Gerald M. Edelman: Das Licht des Geistes. Wie Bewusstsein entsteht.

Gerald M. Edelman hat 1972 den Medizin-Nobelpreis erhalten (mit Arbeiten zu einem derzeit hochaktuellen Thema, dem der Antikörper) und sich später der Neurobiologie zugewandt. Dort hat er u. a. die „Theorie der neuronalen Gruppenselektion“ (TNGS) entwickelt, ein Konzept, das er in diesem Buch vorstellt und das grundlegend ist für seine Vorstellung, wie das Gehirn so etwas wie „Bewusstsein“, „Geist“ entwickelt.

Edelman nimmt in seiner Theorie implizit auf Donald Olding Hebb und sein Prinzip des „fire together – wire together“ Bezug (bekannt wurde Hebbs Name durch die „Hebbsche Lernregel“ in der Pädagogik): Sowohl in der Entstehung des Gehirns als auch in den Erfahrungen der Individuen werden durch einen selektionalen Mechanismus zusammengehörige neuronale Netzwerke ausgebildet (bzw. „selektioniert“), die in einem ständig ablaufenden Rückkoppelungsprozess (bei Edelman „Reentry“ genannt) die verschiedenen Bereiche miteinander verknüpfen. Diese Koppelungsvorgänge koordinieren unsere Sinneswahrnehmungen und erzeugen über diese dynamischen Vorgänge das, was wir Bewusstsein nennen. Edelman ist es von Beginn an darum zu tun, eine naturwissenschaftliche Theorie des Bewusstseins zu entwerfen, eine Theorie, die auf spukhafte Interaktionen zwischen Geist und Materie verzichtet und sich auf kausale Wirksamkeiten beschränkt. (Die TNGS wird sehr viel ausführlicher dargestellt und war zum Zeitpunkt ihres Entstehens reine Theorie; mit den bildgebenden Verfahren konnte das Grundprinzip einer umfassenden Verbindung aller Teilbereiche des Gehirns bestätigt werden, wenn sich auch die detailliertere Interaktion zwischen den Arealen nicht immer nachweisen ließ: Man vermutet heute eine noch sehr viel stärkere und kompliziertere Beeinflussung zwischen den Regionen.)

Umso überraschender und unverständlicher ist trotz dieses streng naturwissenschaftlichen Ansatzes Edelmans „Erklärung“ des Bewusstseins, mit der er die „Transformation der neuronalen Aktivitäten im Kerngefüge“ („phenomenal transform“) beschreibt. Denn obwohl er klar festhält, dass „das bewusste Erleben von Qualia ein neuronaler Prozess ist“, stolpert er dann über die simple Tatsache, dass auch eine noch so genaue Beschreibung all dieser elektrochemischen Aktivitäten in einem Menschen nicht die entsprechende Quale auslösen wurde (die nicht gerade tiefsinnige Erkenntnis, dass der Gedanke an Nässe selbst keineswegs nass ist). Das führt – u. a. – bei ihm zu einer seltsam anmutenden Konstruktion, die ein Musterbeispiel für die Verletzung der Occham zu geschriebenen Regel „pluralitas non est ponenda sine necessitate“ darzustellen scheint. Diese zuvor als notwendig empfundene Transformation neuronaler Vorgänge ins phänomenale Erleben führt zu einer seltsamen Zweiteilung bei Edelman: Einen Bereich C (consciousness) für das phänomenale Erleben und seine Prozesse bewusster Natur und dem Bereich C‘, der die zugrunde liegenden neuronalen Vorgänge bezeichnet. C kann ohne C‘ nicht existieren und stellt einen „Prozess höherer Ordnung“ dar. C sei ein „Prozess, kein Ding“, allerdings lässt uns Edelman im Unklaren, wie er sich einen substanzlosen Prozess vorstellt. Offenbar ist es für ihn der „Bewusstheitsprozess“, der zwar auf neuronalen Aktivitäten beruht, aber nicht mit diesen gleichzusetzen ist. C stelle eine bloße Beziehung dar, wird von C‘ impliziert, könne aber keine kausalen Wirkungen hervorrufen. Dann aber schreibt Edelman weiter: „Das heißt, C geht mit C‘ einher, aber nur C‘ ist die Ebene, die kausale Wirkungen ausübt und andere neurale Ereignisse und körperliche Prozesse in Gang setzen kann. Die Welt ist somit kausal geschlossen – es gibt in ihr keine Gespenster oder Geister -, und Ereignisse in der Welt können keine Reaktionen auf C sein, sondern nur auf die neuralen Ereignisse, die C‘ bilden.“

