, 1685), 2005.

Der Text gilt als Musterdokument des Rationalismus, des Versuchs, die Welt nur mittels Denken zu durchdringen. Die scholastischen Wurzeln des Rationalismus sind in vorliegendem Text noch sehr deutlich erkennbar, auch wenn die Logik von Port-Royal als erstes Werk gilt, in dem die „alte“, letztlich auf die antiken Griechen und in der Scholastik als Aristoteles-Erbe weitergeführte Logik erneuert wird. Der logisch-formale Teil orientiert sich allerdings noch praktisch zu 100% an der antiken Logik. Arnaud / Nicole präsentieren die klassischen Schlussarten unter ihren scholastischen Namen – BARBARA, CELARENT und wie sie alle heissen, feiern hier nochmals fröhliche Urständ, ebenso wie Aristoteles‘ zehn Kategorien, Gattung, Art, Proprium und Akzidens. Die Logik von Port-Royal war ja auch nicht als Forschungstext im Bereich der Logik gedacht, sondern als Lehrbuch – sozusagen für den Hausgebrauch des Durchschnittbürgers. (Weshalb es auch auf Französisch erschien.) Deshalb wird neben der Logik – wenn auch unter ihrem Deckmantel – auch Rhetorik behandelt, nämlich unter dem Namen der falschen Schlüsse. Partei-Geist ist dabei für die beiden Autoren ein wichtiger Grund sog. falscher Schlüsse – d.i. die unhinterfragte Voraussetzung, dass, was ich glaube, wahr ist. (Was sie nicht daran hindert, ein paar Seiten später genau diesem falschen Schluss aufzusitzen, indem sie die Doktrin der katholischen Kirche als absolute Wahrheit akzeptieren.)

Und doch ist es ein Buch, das bis heute immer wieder zitiert oder erwähnt wird. Vor allem im Grenzbereich von Linguistik, Semantik und Semiotik findet man bis heute Rückverweise auf das Buch, im Stil von „Schon in der Logik von Port-Royal …“. Was daran liegt, dass die Autoren – schon fast nebenbei – sich mit der Zeichentheorie auseinandersetzten. Eigentlich unter einer grammatischen Definition der Wortarten verborgen, werden diese Wortarten semantisch definiert, und besonders die Auseinandersetzung der Beiden mit dem Demonstrativum verdient bis heute eine Lektüre. Ich denke nicht, dass der Unterschied zwischen einer Nominal- und einer Real-Definition eine Errungenschaft der Logik von Port-Royal ist, aber in Zusammenhang mit der Beschäftigung mit dem Demonstrativum werden die Franzosen des 17. Jahrhunderts schon fast zu Vorläufern der englischen Philosophie des Common Sense des 20. Jahrhunderts. Hier können sie nicht anders, als die Empirie durch ein Hintertürchen einlassen, indem das Demonstrativum einerseits immer in der Realität verankert und andererseits die Grundfunktion der Sprache darstellt.

Dieser Punkt ist neu. Ebenso m.W. der, einem ganzen (alltäglichen) Satz Beachtung zu schenken, der sich aus Haupt- und Nebensatz zusammensetzt, und dessen logische Analyse versucht wird. Erste Ansätze der modernen Sprachphilosophie beginnen hier.

Ansonsten zeigt ein Blick ins verdankenswerter Weise angefügte Personenregister rasch, woher die Autoren kommen, womit sie sich vorzüglich auseinandersetzen: Aristoteles ist der wohl meist Zitierte, dann Cicero (eher als Redner denn als Philosoph!); in denselben Rollen Euklid und Vergil; der Apostel Paulus als positives, der Freigeist Montaigne als negatives Beispiel der Anwendung rhetorisch-logischer Figuren. Descartes wird mit seinem ebenfalls pädagogisch gedachten „Discours de la Méthode …“ kurz erwähnt – bereits als allbekannter und nicht zu umgehender Vorgänger.

Alles in allem eine interessante Lektüre für den Philosophiehistoriker, bzw. den Geschichtsschreiber von Logik und Semiotik, die aber auch dem selber Denkenden Anstösse zu Hinterfragung seiner eigenen Sprache bieten kann – vorausgesetzt, er wendet die Logik von Port-Royal konsequenter an, als dies ihre eigenen Autoren taten.

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