David Hume: Dialoge über natürliche Religion [Dialogues concerning Natural Religion]

Die Dialogform ist eine altehrwürdige Form in der Philosophie. Schon Platon verwendete sie, und – um für einmal nicht nur eurozentrisch zu bleiben – auch die Lehren des Konfuzius wurden in Dialogen überliefert. Beim frühen Platon diente der Dialog dazu, die Aporien seiner Fragestellungen herauszustellen – auf die Frage „Was ist Tugend?“ wusste zum Schluss keiner  eine Antwort, nicht einmal Sokrates. In seinem Spätwerk wurde Platon allerdings zum Gefangenen seiner dialogischen Lehrform – jetzt, wo er Antworten auf seine Fragen zu haben glaubte, degenerierte ihm die Dialogform unter der Hand: Sokrates‘ Gesprächspartner mutierten zu reinen Stichwortgebern; Sokrates referierte und monologisierte. Vielleicht sind deshalb von Aristoteles, Platons grossem Schüler, keine Dialoge überliefert.

Die alten Römer haben von den Griechen auch das Philosophieren in Dialogen übernommen – vor allem der Eklektiker Cicero verfasst immer wieder philosophische Dialoge. Bei ihm dient die Dialogform vor allem dazu, ein Problem möglichst unvoreingenommen von allen Seiten beleuchten zu können. Es ist fast unvermeidlich bei einem philosophischen Dialog, dass irgendeiner der Teilnehmer wohl die Meinung des Verfassers ausdrücken wird – und damit einen Tick intelligenter und/oder eloquenter ist als seine virtuellen Gesprächspartner. Das zeigt sich dann in den Dialogen, die zur Zeit der Scholastik von diesem oder jenem Kirchenvater über den Vergleich der grossen monotheistischen Religionen verfasst wurden, wo ein Jude, ein Christ und ein Mohammedaner zusammen kommen und die Vorzüge ihrer jeweiligen Religion diskutieren. Bei Abälard ist es ganz sicher so, dass der Christ über seine beiden Gesprächspartner triumphiert (Gespräch eines Philosophen, eines Juden und eines Christen), bei Nikolaus von Kues ganz ähnlich (Vom Frieden zwischen den Religionen). (Ramon Llull, der zwar – glaube ich – keine solchen Dialoge verfasst hat, war von der logischen Überlegenheit des Christentums über den Islam derart überzeugt, dass er in die maurischen Teile Spaniens wanderte, um dort die Bevölkerung durch Logik vom Christentum zu überzeugen. Die maurischen Behörden haben ihn – wohl als Kranken – einfach wieder über die Grenze zurückspediert.)

Nach und nach kam der Dialog dann in der Philosophie ausser Gebrauch, und David Humes Dialoge über natürliche Religion gehören philosophiehistorisch schon zu den letzten ihrer Art. Warum Hume die Dialogform wählte, ist klar: Nur sie erlaubte es ihm – unter dem Deckmantel von Beiträgen eines der Teilnehmer – seine Position darzustellen, ohne gleich Kopf und Kragen zu verlieren. In den Dialogen über natürliche Religion heisst dieser Teilnehmer bezeichnenderweise Philo. Philo vertritt eine radikal-skeptische Position; jedweder Gottesbeweis wird von ihm zerpflückt – sein es, dass er logischer Unsinn ist, sei es, dass die Empirie gegen ihn spricht. Zeitweise nähert sich seine Position mehr der Demeas an, der den traditionellen Glauben vertritt, und wie Philo der Meinung ist, dass Gott nicht erkannt werden könne. Als Demea allerdings erkennt, dass Philo aus ganz andern Gründen etwas Ähnliches behauptet wie er, wird es ihm zu viel, und er zieht sich aus dem Gespräch zurück. Philo schmettert so ziemlich jede Art von Gottesbeweis ab. Den gütigen Gott natürlich mit Hinweis auf alle Übel, die den Menschen befallen können und werden (immer abgestützt auf Koryphäen – hier Edward Young und Miltons Paradise Lost). Leibniz‘ beste aller Welten mit Epikur:

Epikurs alte Fragen sind noch unbeantwortet. Will er [Gott] Übel verhüten und kann nicht? Dann ist er ohnmächtig. Kann er und will nicht? Dann ist er übelwollend. Will er und kann er? Woher dann das Übel?