Das klingt nach der Quadratur des Kreises: Die Welt kann nur auf C‘ einwirken (und vice versa), C‘ impliziert korrespondierende Zustände in C (die Transformation ins phänomenale Erleben schafft erst einen auf Qualia beruhenden Zusammenhang). Dieses aus dem Nichts auftauchende C macht den Eindruck eines alles überwachenden Homunculus (gegen den sich Edelman aber explizit wendet) und diese Konstruktion macht auch die Art der Wirkung von C auf C‘ (nicht hingegen auf die Welt, auf die C nur durch Vermittlung von C‘ Einfluss ausüben kann) nicht nachvollziehbar. Es scheint sich hier um eine Grundangst zu handeln, die bloßen elektrochemischen Vorgänge im Gehirn, die unter bestimmten Voraussetzungen (Bewusstsein ist kein Dauerzustand, wir schlafen, sind „bewusst“-los, haben wohl auch verschiedene Intensitäten und Aspekte von Bewusst-Seins) ein Reize integrierendes Bewusstsein schaffen, als eben genau das zu bezeichnen: Als Bewusstsein. Begründet wird das häufig mit der ungeheuren Komplexität des Gehirns (diese stellt sehr viel eher einen guten Grund dar, das Bewusstsein mit den Vorgängen gleichzusetzen; einem simpel funktionierenden Gerät würde man etwas so Kompliziert-Sperriges wie Bewusstsein wohl kaum zusprechen) als auch mit dem eher einfältig anmutenden „Argument“, dass die Quale einer Empfindung nicht mit einem bestimmten neuronalen Zustand in eins gesetzt bzw. in diesem Zustand nicht entdeckt werden kann (anderweitig habe ich mich schon über das „Gewicht von Gedanken“ ausgelassen, einem gleich gelagerten „Problem“, dem bestenfalls eine philosophische Kategorienverwechslung zugrunde liegt). Allen kausalen Vorgängen muss eine Art von Materie bzw. Energie zugrunde liegen (die Energieübertragung ist das Fundament des Funktionierens der Welt); man müsste ansonsten erklären, wie eine davon unterschiedene Kausalwirkung beschaffen sein soll. Oder man macht es wie Karl Popper, bei dem ich auf den an dummdreister Überheblichkeit kaum zu überbietenden Absatz gestoßen bin: „Es gibt keinen Grund (außer einem falschen physikalistischen Determinismus), warum geistige Zustände und physische Zustände nicht aufeinander wirken sollten. (Das alte Argument, daß Dinge, die so verschieden sind, nicht aufeinander wirken können, beruht auf einer Theorie der Kausalität, die seit langem überholt ist.)“ (Karl Popper: Vermutungen und Widerlegungen, S. 433.) Natürlich hält sich Sir Karl vornehm zurück und unterschlägt, was er unter Geist versteht (ist er substanzlos, hat er das alte Problem Descartes‘, das keineswegs je gelöst wurde, ist er das nicht, dann muss er wohl sich mit dem Physikalismus anfreunden, der nicht einfach obsolet wird, wenn die chaotisch anmutenden Wechselwirkungen uns den Prozess nicht exakt – oder auch nur annähernd – nachvollziehen lassen).

Ich weiß nicht, ob Edelman seine Theorie der zwei „Bewusstseinswelten“ später aufrecht erhalten hat (mir ist diesbezüglich nichts bekannt). Jedenfalls ist dieser Ansatz mit Problemen behaftet, die jenen seines Nobelpreisträgerkollegen Sir John Eccles gleichen und die nie auch nur ansatzweise eine Lösung erfuhren (Eccles hat später aus Quantenphänomenen seinem Geist ein naturwissenschaftliches Mäntelchen schneidern wollen, was bestenfalls zu Quantenmissbrauch führt: Denn mit dieser Form von Zufall sind weder Willensfreiheit noch „Geist“ zu retten). Streicht man schlicht und einfach die Welt C und belässt es bei C‘, bleibt von diesem Buch ein spannender und kluger Einblick in die Bewusstseinstheorie – und es bedarf auch nicht des intellektuellen Radschlagens, zwischen neuronalen Korrelaten und Prozessen unterscheiden zu müssen, die in einer nur für diese beiden vorgesehenen Welt auf einzigartige Weise wechselwirken müssen.


Gerald M. Edelman: Das Licht des Geistes. Wie Bewusstsein entsteht. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 2007.

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