Henry James: The Turn of the Screw

Auf dunkelbraunem Hintergrund in mittel- und hellbraun sowie weiß die Zeichnung einer Kerze, daneben die Büste einer Frau in viktorianischem Gewand. Ausschnitt aus Buchcover.

Erstmals 1898 veröffentlicht als Fortsetzungsgeschichte in einer US-amerikanischen Zeitschrift. Der kurze Roman handelt davon, wie eine Gouvernante in einem abgelegenen Landhaus in England ihre beiden Zöglinge an zwei Geister verliert; und schon sehr bald nach der Erstveröffentlichung setzten Diskussionen darüber ein, ob diese zwei Geister denn nun echt seien oder nur Einbildungen der überhitzten Phantasie der Gouvernante. (Es stimmt natürlich weder das eine noch das andere: Die Geister sind Produkte der Einbildungskraft des Schriftstellers Henry James; ebenso die Gouvernante, die ihre Erlebnisse niedergeschrieben hat; ebenso ein gewisser Douglas, von dem man nur erfährt, dass er das Heft mit den Aufzeichnungen der Gouvernante von London kommen ließ, um einer Gesellschaft auf dem Land daraus vorzulesen; ebenso der Ich-Erzähler der Rahmenerzählung, der das Heft später von Douglas erhalten hat, als dieser kurz vor dem eigenen Tod stand, und der nun dem großen Publikum diese Geistererscheinungen kund tut. Dass sich überhaupt eine Diskussion um die Echtheit der Geister entfachen konnte, beweist die hohe Qualität des Romans, in dem tatsächlich kein Hinweis gegeben wird, ob wir denn nun der Gouvernante trauen dürfen oder nicht.)

Für einmal habe ich keine deutsche Version des Titels gegeben. Es gibt deren einfach zu viele – was wiederum daran liegt, dass die englische Redensart „Turn of the screw“ fast unübersetzbar ist. Am Nächsten käme ihr wohl die deutsche Redensart „Noch eine Schippe drauf legen“, nur, dass das allzu vulgär klingt für eine Geschichte, die sich im Milieu der englischen ‚Upper Class‘ abspielt, und deren Protagonisten neben den beiden Kindern aus reicher Familie deren Erzieherin und die Haushälterin des Hauses ist, in dem die Kinder erzogen werden sollen. Das Ganze wird, wie schon gesagt, als Rahmenerzählung präsentiert. Den Rahmen bildet ein Treffen von ein paar Freunden, darunter unser Ich-Erzähler, um die Weihnachtszeit in einem alten Haus auf dem Land, wo sie sich gegenseitig Geschichten erzählen, die schließlich, wie es sein muss um diese Jahreszeit, auf Geister und Geistererscheinungen kommen. Eine ist offenbar gerade beendet worden, als sich der genannte Douglas meldet. Was man gerade gehört habe, sei gut und schön, sagt er sinngemäß. Dass der Geist einem zarten Kind erschienen sei, gebe ihr einen aparten Touch. Wenn nun aber, fragt er die Anwesenden, ein Kind schon gives the effect of another turn of the screw, what do you say to two children? Wenn also ein Kind schon bedeutet, dass auf den allgemeinen Gruseleffekt der Geschichte noch eine Schippe drauf gelegt wird, was ist dann mit zwei Kindern? Selbstverständlich, antwortet jemand, würde das heißen, zwei Schippen drauf zu legen. Man möchte also die Geschichte hören, aber Douglas muss erst das Manuskript von zu Hause ordern, weil er es nicht dabei hat. So vergeht noch ein Moment, bis der Roman mit dem eigentlichen Kapitel 1 beginnen kann.

Nun sind wir es von den üblichen Novellen-Sammlungen und Romanen mit Rahmenerzählung gewohnt, dass der Rahmen sowohl zu Beginn wie am Ende der Binnenerzählung folgt. Nicht aber hier. Nach der Schlussklimax, bei der das ältere Kind in den Armen der Gouvernante stirbt, die in der Binnenerzählung als Ich-Erzählerin fungiert, bricht der Roman ab. Es ist, wie wenn in einem surrealistischen Film zunächst die Badewanne gefüllt würde, wir dann in die Wanne eintauchen, worauf ein paar Unterwasser-Szenen folgen, die immer wilder werden, bis wir sehen, dass der Badewanne der Stöpsel gezogen wurde und nun das Wasser wieder abläuft. Aber nicht nur das Wasser läuft ab, sondern gleich die ganze Badewanne, das Badezimmer, das Haus, der Erdball, das Universum. Vieles von dem Horror, den dieser Roman verbreitet, ist diesem klug erdachten Ende geschuldet.

