George MacDonald: Lilith

Ohne John Bunyan ist George MacDonald nicht zu denken. Dennoch findet man beim Stöbern nach MacDonald keine Hinweise auf den englischen Baptistenprediger des 17. Jahrhunderts oder sein einziges heute noch bekanntes Werk The Pilgrim’s Progress from This World to That Which Is to Come. In diesem Werk schildert Bunyan in einer gross angelegten Allegorie das Leben eines Christen als Weg eines Pilgers durch vielerlei Gefahren und Anfechtungen von seiner Heimat (= der Geburt) bis hin zur Ankunft in der Himmlischen Stadt (= dem Tod bzw. dem Paradies). Seine Anfechtungen, aber auch seine Hilfen, sind alle personifiziert, tragen aber Namen, die auf ihre Rolle oder ihren Charakter hinweisen.

Auch George MacDonald, Schotte und ursprünglich calvinistischer Pfarrer, kleidet in seinen Romanen immer christliche Gedanken ein. MacDonald wich zwar schon früh – man sagt, schon als Kind – vom strengen Calvinismus ab, indem er dessen Prädestinationslehre verwarf. Es wollte ihm nicht einleuchten, warum nur gewisse Leute in den Himmel kommen sollten – und die dann auch schon im Voraus selektiert sind. Auch wenn man dem Kind offenbar versicherte, er gehöre selbstverständlich zu den Erwählten – es ging ihm schon damals darum, dass er dieses Vorgehen als unvereinbar mit der allumfassenden Liebe Gottes zu seinen Kreaturen auffasste. Später ging er sogar so weit, dass er eine ewige Verdammnis der Sünder generell ablehnte. Jeder und jede würde, so seine Meinung, nach einer kürzeren oder längeren Leidenszeit in der Hölle schlussendlich in den Himmel kommen. Ja, er ging sogar so weit, anzudeuten, dass dies selbst für den Erzbösewicht der Fall sein würde – für Satan.

Lilith nun ist einer der letzten Romane MacDonalds. Er erschien 1895. Die Meinungen der Kritik darüber gingen schon damals und gehen bis heute weit auseinander. Sie reichen von „völlig misslungen“ bis „düster und tief“. Ich neige eher zur ersten Meinung und will versuchen zu erklären, warum.

Da ist einmal Lilith. Ursprünglich eine alte Gottheit aus dem Zweistromland, wurde sie in gewisse jüdische Sagen übernommen als erste Frau Adams. Anders als Eva wurde Lilith zusammen mit Adam geschaffen; anders als Eva war sie aber nicht damit einverstanden, die zweite Rolle hinter Adam zu spielen. Sie verliess ihn und wurde so zu der dämonischen Gestalt, als die sie in die Mythologie eingegangen ist.

Was als Geschichte einer Emanzipation hätte in die Annalen der Literatur eingehen können, wurde bei MacDonald zu einer weiteren Darstellung einer in Sünde verstrickten Frau. Dafür kann ich ihm nicht einmal einen Vorwurf machen – er folgte einer Tradition, die zu hinterfragen er nicht im Stande war. (Natürlich besteht diese Tradition nicht nur aus christlicher Erbauungsliteratur à la Buyan. Das einzige literarische Werk, das sein Ich-Erzähler offen zitiert – und dies gleich zwei Mal – ist Dantes Divina Commedia.)

Problematisch am Roman ist etwas anderes. Es fehlt ihm an einer klaren Linie. Erst etwa in der Mitte erscheint Lilith – und bleibt dann auch noch für eine Weile namenlos. Bis dahin – und auch nach ihrem Erscheinen – stellt MacDonald vor allem die Geschichte des Ich-Erzählers ins Zentrum. Mr. Vane, so heißt er, ist ein nicht unvermögender Gentleman. Er hat soeben sein Studium beendet und ist zurück gekehrt auf das väterliche Anwesen, wo er offenbar zu privatisieren beabsichtigt. Eines Abends sieht er in seiner Bibliothek – und damit setzt der Roman ein – einen Schatten, der durch eine geheime Tür geht. Nach ein paar kleinen Verfolgungsjagden kann er den Schatten stellen und als Mr. Raven identifizieren – den Bibliothekar schon seines Vaters und seines Großvaters. Mr. Raven, der mal Mensch ist, mal Rabe, führt den Ich-Erzähler durch einen Spiegel auf dem Dachboden in eine andere, phantastische Welt.

Ähnlich wieChrist bei Bunyan erlebt nun Vane in dieser anderen Welt das eine und andere Abenteuer. Es stellt sich heraus, dass der bibliothekarische Rabe auch Adam ist, der zusammen mit Eva ein Haus führt, in dem die Toten schlafen, bis sie wieder erwachen zum ewigen Leben. Vane trifft auf gewalttätige aber feige und dumme Riesen, aber auch auf ein Volk von Kindern, die offenbar nie erwachsen werden. Nur manchmal mutiert das eine oder andere zu einem dummen Riesen. Die andern bleiben fröhliche, liebenswerte und zutrauliche Kinder.

Um Lilith, die die Kinder töten will, zu besiegen, führt Vane sie – entgegen dem dringenden Ratschlag Adams – in einen Krieg gegen sie und ihre Stadt von habsüchtigen Individualisten. Sie verlieren die Schlacht, und dann erst hört Vane auf Adam. Ich habe das Ganze hier um einiges klarer und präziser dargestellt, als es MacDonald tut. Denn das ist mein großer Kritikpunkt: Die Story verwickelt sich, und der Ich-Erzähler verliert sich immer wieder in Spekulationen über die Motive seiner Antagonisten. Natürlich gelingt es zum Schluss, Lilith dazu zu bringen, sich ebenfalls bei Adam und Eva schlafen zu legen, bis auch sie dann wieder erwacht und in die himmlische Stadt eingelassen wird. Auch Vane, dem Ich-Erzähler, gelingt es nach kurzem Schlaf, die Stadt zu betreten. Allerdings fällt er noch einmal – warum auch immer (ja, natürlich: er muss die Geschichte erzählen können …) – zurück auf unsere Erde und erwacht in seiner Bibliothek. Weder aber wird er den alten Bibliothekar noch einmal erblicken, noch wird er je wieder versuchen, durch den Spiegel auf dem Dachboden in jene andere Welt einzudringen. Resigniert, aber in Vorfreude darauf, was ihn ‚drüben‘ erwartet, wird der noch junge Mann den Rest seines Lebens zubringen.

Lesenswert? Wer sich für Literatur interessiert, die ein wenig aus der Reihe fällt und / oder für einen Autor, den man zu Recht als Vater der Fantasy des 20. Jahrhunderts bezeichnen kann, wird hier richtig sein. Selbst wenn dieser Roman – wie zum Beispiel mich – nicht zu befriedigen mag.

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