Frederik Obermaier, Bastian Obermayer: Die Ibiza-Affäre

Bilder, die um die Welt gingen: Ein stark illuminierter Oppositionsführer, der von der Machtübernahme in Österreich träumt, während sein Freund Joschi im Hintergrund Activity spielt und auf imaginäre Gegner zielt. Lösung: Die Waffenschmiede Klock, ein vermeintlicher Großspender. Würde ich Patriotismus zu meinen Eigenschaften zählen und mich dadurch in irgendeiner Weise für das Verhalten von anderer Österreicher verantwortlich fühlen – des Fremdschämens wäre kein Ende. Da ich eine solche verquere Verbundenheit mit einem Land nicht nachvollziehen kann, bleibt nur das Bild einer Partei, von der ich genau das erwartet hätte (und die ausnahmsweise auch den Beweis für diese Vermutung geliefert hat).

Die Affäre selbst ist auserzählt, es gibt wenig, was nicht öffentlich in aller Ausführlichkeit diskutiert wurde (wobei die beiden Autoren gegen Ende des Buches zu Recht auf die Seltsamkeiten der Presse hinweisen, die sich immer mehr auf die “Hintermänner” des Videos bezog und die eigentlichen Ungeheuerlichkeiten des Gezeigten kaum noch erwähnten: Offene Korruption – und das mit einer Selbstverständlichkeit, die eigentlich erstaunen sollte). Mit diesem Blickpunktwechsel wurde seltsamerweise das bevorzugte Narrativ der Betroffenen übernommen, die die eigentliche Ungeheuerlichkeit nicht darin erblickten, dass sie sich als bestechlich und korrupt erwiesen, sondern dass ihnen eine solche Falle gestellt wurde.

Im Buch wird die zeitliche Abfolge der Aufdeckung dieser Affäre nachgezeichnet: Von den ersten gestreuten Informationen, dass es da ein delikates Video über einen hohen europäischen Politiker gäbe bis zur endgültigen Veröffentlichung im Mai 2019, die zum Sturz der österreichischen Regierung führte (mittlerweile weiß man, dass es zumindest dem schmierigen Karrieristen Kurz nicht geschadet hat – im Gegenteil: Er, der offenbar erst in diesem Mai Kenntnis davon erhielt, mit wem er da eine Koalition gebildet hatte, hat nicht nur seine eigene Wählerschaft bei der Stange halten können, sondern auch noch einige rechtslastige Wutbürger zu sich hinüberziehen können). Alternierend dazu wird der Abend auf der spanischen Finca geschildert, all die Bemühungen des untadeligen und heimatverbundenen Oppositionsführers, diese ach so geliebte Heimat gegen Entgelt an eine russische Oligarchennichte zu verscherbeln. Das ist – wie erwähnt – weitgehend bekannt (und wer sich Neues, Pikantes aus dem Buch erhofft, wird eher enttäuscht werden), interessanter ist hingegen die Aufbereitung des journalistischen Alltags, der vielfältigen Bemühungen eines ganzen Teams, diese Geschichte auch veröffentlichen zu können (wozu die gesamte Kenntnis des Materials gehört, das ihnen in diesem Umfang erst zwei Wochen vor der Veröffentlichung zur Verfügung stand), die juristischen Absicherungen (nebst einer Überprüfung der Authentizität des Filmmaterials) und vieles mehr. Journalismus ist sehr viel mehr als einige Seiten Berichterstattung, es ist vor allem auch Leidenschaft, Hingabe an eine Sache und sehr viel Schweiß und Geduld. Und: Journalismus ist für eine funktionierende Demokratie unerlässlich, er ist – wie man etwa an Ungarn oder Polen sieht – ein konstituierendes Element für ein funktionierendes, von Korruption weitgehend freies Staatswesen, ebenso wichtig wie die Möglichkeit des Wählens selbst. Ohne eine solche freie Presse, ohne dieses Korrektiv verkommt ein Staat zur Bananerepublik, wird zu dem, von dem Strache und Konsorten träumten. Dies hat in Österreich eine besondere Bedeutung, ist doch hier die Presselandschaft von den Boulevardmedien dominiert wie nirgends sonst in Europa: Mit dem “wer die Krone (eine Zeitung vergleichbar der BILD, nur noch etwas dümmlicher) hat, hat auch die Macht” lag Strache nämlich richtig. Alle Qualitäts-Printmedien haben in Österreich nur einen Marktanteil im einstelligen Prozentbereich: “Die Presse”, der “Standard” oder der “Falter” (der sich in den letzten Jahren als ein dezidiert linkes Medium etablieren konnte, gerade weil es ihm mehrfach gelang, Skandale aufzudecken).

Das Buch zeichnet ein Sittenbild des Rechtspopulismus, der sich hier genau so darstellt, wie man mit ein wenig Hausverstand vermuten durfte. Dumpfe, nationalistische Krawallmacher von offenkundig recht mediokrem intellektuellen Zuschnitt, denen Macht und Geld am Herzen liegt und sonst – nichts. Wobei mich diese Tatsache sehr viel weniger erschüttert (denn wer kennt moralisch fragwürdige Menschen nicht) als die Reaktion der großen Masse: Die sich von Dummheit, Primitivität und Korruption nicht im mindesten beeindrucken lassen. Hat doch das rechte Lager hat in Österreich trotz all dieser Vorkommnisse nur marginal verloren: Man wechselte eben zu Kurz, einem aus einem PR-Thinktank entsprungenen Opportunisten, der in seiner Rückgratlosigkeit sich mit Strache ohne weiteres messen kann.


Frederik Obermaier, Bastian Obermayer: Die Ibiza-Affäre. Innenansichten eines Skandals. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2019.

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