Leipziger Buchmesse 2019, Freitag. Oder: Wenn Kara Ben Nemsi auf Kapitän Nemo trifft und Theodor Fontane aufs 21. Jahrhundert

Ich wiederhole mich ungern, aber es ist so: Man wird alt. So habe ich bisher noch kein einziges Mal das Bedürfnis verspürt, das Zentrum von Leipzig anders als für den Besuch einer Messe-Veranstaltung zu betreten. Auch heute war ich nicht dort; die beiden einzigen Veranstaltungen, die ich auf meiner Agenda hatte, fanden direkt auf dem Gelände der Buchmesse statt.

Da war zuerst eine Lesung aus einem phantastischen Roman mit Figuren aus dem Karl-May-Universum. Dieser Roman ist – wie man das heute, glaube ich, nennt – ein ‹Mash-up› von Karl May und Jules Verne, indem Kara Ben Nemsi, Hadschi Halef Omar und ihre Begleiter sich plötzlich an Bord der Nautilus von Kapitän Nemo wiederfinden. Aus diesem Roman Der Herrscher der Tiefe lasen die beiden Autoren, Jaqueline Montemurri und Bernhard Hennen, den Ausschnitt vor, wo Kara Ben Nemsi und Kapitän Nemo zum ersten Mal aufeinander treffen – auf der Nautilus, auf hoher See, unter Wasser, mit Kara Ben Nemsi und seinen Gefährten völlig in der Macht Kapitän Nemos. Bald war ich einigermassen ennuyiert, da schon fast wörtliche Anklänge an die Szene zu hören waren, mit der Jules Verne seinen Ich-Erzähler, den Dr. Aronnax, auf Nemo treffen lässt. Erst viel später habe ich mir überlegt, ob das vielleicht ironische Absicht der beiden Autoren gewesen sein könnte, und einfach der Leseausschnitt unglücklich gewählt und die Ironie nicht durchsichtig. Um das herauszufinden, müsste ich das Buch lesen; aber das würde ich nur, wenn ich es als Rezensionsexemplar erhielte… (Nein, das ist kein Wink mit dem Zaunpfahl! Meine noch zu lesenden Bücher stapeln sich auch so hoch genug!)

Praktisch im Anschluss an diese Lesung aus «Karl May» fand eine Präsentation einer der drei oder vier 2019 zum 200. Geburtstag Fontanes über ihn erscheinenden Biografien statt: Iwan-Michelangelo D’Apriles Fontane. Ein Jahrhundert in Bewegung. Der Autor hat nach eigener Aussage versucht, den ‹modernen›, zeitgenössischen Fontane hervor zu heben; einen Fontane, der auch dem (jungen) Leser im 21. Jahrhundert etwas zu sagen hat. Ob ihm das gelungen ist, vermag ich nicht zu berurteilen, zu kurz war der Ausschnitt, den D’Aprile las.

Tits und Bits, Bits und Bytes

Dieses mein nicht so befrachtete Programm liess mir heute Zeit, ein bisschen über die Messe zu bummeln. Hier ein paar Eindrücke:

Da gab es in einem Kleinverlag eine – leider viel zu dünne – neue Biografie des Cyrano de Bergerac.

Da konnte ich einen Blick in die verschiedenen Bücher der verschiedenen Kategorien der Longlist des Preises der Leipziger Buchmesse einen Blick werfen, so auch in Kia Vahlands Da-Vinci-Buch. Es ist sehr gut geschrieben und nun definitiv auf meiner Möchte-ich-einmal-lesen-Liste gelandet.

Da ist der Stand von einer Oberlausitzer Touristen-Agentur (oder so etwas Ähnlichem), die eine Route durch die Oberlausitz ausgetüftelt hat. Auf meine Frage, ob denn der Fürst Pückler berücksichtigt worden sei, erntete ich nur grosses Erstaunen. Von Pückler hatte mein Gegenüber – ein gestandener Herr – offenbar noch nie etwas gehört.

Da war mein Besuch am Stand von Jung und Jung, wo ich einen Blick in Band 7 der kritischen Musil-Ausgabe von Walter Fanta werfen durfte mit dem etwas seltsamen Titel Bücher I. Offenbar ist die Werkausgabe, die bisher durchlief wie ein heisses Messer durch Butter, nun doch ein wenig von den Schienen geraten, und der ursprüngliche Plan, in Band 7 alle übrigen selbständigen Veröffentlichungen Musils zu publizieren, an der schieren Menge des Materials gescheitert. Band 7 wird nun zu Band 7 und 8; wahrscheinlich wird man auch beim Briefband mit Erweiterungen rechnen müssen (oder dürfen, je nach Standpunkt).

Da ist der Antiquar, der mir bei der Antiquariatsmeile verraten hat, dass diese unvollständigen Werkausgaben, die dort angeboten werden, sich eben dort (und nur dort!) tatsächlich recht gut verkaufen. Ebenso wie die Insel-Bücherei.

Da ist jener Kleinverlag, der Fantasy für Freigeister anpreist; die junge Dame am Stand konnte mir allerdings nicht definitiv bestätigen, dass es sich hier nun um atheistische Fantasy handle.

Und da ist last but not least der Umstand, der mir früher nicht aufgefallen ist – vielleicht war es früher auch anders: Der Umstand nämlich, dass die Fantasy-Abteilung der Buchmesse gleich neben der Kinderabteilung liegt. Hony soit qui mal y pense…

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