Mit dieser Auswahl von Liebesgedichten hat die Büchergilde dieses Jahr (2021) einem weiteren der großen deutschen Lyriker:innen einen Band gewidmet: Erich Fried. Helmut Heißenbüttel soll Frieds Werk zum Dauerhaftesten […], was diese Zeit hervorgebracht hat gezählt haben. Und er hat damit durchaus Recht. Frieds Gedichte lesen sich völlig unprätentiös. Oft finden wir spielerische Verformungen der Sprache, immer aber eine Zartheit und Zurückhaltung des lyrischen Ich, die machen, dass wir als Lesende oft schon fast den Verdacht haben, da schreibe ein Kind. Dabei sind Frieds Liebesgedichte keineswegs kindisch, nicht einmal kindlich. (Immerhin beschreibt sein lyrisches Ich ein paar Mal, wie er bei seiner Geliebten einen Cunnilingus ausführt!) Aber durch seinen spielerischen Umgang mit der Sprache, der manchmal an Morgenstern erinnert, erreicht Fried, dass wir beim Lesen nie verloren gehen, immer mitfühlen können.
Oft wird der Altersunterschied zwischen lyrischem Ich und der Geliebten thematisiert. Ich vermute, ohne es jetzt groß nachgeprüft zu haben, dass das lyrische Ich hier in hohem Maß deckungsgleich ist mit dem Autor – eine Vermutung, der ich ansonsten ja lieber aus dem Weg gehe. Trennungsängste werden ebenso angesprochen wie die Angst davor, nicht akzeptiert zu werden. Aber selbst diese Ängste zieht das lyrische Ich dem Zustand eines Nicht-Liebens vor. Letzten Endes überstrahlt in diesen Gedichten die Liebe eben alles.
Man könnte sich Fried auf den Nachttisch legen und jeden Abend vor dem Einschlafen ein Gedicht lesen. Oder man liest alle auf einmal. Aber lesen sollte man ihn auf jeden Fall.