Kurt Flasch (* 1930) kenne ich als ausgezeichneten Philosophiehistoriker, als Spezialisten für die Philosophie des Mittelalters, die sog. Scholastik. Obwohl er selber sagt, dass er mit dem vorliegenden Text für einmal ein persönliches Buch schreiben wollte, habe ich es nicht unter „Autobiografie“ eingereiht. Es ist, wenn man so will, das unpersönlichste persönliche Buch, das ich je gelesen habe.
Zwar beginnt Flasch mit einer Einleitung, in der er klar stellt, dass er das Christentum nicht wegen seiner Institutionen verwirft, weder wegen seiner katholischen noch wegen seiner protestantischen. Er selber habe sehr schöne Erinnerungen an seine katholische Kindheit, von Missbrauch und ähnlichem habe er zu seiner Zeit, an seinem Ort, nichts mitbekommen. Dies klar gestellt, übernimmt – wenn ich so sagen darf – der Philosoph und Philologe.
Flaschs Ungenügen am Christentum ist nämlich ein prinzipielles. Der an der Scholastik geübte Philosoph entgegnet der Scholastik scholastisch. Das Buch ist nicht für Fachleute geschrieben (denn es verkürzt tatsächlich oft ein bisschen allzu sehr), aber es verlangt vom Laien einiges ab. Die Begründung der christlichen Dogmen durch die Kirchenväter wird mit diesen auf Augenhöhe diskutiert. Kurt Flasch entgegnet Thomas von Aquin als Thomist, aber als ungläubiger Thomist, als ein Intellektueller, der nur das logisch-rationale Argument gelten lässt, und im Gegensatz zum mittelalterlichen Intellektuellen sich nicht auf unbewiesene Scheingründe zurückzieht, die ihm dann die christliche Religion als sicheren Hafen vorgaukeln. Er denkt dort weiter, wo Pascal aufgehört hat, wo Kant nur noch agnostische Andeutungen hinterlassen hat, wo Feuerbach sich vom akademischen Denken verabschiedet hat. Im Fokus seiner Auseinandersetzung sind ein paar wenige Kirchenväter: Origines wird gestreift, aber vor allem sind es Augustinus, Thomas von Aquin und Anselm von Canterbury, mit denen Flasch „diskutiert“.
Den Sprung in den irrationalen Glauben, ins Abenteuer, wie es Flasch nennt, kann und will der Rationalist nicht nachvollziehen. Damit, so seine implizite Argumentation, liesse sich alles und jedes rechtfertigen. Søren Kierkegaard habe ich nicht einmal erwähnt gefunden. Schon seit der Romantik, seit Schleiermacher, hat sich für Flasch die protestantische Kirche aus dem rationalen Diskurs entfernt, um überhaupt irgendwie noch Gläubige halten zu können, seit den 1960ern tut es ihr die katholische Kirche nach. Den Rationalisten Flasch kann das Christentum so nicht halten.
Ausser der philosophischen Argumentation finden wir bei Flasch auch eine philologisch-bibelkritische. Er zerlegt die Bibel in ihre historisch gewachsenen Teile. Das erlaubt es ihm z.B. nachzuweisen, dass Jesus in den ersten Schriften über ihn (den Paulus-Briefen) keineswegs als ‚Sohn Gottes‘ apostrophiert wurde. Das Bild Gottes hat also nicht nur seit dem Alten Testament und innerhalb dessen geändert, weg von einer lokalen Wetter- und Feuergottheit über den rach- und eifersüchtigen Stammesgott, der sich bestenfalls als einen unter vielen konkurrenzierenden Göttern empfand, bis hin zum Verkünder eines zukünftigen Heils, der dann von der Sekte der Christianer (um Wielands Ausdruck zu verwenden) in den „lieben“ Gott und Vater umgedeutet wurde – Jahrzehnte, Jahrhunderte nach dem Sektengründer Christus.
Das alles ist nichts Neues, und Flasch behauptet das auch nicht. Er selber sieht sich als Agnostiker, da er – im Gegensatz zum Atheisten, der die Nicht-Existenz Gottes beweisen zu können glaube – nur feststellen könne, dass Gott weder bewiesen noch rational-logisch nachvollziehbar sei. Man verzeiht Flasch diese merkwürdige Definition des Atheismus, insbesondere, weil er eigentlich das ganze Buch hindurch als Atheist argumentiert und seine Unterscheidung selber ad absurdum führt.
Interessanterweise stammen alle Kritiken des Buchs im Netz, derer ich habhaft werden konnte, von – Theologen. Diese werfen Flasch – natürlich – Vernachlässigung dieses oder jenes Ergebnisses von diesem oder jenem Konzil, dieser oder jener Synode vor, oder ein Herauspicken dieses oder jenes Teils der Bibel, der halt nicht so kritikfest sei wie andere Teile. Diese Theologen, die alle pro domo reden, übersehen dabei das prinzipielle Argument Flaschs: In der Scholastik war jedes Fitzelchen Argument wichtig, weil nur die Totalität der Argumente das christliche Gebäude stützen konnte. Teile des Gebäudes preis zu geben, hiess, das ganze Gebäude preis zu geben. Das ist es, was Flasch dem Protestantismus seit der Romantik, der katholischen Kirche seit 1960 zu tun vorwirft. Man versucht, Teile zu retten und sieht nicht, dass das Ganze damit verloren ist. Flasch‘ theologische Kritiker sind betriebsblind.
Sicher, Flasch hätte dem Philosophen konziser sein mögen. Aber der ist so wenig sein Zielpublikum wie der Theologe. Der emeritierte Philosophiehistoriker bringt nichts Neues, aber er fasst das Altbekannte gut zusammen.
Ich habe mich irgendwo damit gebrüstet, der erste Nicht-Theologe zu sein, der Flaschs Buch bespricht, und bin dann darauf aufmerksam gemacht worden, dass schon andere Nicht-Theologen vor mir in Foren (z.B. auch in unsrerm) von diesem Buch gesprochen haben. Das stimmt natürlich. Aber alle längeren Beiträge, die ich gesehen habe, stammten von sog. Profis und allesamt von Theologen. Ich gebe aber zu, dass ich keineswegs alle Feuilletons oder Literturforen und -blogs im deutschsprachigen Raum kenne bzw. lese.