Sämtliche Dichtungen des Jean Arthur Rimbaud. Deutsche Nachdichtung von Paul Zech

Tusch- oder Tintezeichnung eines nach rechts blickenden Männerkopfs im Profil, schwarz auf crème. Im von mir gewählten Ausschnitt aus dem Buchcover sieht man nur einen Teil der langen schwarzen Haare, Augen- und Nasenpartie sowie den aufsteigenden Rauch aus einer nicht im Bild befindlichen Pfeife.

Auf Zechs Rimbaud-Übersetzung hier bin ich zufällig zuhinterst in der Ecke eines Regals in der zweiten Reihe wieder gestoßen, als ich auf der Suche war nach einem ganz anderen Buch. (Dieses wiederum habe ich an jenem Tag natürlich nicht gefunden sondern erst ein paar Tage später – als ich noch ein anderes suchte …) Ich wusste zwar, dass ich Rimbaud einmal auf Deutsch gekauft hatte; als ich das Buch aber nicht fand, habe ich eine (wie sich jetzt herausstellt: andere) Übersetzung gekauft. Zum Zeitpunkt meiner ersten Lektüre dieses Büchleins war mir Paul Zech, offen gesagt, noch kein Begriff. Intensiver mit dem deutschen Expressionismus habe ich mich erst später beschäftigt, und auch da war Zech für mich nur einer der minderen Poeten (z.B. in Kurt Pinthus’ Anthologie Menschheitsdämmerung). Wirklich aufmerksam auf ihn geworden bin ich erst in Zusammenhang mit Villons Erdbeermund, der eben nicht von Villon stammt sondern aus der (sehr freien) Übertragung Villons durch Paul Zech. Seltsamerweise wird Zechs Villon-Übertragung, so will es mir jedenfalls scheinen, häufig und auch heiß diskutiert, während seine Anverwandlung von Rimbaud schamhaft verschwiegen wird.

Dabei ist Zech bei Rimbaud nicht anders vorgegangen als bei Villon. Er hat sich sogar, wenn ich das richtig sehe, länger mit Rimbaud beschäftigt als mit Villon. Die definitive Fassung seiner Nachdichtung stammt aus dem Jahr 1944; Zech hat sich also auch noch in Buenos Aires damit beschäftigt. Ich möchte hier nicht weiter auf die Biografien von Rimbaud und von Zech eingehen; das Nötige habe ich in den oben verlinkten Aperçus bereits gesagt und ich bitte die Lesenden, dort nachzuschlagen. Hier möchte ich einfach kurz vergleichen, wie Rimbaud gedichtet hat, wie Zech nachgedichtet hat und wie die neuere Übersetzung von Thomas Eichhorn lautet. Dazu nehme ich – einigermaßen zufällig ausgewählt das Gedicht Larme aus den Vers nouveaux et chansons, entstanden / im Mai 1872. Zech übersetzt den Titel mit Tränen (macht also aus der einen Träne Rimbauds mehrere), der texttreuere Eichhorn nimmt Träne.

(1)
Loin des oiseaux, des troupeaux, des villageoises,
Je buvais, accroupi dans quelque bruyère
Entourée de tendres bois de noisetiers,
Par un brouillard d’après-midi tiède et vert.

Que pouvais-je boire dans cette jeune Oise,
Ormeaux sans voix, gazon sans fleurs, ciel couvert.
Que tirais-je à la gourde de colocase ?
Quelque liqueur d’or, fade et qui fait suer.

Tel, j’eusse été mauvaise enseigne d’auberge.
Puis l’orage changea le ciel, jusqu’au soir.
Ce furent des pays noirs, des lacs, des perches,
Des colonnades sous la nuit bleue, des gares.

L’eau des bois se perdait sur des sables vierges,
Le vent, du ciel, jetait des glaçons aux mares…
Or ! tel qu’un pêcheur d’or ou de coquillages,
Dire que je n’ai pas eu souci de boire !
(2)
Fernab von Vögeln, Herden, Mädchen vom Lande
Hockt' ich in irgend Heidekraut mich hin
Und trank, umhegt von Haselholzes sanftem Bande,
Im Nachmittagsnebel lau, schläfrig und grün.

Was konnte ich trinken in dieser jungen Ois,
Schweigsame Ulmen, düsterer Himmel, Gras ohne Blühn.
Was konnt' ich aus der würz'gen Kürbisflasche ziehn?
Ein goldnes, geschmackloses, schwitziges Naß.

