Gryphius nannte diese Komödie auf dem Titelblatt der Erstausgabe (sie stammt vermutlich aus dem Jahr 1663) ein Schertz-Spiel. Das ist im ganzen Stück so ziemlich das einzige Mal, dass ein Fremdwort durch ein deutsches Wort ersetzt wird; ansonsten handhaben es praktisch alle Figuren des Stücks umgekehrt: Wo immer es geht, ob es passt oder nicht, werden fremde Wörter und Sätze in die Rede gemengt. So hört man Französisch, Italienisch, Spanisch, Altgriechisch und Latein – ja, eine Figur, ein Rabbi, mischt sein Deutsch mit hebräischen Brocken. Praktisch niemand der Handelnden aber beherrscht die Fremdsprache, die sie so freigiebig in ihr Deutsch einmischen. Ihre Einsprengsel sind voller Fehler: Wortverdrehungen und grammatikalische Schnitzer gehen dabei Hand in Hand mit Entstellungen bis hin zur Sinnlosigkeit. Nicht jede Figur benutzt dabei jede Fremdsprache: Den Rabbi Isaschar, der zugleich (als Jude!) Händler in allem und von allem ist, mit seinen hebräischen Einsprengseln haben wir schon erwähnt. Mit Sempronius, einem verdorbenen Dorfschulmeister, kommt der (Pseudo-)Gelehrte ins Spiel, der praktisch nur Latein und Altgriechisch in seine Rede mischt. Dies sogar einigermaßen korrekt – sein Fehler ist es, in der Kommunikation nicht auf den Rezipienten zu achten. Bzw. die Rezipientin, denn er wird praktisch nur im Dialog mit Cyrilla, einer alten Kupplerin, vorgeführt. Diese Frau aus der niedersten Schicht des Volks versteht ihn natürlich nicht. Sie interpretiert die fremden Brocken dem Klang nach und transponiert sie so ins Deutsche. Ungefähr jedes zweite Mal versteht sie dabei, dass sie der Dorfschulmeister eine Hure nennt, und – empört sich darüber. Die beiden Hauptpersonen aber, Don Daradiridatumtarides und Don Horribilicribrifax, weiland reformierte (d. i. nunmehr aus dem Dienst entlassene) Hauptleute, mischen vor allem Italienisch (der erste) und Französisch (der andere) in ihre Rodomontaden.
Zwei Hauptpersonen: Gryphius nämlich hat die Figur des aufschneidenden Soldaten, der mit seinen Heldentaten prahlt, aber im Grunde genommen ein erbärmlicher Feigling ist, und die ihm so wohl über die italienische Commedia dell’arte vom Miles gloriosus des Plautus zugekommen ist, verdoppelt. Gleich zwei sind es, die sich ihrer Tugenden und ihrer Tapferkeit rühmen, im Zweifelsfall aber den strategischen Rückzug allen anderen Taktiken vorziehen. Bis auf ihre sprachlichen Einsprengsel, die sin in zwei verschiedenen Sprachen tätigen, sind die beiden ununterscheidbar. (Auch wenn – warum auch immer – tatsächlich der titelgebende Horribilicribrifax der einzige ist, der in allen fünf Aufzügen des Stücks in Erscheinung tritt.)
Das Niveau der Sprache – vor allem der aus der Unterschicht stammenden Figuren – ist grob. Fäkal- und derber Sexualhumor überwiegen. Doch selbst Bonosus und Cleander, die die Obrigkeit der Stadt vorstellen, haben keine Skrupel, zum Spaß Sophia, eine keusche / doch arme / Adelige Jungfrau [der Schrägstrich dient im Barock noch an der Stelle des Kommas!] einfach mal so zu entführen. Das berührt heute eher seltsam, auch wenn es im Stück geschieht, um sie einer guten und ehrbaren Heirat zuzuführen, mit dem Mann sogar, in den sie verliebt ist.
Gryphius‘ Komödie, die oft den Anstrich eines Satyrspiels aufweist, hat einen ernsten Hintergrund in der nicht nur sprachlichen, sondern allgemein sittlichen und ökonomischen Verarmung, ja Verluderung, Deutschlands während und noch lange Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg. (Gryphius war selber ein Opfer dieses Kriegs und wusste, wovon er hier sprach!) Kein Wunder, hatte das Stück in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland eine Art Renaissance erlebt. Aber, seien wir ehrlich: den rodomontierenden, mit kaum halb verstandenen Fremdwörtern um sich werfenden Hauptmann finden wir auch heute noch. Die Fremdwörter kommen heute aus dem Englischen, die Hauptleute sind heute die geschniegelten jungen Männer aus dem so genannten unteren und mittleren Kader von Banken und PR-Agenturen, und der Marktplatz der Stadt ist heute das Zugabteil erster Klasse in der S-Bahn – aber auch die modernen Hauptleute wissen und können es immer noch besser als ihre Vorgesetzten und haben denen so manches Mal in extremis den Arsch gerettet. Jedenfalls, wenn man sie im Gespräch mit ihresgleichen so hört.
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