(In einer Anmerkung verweist meine Ausgabe (Meiner-Verlag, Philosophische Bibliothek Band 36, 7. Auflage, Text nach der von Günter Gawlick 1980 gründlich revidierten Überstzung von Friedrich Paulsen) auf Laktanz als direkte Quelle Humes.)

Verblüffend das Ende der Dialoge: In einem Salto rückwärts akzeptiert Philo die Position seines verbleibenden Gesprächspartners Cleanthes, und Cleanthes‘ junger Schüler Pamphiles erklärt seinen Lehrer zum Sieger des Gesprächs.

Das korrespondiert mit jenem Dialog, der in vielem Vorbild war für den von Hume, nämlich Ciceros De Natura Deorum. Ich werde aber den Verdacht nicht los, dass Hume hier für den aufgeweckteren Part seiner Leser geschrieben hat. Nachdem Philo zuerst eine Position zufälligen Entstehens der aktuellen Form sowohl von Individuen wie von Arten, ja vom ganzen Universum, vertreten hat, also haarscharf an der Entwicklung einer Evolutionstheorie vorbeischrammt, macht er im 12. Kapitel, bezeichnenderweise unter Rückgriff auf den alten Arzt Galen, ein paar Schritte zurück:

Mit Vergnügen höre ich Galen den Bau des menschlichen Körpers erörtern. Die Anatomie des Menschen, sagt er, entdeckt mehr als sechshundert verschiedene Muskeln; und wer diese mit Fleiß betrachtet, findet, daß in jedem die Natur mindestens zehn verschiedene Umstände anpaßen musste, um den beabsichtigten Zweck zu erreichen […]. (Hervorhebung von mir – P.H.)

Philo greift also zurück auf Aristoteles‘ Art, die Natur teleologisch zu betrachten: Zu welchem Zweck hat sie dieses oder jenes in genau dieser Form hervorgebracht? Die im Titel des Werks angesprochene natürliche Theologie (eine Theologie, die Gott erkennen will ohne Rückgriff auf eine Offenbarung) mutiert Philo (und Hume) so zu einer Physikotheologie, die ihrerseits immer und per definitionem haarscharf an einem Pantheismus (Deus sive Natura) vorbeischrammt. Philo wird im Verlaufe der Dialoge zu intelligent dargestellt, als dass er seine Volte nicht selber erkennen hätte können und müssen. Wir dürfen also davon ausgehen, dass der Trick, den Philo (und Hume) uns spielt, nur dazu dient, die allzu skeptische, weil unterdessen schon fast beim Atheismus angelangte Position Philos (und Humes) zu kaschieren. Noch Kant – bekanntlich von Hume aus seinem dogmatischen Schlummer geweckt – wird ähnlich vorgehen.


PS. Dies ist eine ‚Zweitmeinung‘ (die sich von der Erstmeinung allerdings im Grunde nicht unterscheidet) zu scheichbeutels Beitrag. Er war für einmal schneller als ich 😉 .

