Leipziger Buchmesse 2019, Donnerstag. Oder: Warum ich überzeugt bin, dass die Verantwortlichen der Leipziger Buchmesse schon wieder bereuen, jemals Blogger eingeladen zu haben

Man wird alt, habe ich festgestellt. Tatsächlich bin ich schon gestern zur Leipziger Buchmesse angereist; aber dieses Jahr verspürte ich keinerlei Bedürfnis, meine Anreise in einem separaten Blogeintrag zu schildern. (Es hat sich diesmal auch absolut nichts Verzeichnenswürdiges ereignet.) Nun bin ich also schon mehr als einen Tag hier in Leipzig und habe sogar meinen ersten Messetag bereits hinter mir. Der hat allerdings, anders als meine Anreise, so das eine oder andere Verzeichnenswürdige vorzuweisen.

Den Morgen nämlich verbrachte ich praktisch ausschliesslich mit der Suche nach – einem funktionierenden W-Lan. Wie seit 2015 üblich habe ich beim Eingang der Blogger-Lounge nach dem Passwort des W-Lan für Blogger gefragt – um zu erfahren, dass es a) kein spezielles W-Lan für Blogger mehr gibt und b) kein Passwort fürs allgemeine W-Lan erforderlich sei. Mein Handy war da allerdings anderer Meinung. Und damit fing die Odysee an. Obwohl sich sogar zwei Leute darum kümmerten, konnte niemand ausfindig machen, wie das denn nun mit dem W-Lan so genau funktioniert. «Ja, man müsse sich einfach anmelden, dann sei man eingeloggt.» Sicher? Bei mir jedenfalls nicht. Nachfrage der Messeleute beim IT-Dienst. Antwort: Je nun, dann könne man mir auch nicht weiterhelfen. (Diagnose meinerseits, der ich auch in dieser Branche tätig bin: hoffnungslos überfordert, oder hoffnungslos überlastet. Oder beides.) Investigativer Journalist, der ich als Blogger auch bin, habe ich beschlossen, mich zu jemand durchzuhangeln, der mir ein paar Fragen zur Verschlechterung der Arbeitssituation von Bloggern beantworten könnte. Eine erste Nachfrage an einem Infostand in der Glashalle brachte mir von einem Mitarbeiter die einigermassen patzige Antwort, das Gratis-W-Lan sei eine Dienstleistung der Messe, auf die wir kein Anrecht geltend zu machen hätten. Das mag juristisch korrekt sein; marketing-technisch heisst das, einer potenziellen Quelle von Neuigkeiten über die Buchmesse ein Arbeitsinstrument wegzunehmen und damit der Messe einen potenziellen Vervielfacher der Reichweite. Immerhin erhielt ich den Tipp, mich doch bei der sogenannten Projektleitung zu melden; vielleicht könne die mir einen direkten Draht zu IT vermitteln. Gesagt, getan. Dort gelang es mir tatsächlich, einen Mann ans Telefon zu bekommen, der sogar behauptete, es gäbe an der Messe überhaupt kein W-Lan. Als ich ihn dann, etwas erstaunt über diese dreiste Aussage (die mit meinen Beobachtungen an meinem Handy so gar nicht überein stimmte: es gab ein W-Lan, nur war es mir nicht möglich, mich einzuloggen), nach dem Namen fragte (den ich tatsächlich nicht verstanden hatte), behauptete der Mann am andern Ende der Leitung plötzlich, auch nur ein Sub-Unternehmer zu sein und für nichts zuständig. Ich solle mich doch mit dem Leiter der IT, dessen Namen und Telefonnummer er mir nannte, direkt in Verbindung setzen. Es ist mir dann gelungen, über den Umweg einer liebenswürdigen Blogger-Kollegin, herauszufinden, dass offenbar konkrete und korrekte Aussagen über das Funktionieren des lokalen W-Lan gemacht werden konnten – nämlich in der Journalisten-Lounge. Ich habe mir diese Informationen dann auch dort geholt, bin aber nun felsenfest davon überzeugt, dass die Leipziger Buchmesse es bereits bereut, die Geister, die sie rief, nicht mehr loswerden zu können. Ich fürchte, die Messeleitung harrt vergebens des alten Meisters, der die neuen Besen wieder in die Ecke stellen kann. Auch wenn der Versuch, die Blogger als Multiplikatoren zu beschneiden, indem man ihnen das W-Lan wegnimmt, natürlich recht raffiniert ist.

Den Teil des Morgens, den ich nicht damit verbracht habe, einer Erklärung für das lausige W-Lan nachzurennen, habe ich unter anderem am Stand der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft verbracht, wo ich in Erfahrung bringen konnte, dass a) auch die WBG, ähnlich wie die Büchergilde, ein Netz von Partnerbuchhandlungen aufzuziehen beginnt (leider noch nicht in der Schweiz!) und b) sie durchaus interessiert ist an Blogs, die Sachbücher besprechen und nicht abgeneigt, denen auch das eine oder andere Rezensionsexemplar zuzustellen. Ich habe es mir notiert – inklusive dem Namen der verantwortlichen Person. Dann bin ich – zufällig, ich habe ihn gar noch nicht gesucht – über den Stand des Karl-May-Verlags gestolpert, wo ich mir die neuesten Phantasy-Geschichten, die auf Figuren von Karl May basieren, kurz angeschaut habe. Wie es der Zufall so will, bin ich dort von einem Herrn angesprochen worden, der zwar mich anhand von Fotos erkannte, aber nicht ich ihn. Eine alte Internet-Bekanntschaft aus Zeiten, wo ich noch in Karl-May-Foren unterwegs war. Jedenfalls brach dies das Eis und gab mir die Möglichkeit, auch mit dem Verlagsleiter ein paar Worte zu wechseln, und ihm die Frage zu stellen, die mir seit einem Jahr auf der Zunge lag. (Ja, er spielt Schach , oder spielte es wenigstens. Nein, nicht so gut wie sein Vater.)

