Walter Schübler: Anton Kuh. Biographie

Biographie. Nicht: Eine Biographie. Nicht: Die Biographie. Obwohl vor allem letzteres durchaus zutrifft, denn die vorliegenden 575 Seiten Walter Schüblers stellen tatsächlich die Kuh-Biographie dar – nur schon weil sie die einzige Biographie darstellen, die bisher über Anton Kuh geschrieben wurde. Erschienen ist diese Biografie 2018 im Wallstein-Verlag.

Anton Kuh existiert meist nur als Fussnote in der Geschichte der (österreichischen) Literatur. Es ranken sich unzählige Anekdoten um ihn, den Dandy, den genialen Schnorrer, der zeitlebens im Hotel und auf Kosten Dritter lebte, Vorschüsse für Texte einholte, die zu schreiben er nie die Absicht hatte. Auf diese Anekdoten – und das ist gleich das erste an dieser Biographie, das einem wohltuend auffällt – auf diese Anekdoten geht Schübler nur en passant ein. Die meisten sind apokryph, gegen einige hat sich schon Kuh selber zur Wehr gesetzt. Wer also witzige Anekdoten und Bonmots erwartet, liegt bei Schüblers Biographie falsch.

Ebenso liegt falsch, wer Einblicke in Anton Kuhs Privatleben erwartet. Zu Beginn ein paar Worte über Kuhs Familie – mehr gibt es nicht. Das Kind und der Jugendliche Kuh existieren bei Schübler praktisch nicht. Anton Kuh tritt sozusagen fertig auf die Bühne, mit seinen ersten nachweisbaren (weil namentlich gezeichneten) Feuilleton-Beiträgen im Prager Tagblatt, die vom 17-Jährigen stammen. (Es müssen, hält Schübler fest, vorher schon andere dort publiziert worden sein, die nicht mehr zu identifizieren sind, weil anonym erschienen. Erst ab einer gewissen, nicht kleinen, Anzahl gelieferter Beiträge erschienen Feuilleton-Artikel im Prager Tagblatt namentlich unterzeichnet.) Am Ende, in Kuhs New Yorker Exil, wird dann plötzlich eine Ehefrau auftauchen. Auch über sie erfahren wir wenig – weder, woher sie in Kuhs Leben eintrat, noch wohin sie nach seinem Tod 1941 gegangen ist. Schübler konzentriert sich auf das öffentliche und das ist bei Kuh das professionelle Leben dieses einzigartigen österreichischen Intellektuellen. Und das tut gut.

Denn auch so gibt es genug zu erzählen. Ein Doderer ebenso wie ein Kerr fanden Kuh faszinierend. In Wien wie in Berlin lag ihm das Publikum (zumindest teilweise) zu Füssen. Ebenso in Prag, das man ihm oft als Heimat unterschob, obwohl er in Wien geboren war. Die aus verschiedenen Gründen missglückte Nestroy-Adaption, die in Berlin aufgeführt wurde. Die Auseinandersetzungen des ‚progressiven Intellektuellen‘ mit den Kultur-Banausen von rechts (die ihn prinzipiell in die Ecke des heimatlosen Juden stellten und dem Expressionismus zurechneten). Und natürlich die Auseinandersetzungen mit jenem anderen jüdischen Intellektuellen: Karl Kraus.

Schübler unterteilt die Biographie in kurze, plus / minus 10 Seiten umfassende Kapitel, die ihrerseits zunächst ein Sachthema umreissen (z.B. Kuhs Streit mit Karl Kraus, seine Börne-Edition, seine Stints als Schauspieler), um dann in der Chronologie der Ereignisse in Kuhs Leben und in der Politik weiterzufahren. Denn Kuh war mehr als nur ein gedankenloser Dandy, der sein ganzes Leben in Hotelzimmern verbrachte. Er stand mittendrin im Streit um die Ausrichtung des nach dem Ersten Weltkriegs neu formierten Staats Österreich. Mittendrin im Kampf gegen Faschismus und Nationalsozialismus. Selber Jude, mittendrin im Kampf gegen Antisemitismus.

Kuhs Waffe war dabei das Wort. Nicht das geschriebene Wort (das auch), sondern das gesprochene. Kuh hielt immer wieder Vorträge zu verschiedenen Themen. Vorträge, die allesamt extemporiert und improvisiert waren, und dennoch – oder gerade deswegen – das Publikum durch ihre Stringenz in den Aus- und Abschweifungen begeisterten. Die angekündigten Themen (an die er sich meist nur in einem sehr, sehr weit gefassten Sinn hielt) beinhalteten dabei immer wieder ähnliche Sujets, oft Gegensatzpaare, die er zusammenführte: Judentum und Sexualität. Das Verhältnis zwischen Deutschland und Österreich, meist exemplifiziert am Verhältnis von Berlin zu Wien. Kuh hatte in beiden Städten gelebt, und sah in Wien die ehemalige Weltstadt, die nach dem Krieg zusehends zur Provinz mutierte, dies unter dem Einfluss rechtsnationalistischer sudetendeutscher Nationalsozialisten, die seiner Meinung nach mehr und mehr die politische Agenda Wiens (und damit Österreichs!) bestimmten. Berlin war hingegen auf gutem Weg zur Weltstadt. Dabei verschloss Kuh keineswegs die Augen vor den starken rechtsnationalistischen Tendenzen der Weimarer Republik oder trauerte nostalgisch der alten Doppelmonarchie nach. Auch diese beiden – vor allem die eindeutig politisch motivierte Rechtsprechung der Weimarer Republik – bekamen ihr Fett weg.

Schüblers Biographie hat den weiteren Vorteil, dass der Autor an Hand von Zeitungsrezensionen den Versuch unternimmt, Kuhs Vorträge zumindest inhaltlich zu rekonstruieren. Dieser Teil kam zwangsläufig in der von ihm unternommenen Werk-Ausgabe in 6 Bänden zu kurz, die sich auf schriftlich Überliefertes konzentrieren musste. Aber ohne seine Vorträge steht nur ein Teil von Anton Kuh vor uns – der geringere Teil. (Im Übrigen wird, wo Schübler aus dem geschriebenen Werk zitiert, immer auf die Werk-Ausgabe verwiesen, da sie den Ort darstellt, wo die zerstreut und entlegen publizierten Texte Kuhs am leichtesten zugänglich sind.)

Eine äusserst lesenswerte Biographie also. Neben dem eigentlichen Text im Anhang natürlich Anmerkungen, Chronologie, Quellen und Literatur – alles comme il faut. Einzig, warum Schübler sowohl Fuss- wie Endnoten verwendet, hat sich mir nicht erschlossen. Die Endnoten sind meist Literaturnachweise, aber nicht immer. Die Fussnoten sind meist kurze historische Zusatzerläuterungen, aber nicht immer. Ein kleiner Wermutstropfen in einer ansonsten tadellosen und auch so absolut empfehlenswerten Ausgabe.

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