Thomas Hardy: Far from the Madding Crowd [Am grünen Rand der Welt]

Wessex, Hardys Name für die halb fiktive, halb realistische Landschaft im Südwesten Englands, taucht in diesem Roman zum ersten Mal auf. (Ich habe somit – wieder einmal – von hinten nach vorne gelesen, mit dem letzten der Wessex-Romane, Jude the Obscure, begonnen, um nun mit dem ersten meine kleine Reihe über Hardy zu enden.)

Der Roman Far from the Madding Crowd ist zum ersten Mal serialisiert in einer Zeitschrift erschienen; diese seriellen Eierschalen merkt man dem Werk durchaus noch an: die meisten Kapitel kurz und knapp gehalten, mit einem Anfang, einer Mitte und einem Schluss. Die Grundstruktur der Geschichte ist wohl, vielleicht auch durch die eine oder die andere Verfilmung, bekannt.

Es ist dieser Roman, der Hardys Ruhm als Romancier begründet hat; und Far from the Madding Crowd weist tatsächlich einige Qualitäten auf. Die liegen allerdings weniger in den Figuren oder in der Handlung als Ganzes; da – vor allem bei den Figuren – unterläuft Hardy doch so manches Klischée.

Die Figuren

Gabriel Oak

Von den Hauptfiguren ist zuerst Gabriel Oak zu nennen. Zu Beginn ein junger Schäfer / Schafbauer, verliert er ziemlich früh in der Handlung seine Herde und muss sich Lohnarbeit suchen. Die findet er auf der Schaffarm der acht Jahre jüngeren Bathseba Everdene, die er schon ganz zu Beginn des Romans, noch als simples junges Mädchen und noch nicht als Besitzerin eines grösseren Betriebs, kennen und lieben gelernt hatte. Sie hat damals seinen Antrag abgewiesen, trotzdem bleibt er dieser seiner Liebe ein Leben (oder zumindest das Buch) lang treu. Oak ist – wie schon sein Name suggeriert („Eiche“) – das Sinnbild treuer Rechtschaffenheit, der einfache, schweigsame, aber immer ehrliche und, wo es nötig ist, mutig-entschlossene Landmann. Und wenn sich Hardy mit dieser Figur hart am Rande zum Kitsch bewegt, verzeiht man es ihm, weil Gabriel Oak alles in allem sehr lebensecht wirkt.

William Boldwood

Auch ein sprechender Name. Der zu Beginn als stolz und unnahbar geschilderte Nachbarsfarmer von Bathseba. Er wird sich im Laufe des Romans in die bedeutend jüngere Schöne verlieben, und seine kühle Fassade wird bröckeln, ja zum Schluss zusammenstürzen. Hinter seiner unbeteiligten Maske verbirgt sich ein äusserst impulsiver Mensch voller mehr oder weniger harmloser Obsessionen (von denen seine Liebe zu Bethseba zu seiner grössten wird). Boldwood ist die vielleicht am wenigsten klischéehaft gezeichnete Figur; aber so richtig warm wird der Leser nicht mit ihr, weil es Hardy dann doch nicht gelingt, seine Obsessionen glaubhaft zu vermitteln.

Sergeant Francis „Frank“ Troy

Troy ist der Trojaner, der die schöne Helena entführt – sprich: die junge Bathseba Everdene ihrem Galan Boldwood (und Oak) vor der Nase weg heiratet. Im Übrigen erfüllt er alle Klischées eines Soldaten bzw. Offiziers: sehr bedacht auf körperliche Ertüchtigung, ein ausgezeichneter Fechter, einen lockeren Umgang mit Frauen (auch aus sogenannt ’niederen Volksschichten‘) pflegend. Dazu ein Spieler, der lieber das Geld seiner Gattin am Spieltisch verzockt, statt sich um Haus und Hof zu kümmern. Zu Recht wird er am Ende des Romans erschossen.

Bathsheba Everdene

Bathsheba ist im Alten Testament die Frau des Uriah, die – weil sie von König David nackt im Bad erblickt wurde – von diesem begehrt und dann geheiratet wurde. (David, neben seinem Sohn Salomon, vielleicht der grösste Frauenheld und -verführer des Alten Testaments: ein Soldat mit seltsamen Sitten, immer seinen Gelüsten erliegend.) Diese Bathseba hier hat auch ihre Szene im Bad, auch wenn sie sich – viktorianisch gemildert – ihrem Troy nicht gleich nackt zeigt. Sie ist, anders als die biblische Bathseba, hierin mehr der antiken Helena gleichend, keineswegs unschuldig. Ihr Valentins-Brieflein an Boldwood entzündet dessen Liebe erst. In seiner seltsamen Mischung von Emanzipiertheit und dümmlichen Aktionen, was Liebeshändel betrifft, ist dieser Charakter der schlimmste, klischée-behaftetste des ganzen Romans. Obwohl Bathsheba Everdene, durch Erbgang an ihre Schaffarm gekommen, gegen die damaligen Sitten beschliesst, den Hof tatsächlich selber zu führen, ohne Oberknecht, der die Aufsicht hätte, und dies sogar offensichtlich mit Erfolg, benimmt sie sich gegenüber den Männern wie das dümmste Küken im Stall. Sie provoziert Boldwoods Liebe in einer äusserst kindischen Aktion, und gegenüber Troy ist sie endgültig nur das hirn- und gedankenlose Weiblein, wie es die schlimmsten Macho-Klischées damals von den Frauen wahr haben wollen. Uneinheitlich aus zwei verschiedenen Charakteren zusammengeklebt, gewinnt den Männern gegenüber immer ihre schlimme Seite die Oberhand. Je nun: Die Handlung lebt davon, dass sie von einem Fettnapf in den nächsten tritt, aber weshalb der grundehrliche und gutmüige Gabriel Oak sich derart in sie verschiessen konnte, bleibt schleierhaft.

Die Handlung

Eigentlich möchte ich gar nicht viele Worte über die Handlung verlieren. Immer wieder braucht Hardy unwahrscheinliche Ereignisse, um sie weiter zu treiben – vor allem unwahrscheinlich-dumme Aktionen der jungen Gutsherrin. Das sind sicher auch die Eierschalen der seriellen Produktion, die auf immer neue ‚Sensationen‘ angewiesen war, um das Interesse der Leserschaft von Woche zu Woche zu fixieren. Aber ein bisschen weniger wäre – für den endgültigen, an einem Stück publizierten Roman – mehr gewesen.

Und wo bleibt das Positive? Die Klaue des Löwen?

Tatsächlich ist der Roman nicht ganz missraten – bei allen Klischées in Handlung und Charakteren. Das liegt nicht nur daran, dass sich Hardy bei alledem doch schon einigermassen zu zügeln weiss. (Auch wenn der angebliche Höhepunkt des Romans – Troys Ausruf an seine Gattin „Ich habe Dich nie so geliebt wie diese hier!“, im Angesicht der Leiche seiner Geliebten Fanny Robin – einfach nur melodramatisch und übertrieben ist.)

Es sind vor allem die paar Szenen in einer Bauernschenke, die den Roman herausreissen. Bei aller hier durchscheinenden Ironie (eine Ironie, die übrigens andern Szenen auch gut getan hätte – die aber leider manchmal fehlt) werden die Bauern in Aussehen und Charakter kurz und treffend skizziert und so zu Menschen aus Fleisch und Blut, die man persönlich gekannt zu haben glaubt, und die man so rasch nicht vergessen wird.

Alles in allem also eine Lektüre, die ich in Teilen durchaus genossen habe.

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