Paul Ernst: Erdachte Gespräche

Für einmal habe ich wieder in meiner Kiste der Curiosa gewühlt und bin dabei auf dieses schmale Büchlein gestoßen. Dabei war Carl Friedrich Paul Ernst (1866-1933) zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein in der Literatur zwar nicht berühmter, aber doch bekannter Mann. Der Sohn eines Grubenaufsehers konnte Theologie, Philosophie, Literatur und Geschichte studieren und promovierte zum Schluss in Bern. In jungen Jahren war er Mitglied der Arbeiterbewegung, rutschte dann aber zusehends nach rechts, bis er im konservativ-national(istisch)en Lager endete und noch 1933, kurz vor seinem Tod, nach deren Säuberung von missliebigen (jüdischen und anderen) Mitgliedern in die Preußische Akademie der Künste nachrückte. Ähnlich wie Ernst Jünger stand er allerdings dem Nationalsozialismus nicht unbedingt freundlich gegenüber – er teilte dessen nationalistische Haltung, nicht aber die proletenhafte Form, die er angenommen hatte. Sein Tod rettete ihn davor, wirklich Stellung beziehen zu müssen.

Als Schriftsteller vertrat er in seinen Hauptwerken eine neoklassische Position. Damit fand er durchaus Anhänger in der Leserschaft. Noch Anfang der 1930er Jahre wurde eine 19-bändige Werkausgabe gedruckt – nicht bei irgendeinem Verlag, sondern beim renommierten Langen-Müller-Verlag in München. Denn ein fleißiger Autor war er auch: Romane, Dramen, theoretische Schriften – you name it, he got it. Sein Ruhm in Deutschland war zeitweise so groß, dass Überlegungen angestellt wurden, ihn für den Literaturnobelpreis zu nominieren. Dann allerdings erhielt 1929 Thomas Mann diesen Preis, und die Chancen, dass in der nächsten Zeit ein weiterer Deutscher zum Zuge kommen würde, waren so klein, dass man auf die Nominierung verzichtete. Aber noch in den 1980ern waren Taschenbücher mit Erzählungen von Ernst sowohl bei Reclam wie bei Insel erhältlich. (Heute scheint es allerdings nur noch Reprints dubioser Verlage zu geben.)

Seine Präsenz aber in den 1930ern als Schriftsteller im Allgemeinen, als „Lehrer der Nation“ im Besonderen beweist auch das vorliegende Buch. Mittels in Gesprächsform gehaltener Parabeln vermittelt hier Paul Ernst ein paar seiner Lehren – mal subtil, mal mit dem Holzhammer.

Mit dem Holzhammer schlägt er gleich in der ersten Erzählung zu. Sophokles und Aspasia diskutieren über die Tragödie und über das menschliche Leid im Allgemeinen. (Natürlich ist Aspasia die, die lernt und Sophokles der, der weiß und doziert). An Hand eines Berichts vom Leiden Christi wird (völlig ahistorisch) geschlossen, dass das Leiden nichts Zufälliges sondern etwas Notwendiges sei. Hier schlägt Ernsts pessimistische Lebensanschauung seiner letzten Jahre voll zu Buche.

In der zweiten Geschichte treffen sich Buddha und ein Armer auf der Landstraße. Abermals geht es um das menschliche Leiden. Hier ist Buddha eine notdürftige Verkleidung Christi, und der Schluss, warum der Arme nicht die Erlösung findet, lautet, dass es so ist, weil der Arme eitel, neidisch, selbstsüchtig, hochmütig, und deshalb gänzlich töricht und ohne jede Einsicht sei. Ernsts Abrechnung mit seiner Zeit in der Arbeiterbewegung …

Die dritte Geschichte führt uns wieder ins alte Griechenland, nach Athen. Sokrates und Alkibiades entfernen sich gerade von Sokrates’ Haus, von wo ihnen Xanthippe nachschimpft. Die Moral dieser Geschichte ist, dass der Weise den Anderen schimpfen lässt und selber einfach tut, was nötig ist. (Mir will scheinen, dass Ernst hier entweder sehr von Xenophons Darstellung des Sokrates beeinflusst ist, oder aber, dass sein schriftstellerisches Vermögen nicht ausreichte, den viel differenzierteren Sokrates des Platon nachzuahmen.)

