Johann Wolfgang Goethe: Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Stil

Scherenschnitt einer Dame, die sich mit dem rechten Arm auf einer Stuhllehne abstützt. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Goethe hat diesen seinen kurzen Aufsatz in der Februar-Nummer 1789 des Teutschen Merkur veröffentlicht. Im Jahr zuvor war er aus Italien zurückgekehrt, nun hatte er sich auf eine Reise ganz anderer Art begeben – auf die hin zu jenem Phänomen der deutschen Kulturgeschichte, das man ab dem 19. Jahrhundert die Deutsche Klassik zu nennen pflegte. In Italien hatte sich Goethe als deutscher Maler ausgegeben; tatsächlich war er sich eine Zeitlang unschlüssig, ob er nicht die Schriftstellerei an den Nagel hängen und sich statt dessen der Malerei widmen sollte – er nahm in Rom auch regelmäßigen Unterricht bei verschiedenen deutschen Malern, die sich dort aufhielten.

Es blieb dann doch beim Schreiben; aber einige kunsttheoretische Erkenntnisse, die er in Italien gewonnen hatte, wollte er trotzdem festhalten. Er trat nun in eine neue Phase des Sammelns und Sortierens und im vorliegenden Text geht es ihm darum, die Bedeutung der drei WorteEinfache Nachahmung der Natur, Manier“ und „Stil“ zu fixieren – Worte, die er im Folgenden zunächst rein auf die Malerei angewendet wissen will.

Die beiden ersten Begriffe sind dabei relativ einfach zu verstehen:

Einfache Nachahmung der Natur ist für Goethe, wenn

ein Künstler […] sich an die Gegenstände der Natur wendete, mit Treue und Fleiß ihre Gestalten , ihre Farben auf das genaueste nachahmte, sich gewissenhaft niemals von ihr [der Natur – P.H.] entfernte, jedes Gemälde, das er zu fertigen hätte, wieder in ihrer Gegenwart [immer noch die Natur – P.H.] anfinge und vollendete, ein solcher würde immer ein schätzenswerter Künstler sein: denn es könnte ihm nicht fehlen, daß es in einem unglaublichen Grade wahr würde, daß seine Arbeiten sicher, kräftig und reich sein müßten.

Manier wird ein Künstler (das Maskulinum stammt in diesem Fall von Goethe persönlich!) entwickeln, dem

eine solche Art zu verfahren zu ängstlich, oder nicht hinreichend [ist]. Er sieht eine Übereinstimmung vieler Gegenstände, die er nur in ein Bild bringen kann, indem er das Einzelne aufopfert […].

Vereinfacht gesagt, ist der Unterschied zwischen einfacher Nachahmung und Manier der zwischen Stillleben, wo jedes Blatt einzeln und mit vielen Details dargestellt wird, und der Landschaftsmalerei, wo ich Blätter nur noch als grüne Tupfer setze, vielleicht sogar ganze Baumkronen oder einen Wald in einer grünen Wolke zusammenfasse.

Interessanter, weil speziell, ist Goethes Begriff des Stils. Damit meint er nicht, was später die Kunstgeschichte darunter versteht, also nicht übergreifende Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Malern zum Beispiel einer Schule oder einer Epoche, sondern es ist die Kunst, die

durch Bemühung, sich eine allgemeine Sprache zu machen, durch genaues und tiefes Studium der Gegenstände selbst endlich dahin [gelangt], daß sie die Eigenschaften der Dinge und die Art, wie sie bestehen, genau und immer genauer kennen lernt, daß sie die Reihe der Gestalten übersieht, und die verschiedenen charakteristischen Formen nebeneinander zu stellen und nachzuahmen weiß: dann wird der Stil der höchste Grad, wohin sie gelangen kann, der Grad, wo sie sich den höchsten menschlichen Bemühungen gleichstellen darf.

Man könnte das mit der (ja ebenfalls in Italien erfolgten) „Entdeckung“ der Urpflanze Goethes vergleichen – dem also, was Goethe für Anschauung, Schiller aber für eine Idee hielt. Im Grunde genommen übersteigt, was Goethe Stil nennt die Malerei, wird Wissenschaft oder Erkenntnistheorie.

Ein paar Seiten nur, aber Goethe setzt hier die Pflöcke ein, an denen er nun die Seile befestigen kann, mit deren Hilfe er zu jenen Ansichten gelangen wird, die die Deutsche Klassik (mit)prägen sollten.

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