Ibn Battuta, manchmal auch mit ‚h‘ am Schluss geschrieben, mit vollem Namen ʾAbū ʿAbd al-Lāh Muḥammad ibn ʿAbd al-Lāh l-Lawātī ṭ-Ṭanǧī ibn Baṭūṭah (أبو عبد الله محمد بن عبد الله اللواتي الطنجي بن بطوطة ), ist für die arabische Welt, was Marco Polo für die europäische ist: der grosse Welt- und Forschungsreisende. Ibn Battutah lebte von 1304 bis 1368 oder 1369, war also rund eine Generation jünger als der Venetianer, der von 1254 bis 1324 lebte.
Was Ibn Battutah wirklich dazu trieb, sich fast 20 Jahre als Weltenbummler zu vergnügen, bleibt mir persönlich auch nach der Lektüre seines Reiseberichts ein Rätsel. Eigentlich setzte der junge Mann aus Tanger in Marokko, der die damals übliche (weil einzig existierende) höhere Ausbildung in einer islamischen Gesetzesschule gemacht hatte, im Jahre 1325 „nur“ zur „Haddsch“, der traditionellen Pilgerreise nach Mekka und Medina, an. Doch schon diese Pilgerreise versah er mit Schlenkern von Kairo den Nil hinauf, aber auch nach Jerusalem und nach Damaskus. Nach dem Besuch von Mekka und Medina blieb er dann mehrere Jahre „in der Gegend“, bereiste die arabische Halbinsel kreuz und quer bis nach Aden und Oman, setzte auch über aufs afrikanische Festland und reiste der Küste entlang bis Sansibar. Dann ging es über das heutige Istanbul, damals noch christliche Konstantinopel, in den Norden, bis zu den Wolgabulgaren, von da in den Nordosten; und über Afghanistan und den Hindukusch – also praktisch dieselbe Route, die auch Alexander der Grosse genommen hatte – betrat er dann Indien. Im Gegensatz zu Alexander gelang Ibn Battutah sein persönlicher Feldzug, und er kam in Delhi an. Von dort ging es über Ceylon und einen Abstecher in die Malediven nach China, eventuell bis Peking. Nach Hause benutzte er vor allem den schnelleren Seeweg, allerdings hielt es ihn nicht lange in Marokko. Gibraltar und Granada waren seine nächsten Stationen, bevor er dann noch von Marokko in den afrikanischen Süden reiste, bis Timbuktu. Über 19 Jahre war er so unterwegs. Endlich und definitiv zu Hause, diktierte er auf Befehl des Sultans von Marokko, der nun sein Dienstherr war, einen Bericht über seine Reisen, bekannt geworden unter dem Titel Rihla, eigentlich تحفة النظار في غرائب الأمصار وعجائب الأسفار Tuḥfat an-Nuẓẓār fī Gharāʾib al-Amṣār wa ʿAjāʾib al-Asfār (in etwa: „Ein Geschenk an jene, die die Wunder von Städten und die Grossartigkeit des Reisens betrachten wollen“). Ibn Battutah, der unterwegs keine Notizen gemacht hatte, diktierte aus der Erinnerung. Das war wohl der Grund, warum er und sein Schreiber, Ibn Juzayy, Informationen aus andern Büchern hinzugefügt haben. Für den Rest seines Lebens versank Ibn Battutah in der Bedeutungslosigkeit. Er wurde offenbar noch zum Richter ernannt – mehr wissen wir nicht, nicht einmal das genaue Datum seines Todes.
Ähnlich wie die Marco Polos sind auch Ibn Battutahs Erinnerungen nicht immer zuverlässig. Seine Geografie z.B. von China ist ähnlich merkwürdig und unsicher, was viele heutige Forscher zur Vermutung führt, dass Ibn Battutah China nie wirklich selber gesehen hat. (So, wie man das ja auch von Marco Polo behauptet.) Tatsächlich besteht ein frappanter Unterschied zwischen Ibn Battutahs Schilderung von China und der seiner Erlebnisse auf den Malediven. Letztere sind äusserst präzise und detailliert, man kann ihm fast mit den Fingern auf der Karte folgen. Auch seine angebliche Reise die Wolga hoch bis zum islamischen Staat der Wolgabulgaren wird angezweifelt. Zu merkwürdig klingt die Schilderung von Hundeschlitten, die dort bereits als Transportmittel im ewigen Eis und in ewiger Nacht dienen sollen. Trotz all dem aber kann Ibn Battutah wohl für sich in Anspruch nehmen, der Mensch zu sein, der (zumindest bis zur Erfindung der Dampfmaschine) in seinem Leben am meisten Kilometer auf dieser Erdkugel zurückgelegt hat. Marco Polo jedenfalls schlägt er um Längen.
