Andreas Gryphius: Absurda Comica. Oder Herr Peter Squentz / Schimpf⸗Spiel

Barocke Komödien sind – anders als ihre tragischen Gegenstücke – auch bis heute nicht nur verständlich geblieben, sondern vor allem immer noch vor lustig. Das gilt auch für die nach Horribilicribrifax Teutsch berühmteste Komödie von Andreas Gryphius: Absurda Comica. Oder Herr Peter Squentz / Schimpf⸗Spiel, meist kurz „Peter Squenz“ genannt. Gryphius gibt in der Vorrede zu, den Stoff (vielleicht gar das ganz Stück) von einem zeitgenössischen Autoren-Kollegen übernommen zu haben. Doch während Gryphius für sich und seine Stücke tapfer die Werbetrommel rührte, scheint dieser Daniel Schwenter bescheidener gewesen zu sein. Mit dem Resultat, dass wir Gryphius bis heute kennen und Schwenter eine Fußnote in der Literaturgeschichte geblieben ist. Mit dem Resultat auch, dass der Peter Squentz heute allgemein Andreas Gryphius zugeschrieben wird.

Barocke Komödien sind auch heute noch verständlich und lustig, habe ich oben gesagt. Das gilt aber nur cum grano salis. Man muss sich in den meisten Ausgaben mit der mehr oder weniger willkürlichen barocken Orthographie herumschlagen, die zum Beispiel macht, dass selbst in den Erstausgaben von Gryphius‘ Komödien das Wort „Spiel“ mal so wie heute, mal Spil oder mal Spill geschrieben wird. Auch die (meist noch verballhornten) lateinischen Einsprengsel in den Reden bedürfen oft einer Erklärung. Ein kommentierte Ausgabe ist deshalb unumgänglich.

Der andere, in den heutigen Zeiten von ‚Political Correctness‘ vielleicht sogar schwerer zu schluckende Aspekt der barocken Komik ist, dass ihr eben diese ‚Correctness‘ völlig abgeht. Hierin ist sie noch eine direkte Erbin der mittelalterlichen Komik, die alles, was von der Norm abwich, komisch finden konnte und sich darüber lustig machte. Und die Norm, das war der weiße Mann, meist von Adel, und aus der eigenen Region stammend. Dass mittelalterliche wie barocke Komik in den meisten Fällen immer noch funktioniert, liegt wohl daran, dass auch im Menschen des 21. Jahrhunderts noch immer, mehr oder weniger tief verborgen, die alte Stammes- und Gruppenethik verankert ist: Entweder jemand gehört zur eigenen Gruppe, dann ist diese Person in Ordnung. Oder sie tut es nicht und weicht in irgendeinem Sinn von ‚unserer‘ Norm ab: Dann ist diese Person entweder geradewegs gefährlich und muss bekämpft werden; oder aber sie wirkt durch ihre Abweichung von ‚unserer‘ Norm seltsam auf uns. Und von ’seltsam‘ zu ‚komisch‘ ist der Schritt klein.

Peter Squentz nun gehört eigetnlich zur barocken Gattung der Stände-Komödie, in der ein Stand lächerlich gemacht wurde. Es war meist der unterste, der auf Kosten der oberen als komisch hingestellt wurde. So auch hier.

Die Story des Stücks als solche – eine Gruppe von Handwerkern beschließt, zu Ehren ihres Königs eine Sequenz aus Ovids Metamorphosen, nämlich die vom Tod des Pyramus und der Thisbe, vor eben dem König aufzuführen (wir haben also Theater auf dem Theater vor uns) und blamiert sich schon in den Vorbereitungen und den Proben, nicht zu reden von der eigentlichen Aufführung, aufs Äußerste durch falsch verstandene Rücksichtnahme, Nicht-Wissen und Nicht-Können – die Story also ist bekannt von einem der drei Handlungsstränge in Shakespeares Mittsommernachtstraum. Schwenter / Gryphius haben die beiden andern Stränge bei Seite gelassen und sich auf die Handwerker und ihre Aufführung konzentriert. Wie bei Shakespeare endet die Aufführung in der Aufführung in einem Desaster; wie bei Shakespeare haben sich die Vertreter der oberen Schicht aber gerade deswegen im ursprünglichen Sinn des Wortes „königlich amüsiert“.

Trotz der Tatsache, dass hier ein Stand lächerlich gemacht wird (was man heute tunlichst vermeidet), funktioniert Gryphius‘ Komik auch im 21. Jahrundert noch. Neben und zusammen mit dem oben schon beschriebenen unbewussten Stammesverhalten, ist daran wohl nicht zuletzt ein gutes Stück Schadenfreude schuld. Diese Handwerker, die sich thematisch und in ihrer Wortwahl weit über ihren Stand und weit über ihr aktuelles Wissen erheben wollen und daran, ohne es selber zu bemerken, gründlichst scheitern, vertreten uns Heutigen eben mehr oder anderes als den untersten Stand in der barocken Ständegesellschaft. Wir fassen sie heute als Typen auf; und den Typus des ‚primitiven‘ aber großmäuligen Nichts-Wissers findet wohl jeder unter seinen Team-Kollegen und -Kolleginnen am Arbeitsplatz, in der Schule oder beim Einkaufen wieder. Und ein bisschen funktioniert diese Komödie als Wunscherfüllung: Wir würden es diesem real existierenden Großmaul gönnen, ebenso lächerlich zu scheitern, wie es den Handwerkern bei Schwenter / Gryphius geschieht – selbst wenn er es selber gar nicht realisiert. (Und ich sehe gerade, dass ich ganz ähnlich schon bei der Besprechung des Horribilicribrifax Teutsch argumentiert habe.)

Was zeigt, dass gute Literatur die Zeit durch Re-Interpretation von Seiten des Publikums überbrücken und aktuell bleiben kann. Von mir eine Leseempfehlung.

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