Thomas Mann: Schwere Stunde

Schwarz auf olivgrün: Zeichnung eines Männerkopfs. Man sieht im gewählten Ausschnitt aus dem Buchcover nur Ohren, Augen, Nase und einen Teil der Frisur des Gesichts.

Schwere Stunde verfasste Thomas Mann 1905 als Auftragsarbeit zum Schillerjahr für den Simplicissimus. Mann fiel mit seiner Novelle insofern aus dem Rahmen des damals Üblichen und Erwarteten, als er den Schriftsteller, den Dichter, als einen Leidenden vorstellte und keineswegs als den Liebling der Götter, als den er im 19. und auch noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts verehrt wurde.

Der Dichter – sein Name wird nie genannt – ist kein geringerer als Schiller. Mann stellt ihn uns vor, krank und übermüdet, wie er mitten in der Nacht in seiner Schreibstube in Jena an seinem Werk verzweifelt, dem Wallenstein – auch dieser Name wird nie genannt. Er kommt nicht voran, und überhaupt müsste er Wallensteins Heer auf die Bühne bringen können – eine Unmöglichkeit, bevor es den Film gab. Der Dichter zweifelt an sich, an seinem Talent, an seinem Körper, der ihn mit seinen Schmerzen vom Schreiben abhält. Und er beneidet jenen drüben in Weimar, der so haushälterisch mit sich, seiner Zeit und seiner Gesundheit umgehen kann. Gemeint ist natürlich Goethe, aber auch dieser Name wird nicht genannt.

Schon ist er bereit, seine Niederlage einzugestehen und dies auch dem Freund Körner zu schreiben. Erst der Gedanke daran, wie ihn dieser (der Name wiederum fällt) ausschimpfen und an seinen gelungenen und erfolgreichen Dom Carlos erinnern, bei dem Schiller auch erst verzweifelte, beruhigt den Dichter allmählich. In ihm steigt die Bereitschaft, den körperlichen Schmerz ebenso zu akzeptieren als Bedingung für sein Schreiben, wie die Schreibblockade, die ihn gerade beherrscht:

Nur bei Stümpern und Dilettanten sprudelte es, bei den Schnellzufriedenen und Unwissenden, die nicht unter dem Druck und der Zucht des Talenes leben. Denn […] das Talent ist nichts Leichtes, nichts Tändelndes, es ist nicht ohne weiteres ein Können. In der Wurzel ist es Bedürfnis, ein kritisches Wissen um das Ideal, eine Ungenügsamkeit, die sich ihr Können nicht ohne Qual erst schafft und steigert.

Bei seiner Wanderung durch die Wohnung ist der Dichter unterdessen im Nebenzimmer angelangt, wo sein Weib schläft (auch Charlottes Name wird nicht genannt). Es ist ihr Anblick, der Gedanke an ihre Liebe, der den Dichter dann ganz beruhigt und ihm die Weiterarbeit ermöglicht:

Nicht grübeln: Arbeiten! Begrenzen, ausschalten, gestalten, fertig werden … Und es wurde fertig, das Leidenswerk. Und als es fertig war, siehe, da war es auch gut.

Dass der Schlusssatz an die biblische Schöpfungsgeschichte anklingt, ist sicher kein Zufall. Der Dichter ist auch der Schöpfer.

Es ist schon früh gesagt worden, dass Mann sich in diesem seinen Schiller spiegelt. Aber er will natürlich auch die Bedingungen der Möglichkeit künstlerischen Schaffens überhaupt darstellen – jedenfalls die des sentimentalischen Dichters, als den er Schiller hier paradigmatisch hinstellt, wie sich ja schon Schiller selber so hingestellt hat.

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