MFA vs NYC

Unter diesem Titel gab Chad Harbach, der Herausgeber der Literaturzeitschrift n + 1 und Verfasser des Romans The Art of Fielding, 2010 eine Sammlung von Essays verschiedener Autoren heraus, deren Thema der Untertitel The Two Cultures of American Fiction weiter präzisierte. Die beiden Akronyme lösen sich auf in Master of Fine Arts für MFA und in New York City für NYC. Ein Master of Fine Arts ist der akademische Titel, den Absolventen von Kursen in Creative Writing an einer Universität führen dürfen, New York City steht für die Allgewalt der grossen Verlagskonzerne, die allesamt dort beheimatet sind.

Primär also geht es Autoren und Herausgeber um eine Analyse der Situtation der US-amerikanischen Gegenwartsliteratur. Die nämlich hat sich seit den 1940ern drastisch verändert. Damals wurde in Iowa der erste universitäre Kurs in Creative Writing angeboten; 2010 zählte MFA vs NYC deren mehr als 250. Tendenz: rapide steigend. Nun herrscht in der US-amerikanischen Literaturszene der Aberglaube, dass ein guter Autor quasi aus seinen Gedärmen heraus schreibt, über keine Ausbildung verfügt (schon gar keine akademische, und schon gar keine im Schreiben!), so, dass diese Autoren vor dem Problem stehen, in New York City, bei den grossen Verlagen, nicht ernst genommen zu werden. Dort glauben Verlage und Autoren nämlich immer noch daran, dass der ‚echte‘ Autor nur seiner Berufung lebt, nebenbei zu seinem Lebensunterhalt vielleicht noch ein bisschen kellnert, und eines Tages seinen Durchbruch mit einem Riesen-Roman feiert. (Während der MFA, bedingt durch den Workshop-Charakter seiner Kurse, vorwiegend Short Stories verfasst, die sich besser an einem Workshop-Tag besprechen lassen.)

Das Resultat ist, nur leicht überspitzt, dass sich zwei von einander praktisch unabhängige Schreibkulturen entwickeln. Der hard-boiled Autor, der im Dschungel von New York um sein Überleben kämpft und die toughen Romane liefert, und der in einer Atmosphäre der literarischen Inzucht gehätschelte Autor in der Provinz, der in provinziellen Literaturzeitschriften Short Stories publiziert, die auch ohne Probleme angenommen werden, sind doch diese Zeitschriften oft Creative-Writing-Programmen assoziiert. Inzucht deswegen, weil, was die Ausbildung zum MFA eigentlich ermöglicht, nicht ist, das Schreiben zu lernen, sondern zu lernen, wie man seinerseits Kurse in Creative Writing gibt.

Da Harbach selber aus dieser Ecke kommt, überwiegen die Beiträge zum Thema MFA. Einige davon sind sehr interessant, so, wenn die mangelnde literarische Kompetenz der Absolventen beklagt wird, deren ‚literaturgeschichtlichen‘ Kenntnisse meist nur eine oder zwei Studentengenerationen von MFA-Absolventen umfasst. Nicht umsonst schreiben die Studenten „Fiction“, nicht „Literatur“. Oder wenn die merkwürdige Beziehung zwischen Lehrer und Student angesprochen wird, die einerseits oft – vor allem in den frühen Jahren dieser Programme – sexuelle Ausbeutung des Studenten durch seinen Professor beinhaltete, andererseits aber bis heute auch von Konkurrenz-Denken geprägt ist. Manchmal ist es gar so, dass der Student der – zumindest gegen aussen – bessere und erfolgreichere Autor ist als sein Lehrer, weil er bereits mehr und in bekannteren Zeitschriften veröffentlicht hat. Daneben fällt die allgemeine Tendenz des Buches auf, den Autor (den ich, deutschen Sprachgebrauch folgend, immer in der männlichen Form wiedergegeben habe) als Frau zu interpretieren – was wohl den tatsächlichen Geschlechtsverhältnissen der Kurse entspricht.

Last but not least wird die Ineffezienz der Creative-Writing-Kurse angeprangert, indem das einzige, was sie, mantra-artig wiederholend, lehren können, ist: Write what you know! und Find your voice! Der erste Satz erklärt auch, weshalb so viele Werke der US-amerikanischen Gegenwartsliteratur sich um das College drehen, den alternden College-Professor und seine junge Geliebte: Was wird der ehemalige MFA-Absolvent und jetztige MFA-Dozent anderes kennen und beschreiben können? Implizit ebenfalls gelehrt wird die Studenten die Wichtigkeit des ersten Satzes, weil der angehende Autor in den Workshops beim Vorlesen seines Werks oft nicht über diesen hinauskommt, schon der vom Professor verrissen wird.

Und eine allerletzte Bemerkung. Anhand der oft autobiografisch tingierten Essays will es mir scheinen, dass ein recht grosse Zahl von Creative-Writing-Kursabsolventinnen eigentlich depressiv veranlagt sind. Ich weiss nicht, wie weit eine Depression zum Dasein eines Autors gehört; grosse Autoren wie Heinrich von Kleist oder Hermann Burger waren depressiv. Aber bei mir schlich sich ein bisschen der Verdacht ein, dass die US-amerikanischen Workshops auch ein bisschen ‚geschützte Werkstätte‘ im praktisch-klinischen Sinn darstellen. Ein Ort, wo ansonsten erwerbsunfähige Menschen einen Sinn und eine Beschäftigung für ihr Leben finden.

PS. Es ist kein Zufall, dass ich keinen der Absolventen, keinen MFA, namentlich kannte. Oder kennen will.

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