Dass dies Ibn Battutah überhaupt möglich war, liegt an verschiedenen Kleinigkeiten, die sich aber summieren. Zum einen war der Islam damals weltweit gesehen noch immer auf dem Vormarsch. Nur in Europa wurde er langsam zurückgedrängt – was Ibn Battutahs ursprüngliches Motiv war, nach Granada zu reisen: er wollte dort auf muslimischer Seite als Soldat gegen die christliche Reconquista dienen. Da der oberste Befehlshaber der Christen aber kurz vorher von der Pest getötet worden war, war die Gefährdung Granadas für den Moment vorbei, und Ibn Battutah konnte auch diese Reise zum Sight-Seeing verwenden. Der Vormarsch aber in den übrigen Teilen der Welt führte dazu, dass überall islamische Städte oder gar Staaten entstanden, zumindest kleine islamische Vorposten existierten. Diesen kürzlich erst islamisierten Orten fehlten in vielen Fällen die islamischen Beamten. Vor allem die Stelle eines Kadi, eines Richters nach islamischem Recht, war oft vakant, da die entsprechenden Ausbildungsstätten in den jung-islamischen Staaten fehlten. Da kam der entsprechend ausgebildete Ibn Battutah gerade recht. Die lange Dauer seiner Reise erklärt sich nämlich vor allem daraus, dass er an vielen Orten über Monate, ja Jahre, die Stelle eines Kadi innehatte. Auf diese Weise konnte sich der junge und keineswegs aus reichem Haus stammende Mann überhaupt erst seine Reise finanzieren. Zudem war Ibn Battutah schon früh Mitglied einer ebenfalls weit verbreiteten islamischen Brüderschaft geworden, und diese seine Brüder sorgten dann jeweils ebenfalls für ihn.
Ibn Battutah erzählt im übrigen nicht nur von den Schokoladeseiten des Reisens. Mehrmals ist sein Leben bedroht – durch Stürme auf See ebenso wie durch räuberische Einheimische oder despotische Herrscher. Er wird bis aufs Hemd ausgezogen und in der Wildnis stehen gelassen. Eine Diarrhoe quält ihn dermassen, dass er nicht mehr reiten, sondern nur noch in der Sänfte eines Kamels mitreisen kann. Seine Reisegefährten müssen ihn jede Stunde daraus heben, weil er zu geschwächt ist, um selber herauszuklettern, und doch sein dringendes Geschäft erledigen müsste.
Unser Weltreisender blieb im übrigen sein Leben lang ein streng-konservativer Muslim sunnitischen Zuschnitts. Schiiten und unverschleierte Frauen waren ihm ein Horror. Dass es Länder gab, in denen auch eine Muslima mit Männern befreundet sein durfte, ohne dass ihr Gatte gleich Ehebruch witterte, konnte er nicht verstehen. Selber muss er auf seinen verschiedenen Stationen Dutzende von Frauen geheiratet und wieder geschieden haben, von den Sklavinnen, die er sich hielt, nicht zu reden. Wie viele Kinder er unterwegs – mit rechtmässig angetrauten Frauen ebenso wie mit Sklavinnen – gezeugt hat, entzieht sich unserer Kenntnis. Ein paar werden erwähnt. In Bezug auf sein Privatleben aber bleibt Ibn Battutah recht verschlossen. Selbst von Gefährten, die ihn jahrelang begleiten, erfahren wir knapp den Namen bei einer gelegentlichen Erwähnung.
Die Rihla gibt es in einer englischen Übersetzung in drei Bänden. Davon hat Tim Mackintosh-Smith einen Auszug erstellt (The Travels of Ibn Battutah), der 2002 zum ersten Mal erschienen ist und Ibn Battutah definitiv ins Blickfeld der Europäer gerückt hat. Diesen Auszug habe ich, in der bibliophilen Edition der Folio Society, nun gelesen.
Zum Schluss möchte ich noch eine kleine Anekdote nacherzählen, die Ibn Battutah bei seinem Aufenhalt im „Land der Schwarzen“ erfährt: Ein weisser Kadi, der sich unehrenhaft betragen hat, ist dafür ins benachbarte Land der Ungläubigen verbannt worden. Diese Ungläubigen sind dafür bekannt, dass sie die Söhne Adams verspeisen. Der Kadi allerdings bleibt verschont, weil er weiss ist. Denn, argumentieren diese schwarzen Ungläubigen, ein Weisser sei als Nahrung schadenbringend, weil er noch unreif sei. Nur Schwarze seien reif und daher zum Verzehr geeignet…
1 Reply to “Ibn Battutah”