Reemtsma hat in seiner Wieland-Biografie (s. unser Aperçu von gestern) nicht nur Wielands eigene Produktionen ausführlich vorgestellt, sondern auch dessen Übersetzungen. Bei der Lektüre hat dann in meinem Hinterkopf ein Lämpchen zu glühen begonnen, das zwar schon früher hin und wieder geflackert hat, aber dieses Mal bin ich der Sache nachgegangen und habe in meinen Büchern nachgeguckt. Tatsächlich hat mich meine Erinnerung nicht getäuscht: Die Übersetzung der Satiren von Horaz, die sich in meinem Besitz befindet, stammt von Christoph Martin Wieland. Sie ist noch so spät wie 1949 vom Zürcher Artemis-Verlag in der Sammlung Römische Satiren neu auf den Markt gebracht worden. Damit war klar, was ich nach Reemtsma als nächstes lesen und hier vorstellen würde.
Nun ist es nicht an mir, Wielands Übersetzung zu beurteilen. Wieland war einer der führenden Latinisten und Gräzisten seiner Zeit, was man von mir nicht behaupten kann. Was ich beurteilen kann, ist der Umstand, dass sich Wielands Deutsch auch bei dieser Übersetzung flüssig liest; Wieland war wie kein zweiter in der Lage, Verse und Reime so zu schreiben, dass man die Mühe dahinter nicht merkte – keine Hilfskonstruktionen, keine Füllsel. Und so liest sich auch dieser Horaz-Text, wie wenn es ein eigenes Werk Wielands gewesen wäre. (Ich weiß, dass einige das nun gerade nicht als das Zeichen einer guten Übertragung betrachten, aber die aktuelle Mode, so zu übersetzen, dass die Syntax und Wortwahl des Originals so genau wie möglich beibehalten und wiedergegeben werden, soll mir erst mal jemand bei einem lateinischen oder altgriechischen Text mitmachen.)
Zu den Satiren möchte ich Folgendes sagen: Nicht alles, was Horaz unter dieser Überschrift herausgegeben hat, sind Satiren im heutigen Sinn. Wir finden auch Dankeshymnen und Lobgedichte auf seinen (wie wir heute sagen würden) ‚Sponsor‘ Gaius Maecenas. Der heißt nun nicht Maecenas, weil er ein Mäzen war – der Mäzen heißt so, weil Gaius Maecenas ein frühes, vielleicht gar das früheste Beispiel eines Mannes war, der verschiedenen Künstlern ein sorgenfreies Leben ermöglichte; auch wenn wohl hinter diesem ‚Sponsoring‘ oft Kaiser Augustus persönlich stand (dem Horaz denn ebenfalls in einer Satire dankte). Immerhin verdankte Horaz den beiden ein kleines Landgut wenige Stunden von der Stadt Rom entfernt, sein Sabinum, wei er es nannte – ein Ort, an den er sich immer wieder gern zurückzog. (Und dem Wieland, nebenbei, wohl auch seine eigene Sehnsucht nach einem Landsitz verdankte, das er dann mit Oßmanstedt zumindest bis zum Tod seiner Frau genießen konnte.)
Bei den eigentlichen Satiren handelt es sich um so genannte ‚Typen-Satiren‘, keine Personalsatiren wie später die Christian Ludwig Liscovs, keine Ständesatiren, wie sie Gottlieb Wilhelm Rabener lieferte. Vorbild der ‚Typen-Satire‘ ist die attische Typen-Komödie (Menander und Aristophanes werden von Horaz sogar erwähnt). Diese Typen-Komödie wiederum wurde im französischen Klassizismus von Molière nochmals zu neuer Blüte gebracht. Horaz spielt in seinem Werk gern Gegensätze gegeneinander aus: Den Geizhals, der lieber seinen Wein im Keller sauer werden lässt als ihn zu trinken, karikiert er ebenso wie den Verschwender, der sein Geld auf den Kopf haut, um an seinen Gelagen den Gästen exquisiteste Speisen, und diese in rauen Mengen, auftischen zu können. Sich selber nimmt Horaz in seinen Satiren übrigens nicht aus. Es gibt eine Satire, in der ihn ein Sklave auf seinem neuen Landgut auslacht, weil er (Horaz oder ‚nur‘ sein lyrisches Ich?), sobald er auf seinem Sabinum ist, über dieses und die Langeweile auf dem Land schimpft, zurück in Rom aber sich ebenso über den Lärm und verkommene Gesellschaft dort beklagt. Nicht genug mit diesem seltsamen Verhalten, stelle er (Horaz oder ‚nur‘ sein lyrisches Ich?) auch noch einer verheirateten Frau nach. Er solle sich doch hier ein Beispiel an ihm, seinem Sklaven, nehmen, der, wenn ihn der Kitzel packt, sich für wenig Geld eine Frau von der Straße holt, die ihm genau dasselbe bietet wie die Verheiratete, ohne dass man dabei noch Angst haben müsse, vom eifersüchtigen Gatten erwischt und – falls nicht gleich tot geschlagen oder entmannt zu werden – doch eine tüchtige Tracht Prügel zu erwarten habe. Horaz, der sich in einem Brief einmal ein Schweinchen aus Epikurs Herde genannt hat, zeigt sich in ethicis primär als einen Nachfolger des Aristoteles, der ebenfalls eine goldene Mitte im Verhalten propagierte.
Natürlich weiß Horaz, dass Epikureismus nicht einfach die Lust am Fressen, Saufen und F…en bedeutet, sondern schon Epikur eine optimale Lust kannte, die darin bestand, dass der Weise einen Zustand der dauerhaften Schmerzlosigkeit und eines vollkommenen inneren Friedens (Ataraxie) erreiche – nämlich durch vernünftige Einsicht, durch die Tugenden und durch Verzicht auf schädliche Begierden. Womit wir wieder sehr nahe an der Ethik sind, wie wir sie in Horaz’ Satiren finden.
Dennoch finden wir in seinen Versen immer wieder Aufzählungen der Speisenfolge an einem römischen Gastmahl, und wir fragen uns, ob das nun satirisch gemeint war, oder ob Horaz uns tatsächlich Appetit machen will. Bei mir jedenfalls ist ihm auch letzteres gelungen.
So oder so aber danke ich Hrn. Reemtsma, dass er mich an dieses Buch erinnert hat. Horaz zu lesen (und dann noch in der Übersetzung Wielands) ist immer ein Vergnügen.