Nun also der Nachmittag.

Ich bin – wie bereits gesagt – alt geworden, und habe mir dieses Jahr zum ersten Mal einen Plan aufgestellt der Veranstaltungen, die ich besuchen wollte. Heute standen deren zwei auf dem Programm; eine dritte habe ich quasi umsonst dazu erhalten. Eigentlich aber eine erste. Denn meine erste Veranstaltung sollte eine Präsentation eines Sachbuchs zum Thema «Leonardo da Vinci und die Frauen» sein, auf dem ‹Blauen Sofa›. Clever, wie ich manchmal sein kann, bin ich schon eine halbe Stunde vor Beginn der Veranstaltung vor Ort aufgetaucht, damit ich ja einen guten Platz erwische. Das habe ich dann auch; zugleich kam ich in den Genuss eines der da-Vinci-Veranstaltung vorher gehenden Interviews mit Takis Würger zu seinem neuen Buch Stella, der Geschichte einer ‹Greiferin› im nationalsozialistischen Deutschland, sprich, einer Jüdin, die, um sich und ihre Eltern vor dem Konzentrationslager zu retten, andere untergetauchte Juden an die Nazis verriet. Interessant an diesem Interview waren nicht Würgers Aussagen zu seinem Roman (die waren recht durchschnittlich), sondern Würgers Reaktion auf die praktisch einhelligen Verrisse der Literaturkritik: Zuerst den Abgeklärten markierend, gab er dann zu, dass ihn (der beim ersten Buch in den Himmel gelobt worden war) diese herbe Kritik verletzt hatte – um im Anschluss hervor zu heben, wie sehr ihn die positiven Reaktionen der Buchhändler gefreut hätten. Diese Aussage verschaffte ihm den gewünschten Szenenapplaus. Dazu möchte ich nur Folgendes sagen: Lieber Herr Würger, Buchhandel und Literaturkritik sind auf einander angewiesene siamesische Zwillinge. Sie separieren zu wollen, heisst, sie beide zu töten. Und Sie, lieber Herr Würger, sind als Autor auf beide in gleichem Masse angewiesen. Ihr Versuch zwischen Buchhandel und Literaturkritik einen Keil zu treiben, ist langfristig kontraproduktiv. Vor allem für Sie selber.

Passons.

Danach die Vorstellung des Buchs über Leonarde da Vinci und die Frauen. Ich bin mit Kia Vahland, der Autorin, nicht ganz einig darin, dass da Vinci heute nur oder vor allem als Tüftler und Ingenieur gesehen werde; meiner Meinung nach wird gerade dieser Aspekt ob seiner Mona Lisa und ob seiner Madonnen vergessen; aber das hat vielleicht mit der jeweiligen Lesesozialisierung zu tun. Jedenfalls ist Vahlands Buch, das auch auf der Short List für den diesjährigen Preis der Leipzger Buchmesse in der Kategorie ‹Sachbuch› nominiert ist, auf meiner Eventuell-mal-lesen-Liste gelandet.Am Abend dann im Konfuzius-Institut im Zentrum von Leipzig (von dem ich allerdings heute Abend wenig gesehen habe): Eva Lüdi Kong stellte ihre Übersetzung des 1000-Zeichen-Klassikers vor. Das Publikum war relativ klein und bestand aus etwa zur Hälfte aus Chinesen. (Von einem der anwesenden Chinesen musste ich mich übrigens belehren lassen, dass Goethe tatsächlich einen chinesischen Roman kannte – was ich zu meiner Schande nicht gewusst zu haben gestehen muss.) Man merkte Lüdi Kong ihren Enthusiasmus an, und die Lesung war sehr erfrischend. Ihr nächstes Projekt soll eine Übersetzung daoistischer Literarur sein, hat sie mir verraten.

Den Abend liess ich in einem benachbarten Italiener ausklingen. Ich bestellte Spaghetti bolognese – eine, wie ich finde, mutige Tat in Anbetracht der Tatsache, dass meine Frau behauptet, meine Spaghetti seien die weltbesten. Was soll ich sagen? Der Sugo war, wie er sein sollte. Ich hätte ihn selber nicht besser gemacht (allerdings auch nicht schlechter); und die Spaghetti waren tatsächlich perfekt ‹al dente›. Dazu ein süffiger Pinot Grigio und als Digéstif ein Grappa Nonnino. Mit der nötigen Bettschwere versehen, liess ich mich von einem Taxi ins Hotel fahren – um nun nicht ins Bett zu fallen, sondern noch diesen Beitrag zu schreiben…

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