4 Replies to “David Hume: Dialoge über natürliche Religion [Dialogues concerning Natural Religion]”

  1. Papst Ratzinger hat erstaunliche, bewunderswert liberale Gedanken über eine natürliche Religion/Theologie geäußert und festgestellt, dass der absolute Gott der (griechisch-plytheistischen) Philosophen mit dem Monotheismus der abrahamitischen Religion starke Übereinstimmungen aufweist:

    „Das Wesen des Monotheismus besteht … darin, daß er es wagt,
    das Absolute selbst als den Absoluten anzusprechen,
    als Gott, der zugleich das Absolute an sich und des Menschen Gott ist.
    Anders gesagt: Das kühne Wagnis des Monotheismus ist es,
    daß er das Absolute – „den Gott der Philosophen“ – anspricht, es für den Gott der Menschen – „Abrahams, Isaaks und Jakobs“! – hält…
    Die Stoa unterscheidet – – = theol. mythica – civilis – naturalis (1). In diesen genauen Zusammenhang gehört die philosophische theologia naturalis der Griechen hinein; wer sie unabhängig davon zu verstehen sucht, versteht sie falsch. Mit dieser stoischen Teilung, wie sie vor allem in den 41 Büchern der Antiquitates rerum humanarum et divinarum des M. Terentius Varro (116-27 v. Chr.) entfaltet wird, ist nämlich in der Tat das Problem des philosophischen Monotheismus der Griechen bzw. ihrer philosophischen Gotteslehre exakt getroffen (2). Was ist mit dieser Teilung gemeint?…
    Es ist nicht erfaßt mit der Behauptung, der Polytheismus verehre viele Götter, während der Monotheismus nur einen Gott kenne. Eine derartige Aussage bleibt ganz im Vordergrund stecken. In irgendeiner, wenn auch noch so verdunkelten Form, wissen nämlich fast durchweg auch die Polytheismen, die ihrerseits wieder nicht über einen Kamm zu scheren sind, darum, daß das Absolute letzterdings nur ein einziges ist.
    Dieses Wissen kann sehr verschiedenartige Gestaltungen haben, es kann sich ausdrücken in der Idee des deus otiosus der Primitivreligionen, in der Idee der alldurchwaltenden als der Götter und Menschen beherrschenden Macht, in der hohen Form des philosophischen Gottesbegriffs eines Platon oder Aristoteles (wobei nicht zu verkennen ist, daß religionsgeschichtlich gesehen der aristotelische erste Beweger eine klassische Abwandlung des Motivs des deus otiosus darstellt). Die Gestaltungen sind vielfältig, aber wohl nirgendwo fehlt das Wissen um die Einheit des Absoluten ganz…“

    Joseph Ratzinger: DER GOTT DES GLAUBENS UND DER GOTT DER PHILOSOPHEN

    1. Das hat Ratzinger mehr oder weniger von Guardini abgeschrieben, iirc. Schon der stellt Sokrates als eine Art antiken Jesus dar. Und schon bei Guardini hat es nicht funktioniert. (Übrigens schreibt auch Franziskus fleißig von Guardini ab.)

    2. Was für inhaltsleeres Geschwafel. Das „Absolute als den Absoluten“ anzusprechen (obschon: Mut muss man vielleicht tatsächlich haben, einen solchen Unsinn niederzuschreiben) – was soll denn dieses Absolute sein? Eine metaphysische Nebelgranate, eine Worthülse, in der jeder die Erlösung seiner spirituellen Bedürftigkeit entdeckt, die alles und dadurch nichts bedeutet und die je nach Historie von einem Wind- und Wettergott, dem großen Einen, dem Weltgeist, dem fundamentalontologisch Seienden oder einem anderen Quark eingenommen wird.

      Dass die Unterschiede zwischen Mono- und Polytheismus im Grunde nur von den Theologen herbeidefiniert werden, sollte gerade einem Katholiken wie dem ehemaligen Papst klar sein: Nebst den unzähligen Heiligen für Achselschweiß und Hodenbruch brauchte es auch noch ein weibliches Pendant in Gestalt einer mütterlichen Jungfrau (so stellt man männlicherseits sich das ideale Weib vor) und ein paar Erzengel. Das sind keine „liberalen“ Gedanken, sondern ist ein völlig inhaltsleeres Geschwurbel in metaphysischer Diktion, die diese Leere durch ein hochtrabendes Vokabular zu kompensieren versucht.

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