Die Geschichte Der Sohn ist ein Dialog zwischen Leonardo da Vinci und seinem Vater , Ser Piero. Das Verhältnis der beiden wohl sehr, sehr idealisiert dargestellt, und eigentlich geht es darum, dass, als Ser Piero Leonardos Mutter verführte und schwängerte, dies in einem quasi metaphysischen Drang geschah, dem Genie Leonardo auf die Welt zu helfen. Nun ja …

Es folgt Das Gebet. Luther am Bett des schwerkranken Melanchthon predigt diesem die Ergebung in Gott. Als ihn Melanchthon darauf hinweist, dass er bereits jenseits allen Irdischen sei, weil er noch heute sterben werde, kann sich Luther allerdings dann keineswegs darin ergeben, sondern er betet zu Gott, ihm Melanchthon zu erhalten, um festen Glauben, dass er (Luther) Gott zwingen könne, weil Gott ihn brauche. Diese Geschichte ist recht fein geschrieben und vielleicht die beste dieses Büchleins.

Auch die nächste Geschichte ist so übel nicht. Kant trifft in einem Gärtchen hinter einem kleinen Dorfhaus ein junge Frau mit einem Säugling. Es stellt sich heraus, dass es die Tochter eines Freundes von Kant ist, die ein uneheliches Kind empfangen hat und deshalb vom Vater versto225en wurde. Denn das moralische Gesetz, wie es von Kant in seinen Schriften dargelegt worden sei, habe dies verlangt. Kant kann in Bezug auf seinen Freund und das von ihm selber aufgestellte Gesetz der Sittlichkeit nicht anders als leise zu flüstern: Ich hätte nicht so gehandelt wie er.

Es folgt ein unbekanntes Gespräch Goethes mit Eckermann, von ebendiesem in der Ich-Form erzählt. Leider gelingt es Ernst so gar nicht, Eckermanns Stil auch nur annähernd zu treffen. Inhaltlich geht es darum, dass sich Goethe darüber beklagt, dass einer auf die Idee gekommen sei, an Hand seiner Autobiografie Dichtung und Wahrheit in der Vergangenheit nicht nur Goethes, sonder auch seiner Geliebten zu wühlen.

Danach Schiller auf dem Sterbebett im Gespräch mit dem weinenden Voß jr. Sentimentaler Kitsch in Reinkultur.

Noch einmal Goethe, der einem Privatdozenten als Geist erscheint. Dieser, der sehr akademisch-theoretische Ansichten darüber hat, was ein Genie ausmacht, und sich wer-weiß-was dünkt, ist äußerst düpiert, als der Verwaltungsbeamte, als der sich der Geist vorgestellt hatte, und dem der Privatdozent deshalb unterstellte, keine Ahnung jeder höherer Tätigkeit zu haben – als sich dieser Beamte also vor seinem Abgang mittels einer Visitenkarte als v. Goethe, Großherzoglich Sächsischer Geheimer Regierungsrat ausweist. Eine ganz nette Pointe, auch wenn das Gelehrtenbashing als solches nichts Neues ist.

Die letzte Geschichte, Der König zeigt den konservativ-nationalistischen Menschen Ernst. Ein König, der von einer Revolution abgesetzt worden ist, „beweist“ dem neuen Präsidenten, dass er dennoch der letzte Herr in einer Welt ist, die ansonsten nur aus Angestellten besteht. Eine verspätete Anspielung auf die Absetzung des deutschen Kaisers nach dem Ersten Weltkrieg? Jedenfalls keine Erzählung, die der Nachwelt unbedingt erhalten werden müsste.


Paul Ernst: Erdachte Gespräche. Eine Auswahl. München: Albert Langer – Georg Müller, 1932.

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