Isaac Newton: Philosophiæ Naturalis Principia Mathematica

Auf schwarzem Hintergrund silberne und orangefarbene Kreise über- und durcheinander gezeichnet. Das Ganze wirkt wie eine schematische Darstellung eines ungeheuer komplizierten Systems von Sonnen, Planeten und Monden. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Es handelt sich hier auch um eine Art Selbstversuch. Die Frage war nämlich: Kann eine Nicht-Fachperson im 21. Jahrhundert einen wissenschaftlichen Text, der zum ersten Mal im 17. Jahrhundert erschienen ist, überhaupt noch lesen und verstehen? Ich bin weder Mathematiker noch Physiker, und schon gar nicht Astronom. Auch als Wissenschaftshistoriker stelle ich bestenfalls einen instruierten Dilettanten dar. Die Antwort auf die Frage wird wohl niemanden wundern. Sie lautet kategorisch: „Jein!“

Einiges funktioniert nicht. Zum Beispiel habe ich es mir gleich von Anfang an erspart, den Text im Original zu lesen; ich habe den Text in einer modernen englischen Übersetzung vor mir gehabt und nicht im wissenschaftlich-universitären Neu-Latein des Originals. Weil diese Übersetzung aber die mathematischen Formeln in der Notation des 17. Jahrhunderts belassen hat, ist er trotzdem nicht ganz einfach zu verstehen. Ich vermute, dass selbst heutige Mathematiker sich in diese Notation eindenken müssten. Ich habe kurzen Prozess gemacht und viele Formeln mehr überflogen als gelesen, geschweige denn nachgeprüft. (Worin mich dann Newton selber zu Beginn des dritten und letzten Buchs bestärkt hat, der meinte, selbst Mathematiker würden wohl große Teile der vorhergehenden Bücher als langweilig und schwierig empfinden, weshalb er empfehle, nur die ersten drei Sektionen von Buch I zu lesen und dann im dritten Buch weiterzufahren.)

Aber auch die ‚normale‘ Sprache bietet so einige Probleme bei Newton. Meine Übersetzung versucht, so nahe wie möglich am Original zu bleiben, was auch bedeutet, dass viele mathematische und physikalische Begriffe verwendet werden, die es heute nicht mehr gibt, zumindest in dieser Form oder Bedeutung. Andererseits kann man aber so Newton dabei zuschauen, wie er sich langsam vortastet zu gewissen modernen Konzepten wie zum Beispiel dem der ‚Masse‘. Das Problem Newtons war ja nicht nur, die Bahnen der Planeten zu berechnen – er musste dazu auch einige physikalische Phänomene erforschen bzw. mathematisieren. Nicht erst der Begriff der ‚Masse‘ war sein Problem, sondern schon die Tatsache, dass er überhaupt erst einmal das Konzept der ‚Masse‘ als etwas vom ‚Gewicht‘ Verschiedenen erreichen musste, um seinerseits mit der Berechnung der Gravitation (ihrerseits ebenfalls ein neues Konzept!) weiterfahren zu können. Das damit verwandte Problem der ‚Dichte‘ eines Körpers konnte er sprachlich sogar nur umschreiben, ein gefälliger und eindeutiger Begriff dafür fehlte ihm. Solche sprachlichen Schwierigkeiten kann auch eine Nicht-Fachperson nachvollziehen, ebenso wie die zu Beginn des Textes implizit vollzogene Zurückweisung des Konzepts eines Äthers, der als eine Art schwerelose Materie allen Raum durchdringen soll. (Wir sprechen hier von der dritten, der letzten noch von Newton selber bearbeiteten Auflage von 1726; Newtons Stellung zum Konzept des Äthers schwankte zeitlebens.) Berühmt geworden ist auch der Schluss der Abhandlung, wo Newton zunächst die Existenz eines alles durchdringenden und alles lenkenden Geistes (hier meint er nicht den Äther, sondern (einen) Gott) zugesteht, aber dann gleich festhält, dass dieses Konzept in einer Naturwissenschaft nichts verloren hat. Hypotheses non fingo – Ich denke mir keine Hypothesen aus. Damit wies er jeden Versuch zurück, der Schwerkraft eine weitere (metaphysische) Begründung zu geben. (Was ihm dann aber den Vorwurf eintrug, okkulte Wesenheiten in die Naturwissenschaft einzuführen.)

Nicht in allem ist Newton natürlich auf dem heutigen Stand der Dinge. Zwar hat dieses Buch hier die Festkörper-Physik, die Mechanik, im heutigen Sinn erst als wissenschaftlichen Bereich definiert und fixiert. Aber fixiert waren zum Beispiel in seinem System of the World (Weltsystem) auch die Sterne (die nicht umsonst ja bis heute Fixsterne heißen, auch wenn wir mittlerweile wissen, dass auch diese sich durchs All bewegen). Obwohl Newton auch Forschungsresultate von Brahe übernimmt, ist sein Weltbild doch klassisch heliozentrisch. Die Fixsterne sind Beigemüse, das ihn nicht weiter interessiert, weil sie offensichtlich in Bezug auf die Gravitation, und somit die Bahnen der Planeten, der Monde und der Kometen, keinen Einfluss haben.

Summa summarum: Wenn man nicht den Anspruch hat, alles verstehen und nachvollziehen zu wollen, kann man zumindest eine Übersetzung sehr wohl lesen. Falls man diesen Anspruch hat, aber keine Karriere in der akademischen Wissenschaftsgeschichte anstrebt, sollte man bedenken, dass die beiden englischen Übersetzenden (die aus diesem Fachbereich stammen) 14 Jahre damit zugebracht haben, und die eine, Anne Whitman, noch vor deren Publikation verstorben ist.


Isaac Newton: Principia Mathematica [wie das Werk auch tatsächlich meist kurz genannt wird]. Mathematical Principles of Natural Philosophy [‚Naturphilosophie‘ wurden die Naturwissenschaften zu Newtons Zeit noch genannt]. Translated by I. Bernard Cohen and Anne Whitman assisted by Julia Buzenz. London: Folio Society, 2008. [Das ist die Ausgabe der University of California Press von 1999]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert