Bella Figura

Vier Choreographien des gebürtigen Pragers Jiří Kylián standen gestern auf dem Programm des Opernhauses Zürich. Es handelt sich dabei um eine Art Retrospektive von dessen Werk; es sind nämlich Choreographien aus den Jahren zwischen 1986 und 1995 vertreten. Den Anfang des Abends wurde mit

Bella Figura

gemacht, der jüngsten Arbeit Jiří Kyliáns (eben: 1995) und auch der, die der ganzen Aufführung den Titel gegeben hat. Es war für diesen Abend die gewissermassen ‚abstrakteste‘ Choreographie. Musikalisch eine kleine Reise durch verschiedenste Epochen, von den barocken Italienern Marcelle, Pergolesi und Vivaldi mit einem Sprung zum erst 2009 verstorbenen Lukas Foss. Bella Figura kennt keine eigentliche Handlung; es geht tatsächlich um die ‚Figur‘. Jiří Kylián behandelt die Körper seiner Tänzerinnen und Tänzer in etwa, wie ein Bildhauer seine Tonmasse, die er knetet: Sie werden verformt, bis sie abstrakten Skulpturen ähnlicher sehen, als normalen Menschen. Gleichzeitig spielt der Prager hier mit der Beleuchtung so, dass oft die Schattenwürfe der Leute auf der Bühne mit ihren Körpern zu einer einzigen Figur verschmelzen. Der Unterschied zwischen Mensch und Ding verwischt sich.

Stepping Stones

erinnert zuerst einmal ans alte Ägypten. Es ist die einzige Arbeit dieses Abends, in der grössere Requisiten eine prominente Rolle spielten, stehen doch auf der Bühne drei katzenartig gestaltete Skulpturen. Die Tänzerinnen und Tänzer balancieren während ihrer Bewegungen auch ständig ein Objekt, das – aus meiner Perspektive – aussah, wie eine kleine Schachtel oder wie eine goldene Maske. Zu Musik von John Cage und Anton Webern (ganz viel Cage, sehr wenig Webern) kennt auch dieses Stück keine eigentliche Handlung. Nun, Cage und Webern kann man mögen, muss man aber wohl nicht. Ich jedenfalls bewunderte zwar auch in Stepping Stones die Künste der Tänzerinnen und Tänzer, aber dieser Teil des Abends liess mich einigermassen unbeteiligt zurück.

Sweet Dreams

Noch einmal Anton Webern. Die Homepage des Zürcher Opernhauses spricht davon, Jiří Kylián habe [a]uf den Spuren von Franz Kafka und René Magritte […] eine Welt von absurder Strenge und Schönheit errichtet. Magritte lasse ich durchgehen, aber was ein Tanz mit und um grüne Äpfel mit Kafka zu tun haben könnte, hat sich mir nicht erschlossen, um so mehr, als die Äpfel von den Tänzerinnen und Tänzern die meiste Zeit mit dem Mund herumgetragen wurden. Das ist zwar durchaus absurd und entbehrt nicht einer gewissen Komik, aber Kafka finde ich darin nicht. (Nun legt Jiří Kylián in einem Interview, das ich gelesen habe, Wert darauf, dass Kafka und er aus derselben Stadt kommen; vielleicht wäre ich, falls ich gebürtiger Prager wäre, auch in der Lage, Gemeinsamkeiten zwischen Sweet Dreams und Kafka zu entdecken.)

Zum Abschluss dann Jiří Kyliáns älteste Choreographie – zumindest, was diesen Abend betrifft:

Sechs Tänze

Zur Musik von Mozarts 6 deutschen Tänzen fand hier ein burleskes und auch tatsächlich komisches Spiel statt, rund um die Beziehungen von Mann und Frau. Auch hier genau getimte Bewegungen, und – obwohl das am wenigsten abstrakte Stück des Abends – kann man schon 1986 bei Jiří Kylián die Tendenz zur Abstraktion und zur Behandlung des Balletts als Skulptur feststellen.

Allgemein gilt, dass in den vier Stücken des gestrigen Abends der Mensch immer als ‚antagonistisches‘ Wesen behandelt wird: Noch und noch werden die Tänzerinnen und Tänzer in die nächste skulpturhafte Form gebracht, indem ein Partner oder eine Partnerin – mal angedeutet, mal ganz konkret – irgendwelche Gliedmassen in diese Form drücken oder ziehen. Daneben ist es dann die Musik, die die Leute bewegt. Diese Bewegungen sind oft (und je jünger die Choreographien sind, desto öfter) abgehackt und wirken mechanisch, aufgesetzt. Zugleich erinnern sie an jene zappelnden Bewegungen, die wir von einem Käfer kennen, der aus Versehen auf den Rücken zu liegen gekommen ist. Das ist oft genug absurd, wirkt komisch und zugleich erschreckend.

Ein eindrücklicher Abend durchaus, also. Zu einem passionierten Ballett-Geher konnte er mich zwar nicht verwandeln, aber ich ging durchaus ruhig und zufrieden nach Hause.

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