Frank McCourt: Die Asche meiner Mutter [Angela’s Ashes]

Augen und Ohren eines kleinen Jungen in einer auf alt getrimmten Schwarz-Weiß-Fotografie. - Ausschnitt aus dem Buchcover.

Schon seit Jahren verfolgen mich die Augen des kleinen Jungen auf dieser Fotografie – Augen, die halb ängstlich, halb trotzig, genau an der Kamera vorbei blicken. Ich weiß nicht, ob es sich hier um ein Bild des jungen Frank McCourt selber handelt (dafür ist aber die Qualität doch zu gut), ob es ein Standfoto aus dem Film zum Buch ist (wie ich es mich die kryptischen Copyright-Angaben im Buch vermuten lassen), oder sich gar um ein damals rein zufällig fürs Buch gewähltes Bild handelt. Jedenfalls verbinde ich diesen kleinen Jungen seit Jahren mit diesem Buch.

Um genau zu sein: Seit ungefähr der letzten Jahrtausendwende. Das Buch erschien 1996 zum ersten Mal in den USA. Der Autor McCourt war damals bereits 66 Jahre alt und es war sein erstes Buch – trotz der Tatsache, dass er jahrelang an einem New Yorker College ‚Creative Writing‘ unterrichtet hatte. Vielleicht hat er vorher bereits kürzere Erzählungen in Zeitungen oder Anthologien veröffentlicht – wie es in den USA des öfteren der Brauch ist bei Lehrenden und Studierenden des Studiengangs ‚Creative Writing‘. (Was wiederum daran liegt, dass dieses Fach üblicherweise so gelehrt wird, dass die Studierenden als Hausaufgabe eine kurzen Text zu schreiben haben, der in der nächsten Stunde coram publico vorgelesen und kritisch auseinander genommen wird. Bei dieser Unterrichtsmethode liegen natürlich keine Romane drin, schon gar nicht ein über 500-seitiger wie der vorliegende.) Jedenfalls erhielt McCourt für seinen Erstling gleich den renommierten Pulitzer-Preis. Die (US-amerikanische) Kritik wünschte sich Fortsetzungen – ein Wunsch, dem McCourt nachkam und über sein Leben als junger Mann schrieb, der sich in den Nachkriegs-USA mit Gelegenheitsjobs durchschlug, sowie in einem folgenden dritten Teil über seine Erfahrungen als Lehrer von oft nicht einfachen Schülern und Schülerinnen. Diese Folgeromane sind zwar auch noch auf Deutsch übersetzt worden, haben sich hierzulande aber nicht durchsetzen können.

Wobei wir hier schon auf eine Frage stoßen: Im Untertitel wurde das Buch als A Memoir bezeichnet, auf Deutsch als Irische Erinnerungen. Das hat in McCourts Familie, aber auch in der irischen Stadt Limerick, wo die Geschichte zum großen Teil spielt, für Aufruhr gesorgt. Auf Grund von Fotografien, die eine doch gut genährte Mittelstandsfamilie zeigen, wurde die in Die Asche meiner Mutter geschilderte Armut der Familie McCourt in Zweifel gezogen. Nun hat McCourt ja keinen Tatsachenbericht verfasst, der die Ereignisse möglichst korrekt wiedergeben sollte, sondern Erinnerungen, und Erinnerungen können bekanntlich schon die Sich-Erinnernden täuschen. (Wikipedia spricht auf Deutsch von einem autobiographischen Roman, was nun leider gar nichts heißt.) Dass dem Autor auch vorgeworfen wurde, das Andenken jener jungen Frau beschmutzt zu haben, mit der er das erste Mal Sex gehabt zu haben vorgibt (und die er namentlich nennt), beweist, dass Puritanismus und falsch verstandenes Ehrgefühl auch gegen Ende des 20. Jahrhunderts noch fröhliche Urständ feiern konnten. (Sie tun es ja heute noch.)

Grob gesagt erzählt McCourt die Geschichte einer Proletarier-Familie am untersten Ende der Nahrungskette: Fruchtbar wie die Kaninchen (einige der Kinder sterben früh, und das sind die berührendsten Szenen im Buch), aber ohne Geld, sich Essen zu besorgen. Das heißt: Geld wäre schon da, wenn der Vater regelmäßig arbeiten und den Lohn nach Hause tragen würde. Und regelmäßig arbeiten könnte er, wenn er nicht ebenso regelmäßig gleich nach Erhalt seinen ganzen Wochenlohn in Alkohol umsetzen würde, und früher oder später (meistens früher) nicht oder stockbetrunken zur Arbeit erschiene. Die Erzählung setzt ein in New York, noch zur Zeit der Prohibition, aber selbst da hat der Vater keine Probleme, in den so genannten ‚Speak Easys‘ zu seinem Whisky zu kommen. Selbst das Arbeitslosengeld, das er in Irland erhält, vertrinkt er auf dem Heimweg. (Zwar wer auf die Idee gekommen ist, dass die im New York der großen Depression mehr oder weniger verhungernde Familie Frank McCourts in der Heimat der Eltern, in Irland, besser aufgehoben wäre, während eben dieses Irland noch viel mehr unter der Depression litt als die USA … Selbst der Erzähler setzt damit ein, dass die Familie besser in New York geblieben wäre. Sicher, der Vater machte sich und den übrigen Hoffnung auf eine Veteranen-Rente, die er von der IRA erhalten würde, weil er im irischen Unabhängigkeitskrieg auf deren Seite gekämpft hatte. Als er allerdings in Dublin beim zuständigen Büro der IRA vorspricht, findet man seinen Namen in keiner Liste … So bleibt der Familie, bleibt den Kindern, nur, sich mit mehr oder weniger – meist weniger – redlichen Mitteln durchzuschlagen. Das macht aus der Geschichte aber dennoch keinen Schelmenroman. Am Ende des Buchs wird Frank – teilweise mit gestohlenem Geld – wieder in die USA zurück kehren.)

McCourts Bericht wird von zwei Erzählern getragen. Da ist der ‚erwachsene‘ Mann, der von Zeit zu Zeit zusammenfasst, was ringsherum geschieht, und da ist das Kind (bzw. später der Jugendliche), aus dessen Sicht und mit dessen Verständnis der Welt der große Teil der Geschichte erzählt wird. Traurige Moment kommen ebenso vor wie witzige, wobei McCourts Ironie des öfteren das Makabere oder Zynische streift (wenn z.B. der Vater, statt den Sarg seines verstorbenen kleinen Sohns auf den Friedhof zu transportieren, unterwegs in einem Pub einkehrt und gedankenlos sein volles Glas Bier auf dem Sarg des Kleinen abstellt).

Keine Lektüre für zwischendurch.


Frank McCourt: Die Asche meiner Mutter. Irische Erinnerungen. Deutsch von Harry Rowohlt. München: btb, 2000.

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