Das Buch liest sich sehr leicht und flüssig – und genau das ist auch das Problem: Swaab schreibt über alle irgend erdenklichen Zusammenhänge von Gehirn und Leben und dadurch erfährt man über dieses „alles“ – nichts. Eine endlose Aneinderreihung von Banalitäten, von Erkenntnissen, die diesen Namen kaum verdienen, eine ermüdende Aufzählung von Studien, die möglicherweise dies oder das belegt haben könnten (wobei der Autor auf genaue Verweise verzichtet und nur im Anhang für jedes Kapitel in etwa 60 Quellen zitiert, von denen man dann aber nicht weiß, welche Buchpassage damit belegt werden soll). Das alles wäre noch irgendwie erträglich, wenn sich Swaab nicht in einer fortgesetzten Aufzählung absoluter Belanglosigkeiten erginge. Auf S. 404 – Thema „Umgebung als Risikofaktor“ heißt es etwa: „Im Allgemeinen übt die Umgebung in allen ihren Aspekten jedoch einen bedeutsamen Einfluss auf die Entstehung und den Verlauf von Hirnkrankheiten aus. Toxische Substanzen und Feinstaub, die durch Industrie und Verkehr in die Umwelt gelangen, können das Risiko für Autismus erhöhen. Infektionen wie Grippe bei Schwangeren steigern durch die immunologische Abwehrreaktion, die sie auslösen, das Schizophrenie- und Autismusrisiko ungeborener Kinder.“ Usf. – ad infinitum. Diese schwammigen und nichtssagenden Formulierungen findet man en masse in der Form, irgendetwas kann vielleicht in Zusammenhang mit einer bestimmten Krankheit stehen, weil vielleicht irgendwelche Rezeptoren im Gehirn an ihrer Arbeit gehindert werden und dadurch ein Hormonspiegel erhöht oder zu niedrig ist. Dann werden noch dubiose Prozentzahlen präsentiert (50 % der Alzheimererkrankungen sind genetisch bedingt), allerdings hat sich die Zunahme von Alzheimererkrankungen „um 24 % langsamer entwickelt als aufgrund des Altersanstieges zu erwarten war“. Der nächste Satz im Buch: „Ab dem achzigsten Lebensjahr gibt es in den Niederlanden, England, Schweden, Südeuropa, den USA und Japan eine deutliche Verringerung von Demenz.“ Deutlich? In Bezug worauf? Welches Gebiet umfasst Südeuropa? Albanien, Österreich, Spanien? Welcher Vergleichsmaßstab wird angelegt? Und weiter unten folgt dann die Quintessenz dieser Schreibweise: „Es werden heute weniger Menschen dement als befürchtet, und wir wissen nicht genau, woher das kommt.“ Wie bemisst sich die „Befürchtung“?
Egal worüber der Autor gerade spricht – es ist immer das gleiche Schema einer bloßen Auflistung von banalen Aussagen. Thema Depression: „Beim Entstehen einer Depression spielen genetische Faktoren, die in den Stresssystemen des Gehirns einen höheren Gang einlegen, eine wichtige Rolle. Die genetische Veranlagung macht ein Kind für Umgebungsfaktoren empfänglicher, wodurch diese eine zu starke Stressreaktion hervorrufen.“ Einen Absatz später erfährt man, dass „Vernachlässigung, Misshandlung oder Missbrauch des Kindes“ Ähnliches bewirken. Erstaunlich, wer hätte das erwartet. Als Einleitungssätze mögen diese noch akzeptabel sein, aber auf mehr Tiefgang wartet man auf den nächsten Seiten vergeblich. Dann folgt die Feststellung, das „Depression heilbar ist“. Nach der Aufzählung einiger Therapien (SSRI, kognitive Verhaltenstherapie) wird das Kapitel mit den Sätzen „Alle wirksamen Therapien führen letztlich zu einer Aktivitätsreduzierung der Neuronen im Hypothalamus, die ein Stresshormon produzieren, den Corticotropin-Releasing-Faktor“ abgeschlossen. „Diese Neuronen bilden den Motor der hyperaktiven Stressachse bei depressiven Patienten.“ Und schon kommt das nächste Kapitel (Selbsttötung), wo wieder die gleichen Risikofaktoren (genetische Disposition, traumatische Erlebnisse) aufgezählt werden. Aber – man staune: „Auch Medikamente können sich vorteilhaft auswirken, Lithium reduziert nicht nur bei manisch-depressiven Patienten, sondern ebenso bei Personen mit einer Major (schweren) Depression die Wahrscheinlichkeit einer Selbsttötung um 80 %.“ Wie man auf diese Zahlen kommt, würde mich interessieren, dass man sie produzieren kann, bezweifle ich allerdings nicht. Schließlich: „Hinter den meisten Suiziden steht also eine psychiatrische Problematik.“ Das „also“ dieses Satzes verweist scheinbar auf eine zuvor erfolgte Analyse, die man aber nirgendwo findet. Anschließend schreibt der Autor, dass es auch noch „Sonderfälle“ (also ohne psychiatrische Problematik) gäbe, „in denen Menschen, nachdem sie über eine längere Zeit hinweg immer wieder zu der Feststellung gelangt sind, dass ihr Weiterleben sinnlos ist, einen wohldurchdachten Entschluss fassen.“ Viel banaler kann man über das Thema Selbstmord nicht mehr schreiben – aber das gilt wie erwähnt für beinahe jeden Abschnitt des Buches.
Ich kann mich an kaum ein Buch erinnern, in dem mehr Allgemeinplätze verbreitet worden wären (Ratgeberliteratur, die mir weitgehend unbekannt ist, könnte eine Konkurrenz darstellen). Dass dieses Thema sehr viel eingehender behandelt werden kann, zeigt der von mir schon mehrmals gelobte (dem ich – so nebenbei – schon jetzt eine Zweilektüre gönne): Mit einer subtilen Kritik an vielen Studien, der genauen Unterscheidung von Korrelation und Kausalität (das ist für Swaab völlig belanglos bzw. wird ein einziges Mal in einem Nebensatz thematisiert) und der nachvollziehbaren Darstellung der für das in Frage stehende Phänomen bedeutsamen Hirnfunktionen. Was Swaab hier liefert macht den Eindruck einer oberflächlichen Zusammenfassung zahlreicher Studien für den Laien, eine Zusammenfassung, die in ihrer Kritiklosigkeit und auf triviale Aussagen verkürzten Form überhaupt keinen Informationswert hat. Ein Buch zum Vergessen.
Dick Swaab: Unser kreatives Gehirn. Wie wir leben, lernen und arbeiten. München: Droemer 2017.