Einiges hat James ganz offensichtlich „tongue in cheek“ geschrieben, wie der englische Ausdruck lautet. Will sagen: James kennt die Konventionen zumal des englischen Schauerromans (einmal wird sogar Radcliffes Udolpho erwähnt) und kennt dessen Ingredienzien. So werden die zwei Kinder – von ein paar (natürlich nicht zählenden) Dienstboten abgesehen, mutterseelenalleine auf dem Land erzogen, weil ihr Onkel, der nach dem Tod seines Bruders für sie zuständig ist, eigentlich nichts von ihnen wissen will. Er legt der jungen Gouvernante, als sie den Job annimmt, denn auch ganz deutlich ans Herz, dass sie ihn um keinen Grund auf der Erde mit Fragen oder Problemen belästigen soll. An diese bizarre Bedingung hält sich die junge Frau getreulich und ermöglicht so dem Autor die klassische schauerromantische Konstellation des einsamen Schlosses und der Tatsache, dass – wenn nur jemand zum rechten Zeitpunkt (also so früh wie möglich) Tacheles geredet hätte – die ganze Katastrophe problemlos hätte vermieden werden können. Aber die Gouvernante redet weder mit ihrem Arbeitgeber noch mit den ihr anvertrauten Kindern über die Geister, die sie sieht und die ihrer Meinung nach die Kinder auf „die böse Seite“ ziehen wollen. Auch der Grund, warum Miles, der ältere, 10-jährige Knabe von seiner Schule verwiesen worden ist, wird nie geklärt. Auf Grund der verschiedenen Andeutungen vermute ich, dass die ganze in diesem Roman geschilderte Problematik basiert auf kindlicher Frühreife, früher erster Liebe (auch auf Seite der Gouvernante: Sie kommt frisch vom Land, Tochter aus sittsam armem Pfarrhaus, und kennt weder die Welt noch die Männer, noch sich selber), vielleicht auch Homosexualität und (ein noch größeres, ganz vorsichtiges ‚Vielleicht‘) Pädasterie. Henry James kannte seine Viktorianer und wusste, woran diese Gesellschaft krankte.

Eine intelligente und faszinierende Geschichte, intelligent und mit Tempo erzählt. Henry James ist in diesem Roman – wie fast in jedem Fall – eine Leseempfehlung wert.

2 Replies to “Henry James: The Turn of the Screw”

  1. „Noch eine Schippe drauf legen“ habe ich noch nie gehört, ist das schweizerisch/süddeutsch? (Der Herkunfts-Duden bezeichnet „Schippe“ zwar als „nordd. und westd.“, aber auch „weit ins südwestd. Gebiet eingedrungen“.) Mir fällt dazu „noch einen Zahn schärfer“ ein. Dass die Geister und die Gouvernante und überhaupt alles nur Phantasieprodukte des Autors sind, scheint mir ein nicht sehr sinnvolles Totschlagargument gegen fiktionale Erzählungen überhaupt zu sein. Die Frage sollte doch eben sein, was sie als solche sind.

    1. „Schippe drauf legen“: Ich könnte jetzt nicht sagen, woher sich der Ausdruck in meine Sprache (und die meiner Umgebung) geschlichen hat. Die deutsche Sprache ist ja nach wie vor sehr regional gesplittert.

      „Die Frage sollte doch eben sein, was sie als solche sind.“ Dass diese Frage sinnvoller Weise gestellt werden kann, bestreite ich eben – und hier kommen die „Phantasieprodukte des Autors“ ins Spiel. Henry James hat die Story sehr geschickt so angelegt, dass eine solche Frage keine Antwort finden kann. Die Binnenerzählung hat zwar einen Rahmen als Einleitung, aber keinen als ‚Ausleitung‘ mehr. Ein abschließender Rahmen hätte die Frage beantworten müssen, oder zumindest Mittel zu deren Beantwortung an die Hand geben.

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