So wäre ich ein schlechtes Herbergsschild gewesen,
Dann wandelte der Sturm zur Nacht die Firmamente, fanden
Sich schwarze Länder, Seen, Bahnhöfe, standen
Stangen gleich Säulengängen unter blauer Nacht.

Der Wälder Naß verlor sich auf jungfräulichen Sanden.
Des Himmels Wind ließ Schollen Eis auf Pfützen sinken …
Gold! Gleich einem Wäscher Golds, gleich einem Muscheltaucher
Zu sagen, daß ich keine Sorge trug, zu trinken!
(3)
Weitab von Dorfgemeinschaft, Mensch und Tier,
so tief im Heidekraut
und von Gesträuch verbaut
daß kaum der Himmel über mir
zu sehen war –: was hatte ich denn nur getrunken,
und Gott weiß, wo hinaus war ich gesunken?

Was konnte sich mir wie geweihter Wein
ausschenken fern von einem Haus,
an diesem Fluß mit Rüstern krumm und kraus,
in diesem nebelnassen Wolkenschein,
als Schweiß der Stirn und kühles Einsamsein?

Ich saß verloren wie in einem Heidekrug
und sprach an Gott vorbei,
indes der Wind das Gras mit Regen schlug
und mit letztem Vogelschrei 
auf einer Erde, die nur Schatten trug,
mein Herz verfinsterte zu fahlem Blei.

(Zuoberst (1) das Original von Rimbaud, in der Mitte (2) die Übersetzung Eichhorns, am Schluss (3) Zechs Nachdichtung.)

Schon auf den ersten Blick fällt auf, dass Zech die Strophen Rimbauds umgebaut hat. Schon damit ändert er natürlich die Stimmung, die der Franzose eingeführt hat. Eichhorns Übersetzung versucht, Strophen und Versmaß Rimbauds beizubehalten. Wie bereits im Aperçu zu dieser Übersetzung festgestellt, führt das manchmal dazu, dass im Deutschen Wörter einer höheren Stilebene verwendet werden als das im Französischen der Fall ist. Zech wiederum bleibt in puncto Wortschatz ziemlich genau auf der relativ alltäglichen Sprachebene Rimbauds. Allerdings verfärbt er die sommerlich-melancholische Stimmung von Rimbauds Gedicht in eine düster-einsame Stimmung, in der das Ich den Elementen wehrlos ausgesetzt ist. Zech kehrt den Franzosen von Innen nach Außen; er macht aus einem impressionistischen Gedicht ein expressionistisches.

Es stimmt also durchaus, wenn im deutschen Wikipedia-Artikel zu dieser Nachdichtung gesagt wird: Als Verstehenshilfe für die Originale erscheinen sie wenig geeignet. Im Zusammenhang aber auch mit Zechs Villon-Anverwandlung muss man sagen, dass der Deutsche erst dort wirklich zu großer lyrischer Form aufläuft, wo er sich an fremden Versen abarbeiten kann. Jedenfalls sind in seinen Nachdichtungen von Villon wie von Rimbaud einige sehr gelungene expressionistische Gedichte zu finden. Es handelt sich hier um ein Phänomen, das man meiner Meinung nach einmal genauer anschauen müsste (aber vielleicht ist das auch schon geschehen) – nämlich, dass Schreibende erst in der Auseinandersetzung mit dem Text anderer Schreibenden zu ihrer wirklich großen Form auflaufen. Mutatis mutandis wäre an Arno Schmidts Übersetzungen zu erinnern – dort, wo er nicht Höchstliteratur schreiben zu müssen glaubte wie in seinen Poe-Übersetzungen, findet er zu einer seltsam geschmeidigen und melodiösen Sprache, die zum Beispiel aus Bulwer-Lyttons Romanen etwas macht, das ganz sicher besser als Bulwer-Lytton ist, und vielleicht auch besser als Schmidt … Jedenfalls wage ich zu behaupten: Wer Zech als wirklich guten Lyriker erleben will, sollte zu seinen Nachdichtungen / Anverwandlungen greifen.


Zum Beispiel in dieser Ausgabe:

Sämtliche Dichtungen des Jean Arthur Rimbaud. Deutsche Nachdichtung von Paul Zech. Mit einem Nachwort von Walter Helmut Fritz. Frankfurt/M: Fischer, 1990. (= Fischer TB 9448) [Seinerzeit allerdings im Neu-Antiquariat erstanden; die Nachfrage nach Lyrik ist im deutschen Sprachraum sehr gering …]

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